Süddeutsche Zeitung

Pokalfinale der Frauen:Einfach niemals satt

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Zum sechsten Mal nacheinander gewinnen die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg den DFB-Pokal. Außenseiter Essen ist fast untröstlich, kann aber stolz sein: auf das spannendste Endspiel seit langem.

Von Ulrich Hartmann, Köln, Köln/München

Nach dem Elfmeterschießen klang die traurige Abwehrspielerin Marina Hegering, als sende sie eine Botschaft ins All: "Das war heute ein Signal an alle da draußen: Wolfsburg ist schlagbar." Nach elf Sekunden waren die Außenseiterinnen von der SGS Essen mit 1:0 in Führung gegangen, in der Nachspielzeit retteten sie sich mit dem Ausgleich zum 3:3 in letzter Sekunde in die Verlängerung - doch im letzten Akt dieses Pokalfinals triumphierte eben doch wieder der große Favorit VfL Wolfsburg. Zum sechsten Mal nacheinander gewann er mit dem 4:2 (3:3, 3:3, 1:2)-Sieg im Elfmeterschießen den DFB-Pokal.

Es war für den VfL das 30. gewonnene Pokalspiel nacheinander. Seit dem 16. November 2013 hat der Klub keine Partie in diesem Wettbewerb mehr verloren. Aber wie hart erkämpft dieser insgesamt siebte Wolfsburger Triumph hier ausfiel, ist auch daran zu erkennen, dass der VfL drei Gegentore im Pokalwettbewerb zuvor nur über insgesamt drei Jahre und 14 Spiele hinweg zugelassen hatte. Diesmal waren es drei Gegentore allein binnen 90 Minuten, was die enttäuschte Hegering kurz nach dem Spiel zu der Erkenntnis veranlasste: "Ich finde, die Mannschaft auf dem Podest ist heute nicht der verdiente Sieger." Später relativierte sie diese Einschätzung höflich.

Die künftige Bayern-Spielerin Lea Schüller erzielte nach elf Sekunden für Essen das schnellste Tor in der Geschichte des Frauen-DFB-Pokals, die künftige Bayern-Spielerin Hegering traf in der 18. Minute zum 2:1. Pernille Harder (1:1, 18.), Anna Blässe (2:2, 70.) und Dominique Janssen (3:2, 86.) trafen für Wolfsburg. Irini Ioannidou brachte Essen durch das 3:3 in der Nachspielzeit noch in die Verlängerung und später ins Elfmeterschießen. Es war das elfte Frauen-Pokalfinale in Köln, es war das erste ohne Stadion-Publikum und es war das beste und spannendste Endspiel seit langem.

Es war allen da draußen zuvor irgendwie nicht so richtig bekannt gewesen, dass es überhaupt möglich ist, gegen den VfL Wolfsburg in einem Pokalfinale auch mal in Führung zu gehen. Zwei Mal Potsdam, zwei Mal Sand und je ein Mal Bayern München und Freiburg hatten dies zuvor versucht und es nicht geschafft. Sie alle haben ihr Finale gegen Wolfsburg verloren. Essen ging sogar zwei Mal in Führung, lag für insgesamt 62 Minuten vorne, aber über solche Herausforderungen freuen sich die Wolfsburgerinnen sogar irgendwie. Zum vierten Mal nacheinander haben sie in dieser Saison das Double aus Meisterschaft und Pokal gewonnen.

Am Montag geht's ins Restaurant

"Immer hungrig", lautet in dieser Saison ihr offizielles Motto, und da hat es gut gepasst, dass man im Endspiel auf Essen getroffen ist. "Wir sind nie satt", sagte zum Themenbereich Kohldampf die Mittelfeldspielerin Alexandra Popp, und auf die Frage, worauf sie sich nach der vorläufigen Beendigung dieser Saison besonders freue, antwortete sie: "Am Montag sofort in ein Restaurant zu marschieren." Auch das passt zum Mannschaftsmotto, und satt ist Popp wohl allenfalls nach einem Restaurantbesuch, aber keinesfalls nach diesem Pokalsieg gegen Essen, denn Ende August wird in Spanien ja auch noch die Champions League ab dem Viertelfinale in einem Finalturnier ausgespielt. Wolfsburg trifft am 21. August in San Sebastian auf Glasgow City. Ziehen sie ins Halbfinale am 25. August und ins Endspiel am 30. August ein und gewinnen auch dort - dann hätten sie zum zweiten Mal nach 2013 das Triple gewonnen. Mehr geht nicht im Klubfußball, dann wäre der größte Appetit gewiss erst mal gestillt.

Im Elfmeterschießen gegen Essen avancierte die Torhüterin Friederike Abt mit zwei gehaltenen Bällen zur Heldin, während Almuth Schult als junge Mutter kleiner Zwillinge von der Tribüne herunter zuschaute. "Titel am Fließband", stand später auf den T-Shirts der Wolfsburgerinnen nach dem Gewinn ihrer 15. Trophäe binnen acht Jahren. Dass ihm der Erfolg schon ein bisschen zur Gewohnheit wird, das wollte VfL-Trainer Stephan Lerch keinesfalls gelten lassen: "Gerade in diesem Spiel sind viele Emotionen hochgekommen, das war schon etwas Besonderes."

5:1 und 3:0 hatte der VfL die beiden Saisonspiele gegen Essen gewonnen, aber diesmal traf er auf eine wehrhaftere und sehr clever spielende Mannschaft. Hätten Hegering und Jana Feldkamp in der zweiten Halbzeit nicht jeweils Aluminium getroffen, sondern ins Tor, dann hätte Hegering für alle da draußen sogar den Beweis gehabt, dass Wolfsburg schlagbar ist. So aber triumphierte wieder der Branchenprimus, und Essen muss ein neues Team aufbauen, denn es verliert mit Schüller, Hegering, Lena Oberdorf (Wolfsburg) und Turid Knaak (Ziel unbekannt) alle Nationalspielerinnen und insgesamt zehn Fußballerinnen seines derzeitigen Kaders.

In München jedenfalls wird Hegerings Erkenntnis von der Besiegbarkeit des VfL Wolfsburg vom Herbst an auf besonders offene Ohren stoßen.

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SZ vom 05.07.2020
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