Frauenfußball:Meisterinnen des Flows

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Da geht's lang: Jill Roord (Mitte) und die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg bleiben nach dem Einzug ins Pokalfinale auf der Erfolgsspur. (Foto: Sven Leifer/foto2press/Imago)

Die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg befinden sich vor dem Duell beim FC Barcelona in Topform - und dürfen offensiv mit einem großen Begriff umgehen: dem Triple.

Von Anna Dreher, München

Wie gut eine Fußballmannschaft gerade drauf ist, zeigt sich nicht allein darin, wie dominant sie auftritt, wie flüssig sie sich Pässe zuspielt oder wie häufig sie trifft. Es ist auch die Art und Weise der Torschüsse, die viel über das Selbstvertrauen erzählen kann. Und da lieferte das Pokalhalbfinale zwischen dem FC Bayern und dem VfL Wolfsburg am Ostersonntag in diversen Szenen Anschauungsmaterial.

19. Minute: Jill Roord, von den Münchnerinnen zunächst völlig unbewacht, bekommt den Ball, dreht sich erst, bevor sie aus 20 Metern präzise und wuchtig zum 1:0 abzieht. 61. Minute: Roord ist ihren Bewacherinnen erneut entwischt, diesmal im Strafraum, die Ballannahme erfolgt wieder mit größter Ruhe, links, rechts, Tor zur 2:1-Führung. 80. Minute: Tabea Waßmuth wird der Ball in den Lauf gespielt, sie schlenzt ihn, ohne zu zögern, zum 3:1 über den rechten Innenpfosten ins Tor - mit ihrem schwächeren linken Fuß.

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Diese Partie zwischen den beiden besten deutschen Teams im Frauenfußball war aufgeladen von der Dauerrivalität und dem, was für beide auf dem Spiel stand. Und sie wurde zum Beleg dafür, in welch herausragender Verfassung sich die Wolfsburgerinnen befinden - genau zur richtigen Zeit, wenn Titelentscheidungen bevorstehen. "Wir sind gerade in einer Phase, in der wir uns komplett im Flow befinden und eine maximale Überzeugung ausstrahlen", sagte VfL-Trainer Tommy Stroot: "Ich glaube, dass das unseren Gegnern wehtut."

Es war nicht so, dass sich der FC Bayern vor 2330 Zuschauern im Campus-Stadion nicht vehement gegen die Niederlage gestemmt hätte. Vor allem nach dem 1:1-Ausgleich (Elfmeter von Jovana Damnjanovic, 52.) drehten die Münchnerinnen auf. Aber ihnen stand nun mal ein Gegner gegenüber, der erhaben über jegliche Zweifel wirkt - und der nun immer offensiver mit einem großen Begriff umgehen darf: dem Triple. Zum zweiten Mal nach 2013 könnte den Wolfsburgerinnen die Siegkombination aus Meisterschaft, Pokal und Champions League gelingen.

Am Freitag gegen den FC Barcelona könnten mehr als 96 000 Zuschauer ins Camp Nou kommen

In der vorherigen Begegnung der beiden Klubs hatten sie die Bayern mit 6:0 überrannt und dadurch ziemlich sicher die Meisterschaft entschieden. Die Bundesliga führt der VfL bei drei verbleibenden Partien mit vier Punkten Vorsprung an. An ein so großes Fußballwunder, dass das Wolfsburg nicht für den Titel reicht, glauben sie selbst in München nicht.

Für den FC Bayern ist diese Saison also eine Enttäuschung. Das oberste Ziel war die Titelverteidigung in der Liga, die Hoffnung auf mehr schwang stets mit. Nun gehen die Münchnerinnen bei der Trophäenvergabe leer aus. "Wir haben es verspielt in den letzten Wochen", sagte Linda Dallmann. Nicht nur Chefcoach Jens Scheuer - der Corona-erkrankt am Sonntag von Co-Trainer Jérôme Reisacher vertreten wurde - dürfte sich vor allem fragen: Wie erfolgreich hätte das Team wohl sein können, wenn gegen Paris Saint-Germain im Champions-League-Viertelfinale Ende März und bei der Klatsche gegen Wolfsburg Anfang April nicht so viele Spielerinnen mit Covid-19 ausgefallen wären?

Erste Saison beim VfL Wolfsburg - direkt ein, zwei oder gar drei Titel? Trainer Tommy Stroot hat sich mit seinem Team in eine aussichtsreiche Position gebracht. (Foto: Silas Stein/dpa)

Statt selbst noch um Finaleinzüge und Erfolge kämpfen zu können, müssen die Bayern beobachten, wie Wolfsburg national jene Machtverhältnisse bekräftigt, welche die Münchnerinnen durchbrechen wollen. Auch im DFB-Pokalfinale gilt Wolfsburg schließlich als Favorit, mit sieben Titeln in Serie ist der Klub hier eine Macht. Am 28. Mai geht es gegen Turbine Potsdam, das sich am Montagabend erst im Elfmeterschießen mit 4:3 bei Bayer Leverkusen durchsetzte und nun nach sieben Jahren wieder das Endspiel erreichte.

Und schon diesen Freitag (18.45 Uhr, Dazn) steht jenes Duell an, bei dem allein die Kulisse zu Höchstleistung beflügeln dürfte. Für das Halbfinale der Champions League reisen die Wolfsburgerinnen zum FC Barcelona. Die Tickets waren rasch vergriffen, mehr als 96 000 Zuschauer könnten also ins Camp Nou kommen. "Wenn du so gegen die Bayern gewinnst, ist das der nächste Block für den Rückenwind", sagte Torhüterin Almuth Schult angesichts der bevorstehenden Aufgabe. "Wir bringen Mut auf den Platz und deshalb haben wir nicht so viel Raum für Zweifel. Bis jetzt haben wir eine super Saison gespielt, wer hätte uns das zugetraut?"

"Es ist wundervoll zu sehen, was daraus entstanden ist", sagt Torhüterin Schult über den Umbruch beim VfL

Gestartet war der VfL Wolfsburg mit einem doppelten Umbruch. Der 33 Jahre alte Stroot, zuvor in den Niederlanden beim FC Twente tätig, übernahm die Fußballerinnen mit einem fast komplett neuen Trainerteam. Hinzu kamen viele Wechsel - darunter auch jene von Roord und Waßmuth, die in der Champions League mit neun Treffern vor Barcelonas Weltfußballerin Alexia Putellas (8) die Liste der Torschützinnen anführt. "Das war ein kompletter Neuanfang und ein Prozess, den ich so beim VfL Wolfsburg noch nicht mitgemacht habe", sagte Schult, seit 2013 im Verein. "Es ist wundervoll zu sehen, was daraus entstanden ist."

Anfangs lief jedoch vor allem die Gruppenphase der Königsklasse holprig, im entscheidenden Spiel Mitte Dezember gelang mit einem 4:0 gegen Chelsea gerade noch der Sprung von Platz drei ins Viertelfinale. Rückblickend wirkt das wie eine Initialzündung für den Lauf der Wolfsburgerinnen - den sie unbedingt fortsetzen wollen. Doch dafür werden sie ihre bisherige Leistung steigern und über sich hinauswachsen müssen. Triple-Sieger Barcelona hat das Pokalhalbfinale erreicht und den Super-Cup gewonnen, wie auch vorzeitig die Primera División - mit aktuell 22 Punkten Vorsprung bei einer Bilanz von 146:8 Toren. Sie treffen also auf ein Team, das sich ebenfalls im Flow befindet, und das mit mindestens ebenso viel Selbstvertrauen ausgestattet ist.

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