3:2 gegen Bremen:Bayern stürzt ins Pokalfinale

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Bayerns Kingsley Coman (l.) fällt im Bremer Strafraum - es gibt Elfmeter. (Foto: AP)
  • Der FC Bayern besiegt Werder Bremen und steht im Finale des DFB-Pokals.
  • Robert Lewandowski (36./80./FE) und Thomas Müller (63.) schießen die Tore für die Münchner. Für Bremen treffen Yuya Osako (74.) und Milot Rashica (75.).
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Von Ralf Wiegand, Bremen

Euphorie definiert die Fachwelt als "zeitweilige übersteigert heitere und zuversichtliche Gemütsstimmung", als "Zustand optimistischer Begeisterung" oder gar "rauschhaft gesteigertes überschwängliches Gefühl". Besser könnte man die Befindlichkeit des Großteils der 41 000 Zuschauer im Bremer Weserstadion nicht zusammenfassen. Die enge Arena bebte schon lange vor Anpfiff des heiß herbeigesehnten Halbfinales gegen den FC Bayern vor großen Gefühlen, die Atmosphäre flimmerte bis weit hinein in die hitzige, ereignisreiche erste Halbzeit, und der Puls der Stadt raste zum Zeitpunkt einer unfassbaren Wende in einem schon verloren geglaubten Spiel, das am Ende, wie immer möchte man sagen, die Bayern gewannen, mit 3:2 (1:0). Ein Elfmeter, den Robert Lewandowski in der 79. Minute verwandelte, brachte die Münchner zum 23. Mal ins Endspiel, wo sie am 25. Mai gegen Leipzig den DFB-Pokal zum 19. Mal gewinnen können. Rekorde für die Ewigkeit.

Diese Bremer Flutlichtstimmung, befand der frühere Bremer Trainer Thomas Schaaf einst gewohnt nüchtern, "schadet nicht". Unter seiner Führung hatte Werder 2009 seinen bislang letzten Titel geholt, den DFB-Pokal. Aber gute Laune schießt eben auch keine Tore - bayerische Entschlossenheit schon: Die Treffer von Robert Lewandowski (36. Minute) und Thomas Müller (63.) schienen das Spiel zu entscheiden, Yuya Osako (74.) und Milot Rashica (75.) glichen binnen einer Minute wie im Rausch aus. Dann kam es zu einem umstrittenen Elfmeterpfiff, zu Lewandowskis Siegtor - und zu hitzigen Diskussionen auf dem Feld und bald auch abseits davon.

"Es war ein brandheißes Duell, das uns alles abverlangt hat", sagte FCB-Torschütze Müller, und das wirkte angesichts der Ereignisse noch höflich untertrieben. Eine halbe Stunde lang wirkten die Münchner beeindruckt von dem Bohei, das die Bremer Fans auf den Rängen veranstalteten. Sicher wird irgendjemand in der datenoptimierten Welt des modernen Fußballs auch die Lautstärke gemessen haben, zu vermuten ist ein absoluter Rekordwert für Bremer Verhältnisse. An diesem Abend, in dem das Flair der goldenen Jahre in die Hansestadt zurückkehrte, waren jedenfalls alle Zuschauer im Stadion, die es mit den Bremern hielten, Ultras.

Und Max Kruse hatte sich schon vormittags beim Anschwitzen wieder fit gemeldet, die Oberschenkelverletzung aus dem Bundesligaspiel vom vergangenen Samstag in München verhinderte einen Einsatz des wertvollsten Bremer Spielers nicht. Um ihn herum baute Trainer Florian Kohfeldt eine offensivere Mannschaft als jene, die in der Münchner Arena 0:1 verloren hatte. Die Funken, die wegen der Euphorie auf den Rängen flogen, sollten auf dem Rasen auch ein Feuer entfachen können.

Werder bekam seine Möglichkeiten, durch den Japaner Osako etwa (19.) oder durch den Niederländer Davy Klaassen (23./66.). Sie wirkten präsent, giftig, provozierten die Bayern zu Ballverlusten und Abspielfehlern, selbst solche Könner am Ball wie Thiago. Aber letztlich zwangen sie die so alt klingende, nach Süles Rot-Sperre im Pokal neu formierte Abwehr aus Mats Hummels und Jérôme Boateng zu selten zu Fouls und Sprints. Auch wenn Hummels früh Gelb sah und Boateng den schnellen Rashica gelegentlich nur von hinten.

Die Münchner ließen sich allmählich hineinziehen in ein packendes Spiel, wurden zunehmend präsenter und waren immer gefährlicher. Kingsley Coman war dem Bremer Verteidiger Theo Gebre Selassie überlegen, das Duell sollte später das entscheidende des Abends werden. Über Coman liefen die meisten Angriffe der Münchner, er und Thomas Müller beschäftigten Werders Außenverteidiger permanent. Coman und zweimal Müller hatten auch die besten Bayern-Chancen, Müller bereitete das 1:0 für die Münchner durch Lewandowski in der 36. Minute vor. Nachdem Kevin Möhwald nach der Pause trotz sehr guter Chance den Ausgleich verpasst hatte (49.), traf Thomas Müller auf der Gegenseite zum 2:0 (63.). Das Spiel schien entschieden zu sein, die Bayern in dieser Phase schon zu überlegen, zu willig, zu allem entschlossen.

Es wird interessant sein, wie Bayern-Trainer Nico Kovac in den kommenden Tagen erklären wird, was dann geschah. Seit Lazarus gab es keine Auferstehung wie die der bereits geschlagenen Bremer, die innerhalb von 60 Sekunden zum Ausgleich kamen. Erst traf Osako gegen eine zum Stillstand erstarrte Münchner Abwehr zum 1:2, und als die Bayern noch darüber nachgedacht haben dürften, warum sich keiner von ihnen in dieser 74. Minute bewegt hatte, stand es 2:2. Milot Rashica war einfach mal an allen Bayern vorbeigerannt, keine Minute nach dem 1:2, und hatte auch Sven Ulreich überwunden.

Entschieden wurde das in diesem Moment denkwürdige Spiel schließlich durch den Strafstoß, Theo Gebre Selassie hatte ihn durch einen, den ersten Bildern zufolge bestenfalls milden Kontakt an Kingsley Coman verursacht und Schiedsrichter Daniel Siebert bereitwillig gepfiffen. Entsetzen ist ein kleines Wort für die Stimmung im Stadion zu diesem Zeitpunkt und bei den Bremern auf dem Rasen, aber die Videoschiedsrichter bestätigten offenkundig Sieberts Verdikt. Robert Lewandowski ließ sich die Chance nicht entgehen, verwandelte sicher gegen Werders Torwart Jiri Pavlenka. Nach dieser 79. Minute und auch in der fünfminütigen Nachspielzeit hatte Werder keine wirkliche Chance mehr auf den Ausgleich. "Ich denke, die Entscheidung war richtig", glaubte Thomas Müller unmittelbar nach dem Spiel. "Kingsley ist jetzt keiner, der sich fallen lässt." Nicht nur Bremens Kruse sah das ein ganz klein wenig anders: "Lächerlich. Wir haben einen Videobeweis. Wenn er das nicht sieht, können wir ihn wieder abschaffen."

Für Bayern München lebt damit die Chance auf zwei Titel in dieser dennoch irgendwie unsteten Saison weiter. Werder hingegen kann nun sicher sein, dass Platz sieben in der Liga reichen würde, um nach vielen Jahren wieder einmal im Europapokal mitspielen zu dürfen. Es würde sicher eine neue Euphorie in Bremen entfachen - oder halt einfach nur ein schönes Gefühl geben.

© SZ vom 25.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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