Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:Der Fall des Arturo Vidal

  • Arturo Vidal produziert eine klare Schwalbe und sorgt so für die Vorentscheidung im DFB-Pokal-Halbfinale des FC Bayern gegen Werder Bremen.
  • Der Chilene will nichts dazu sagen, dafür äußert sich Thomas Müller umfassend.
  • Werder Bremen, obwohl klar benachteiligt, verzichtet nach dem Spiel auf große Anklagen.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Die Briten sagen Taucher dazu und sie hassen ihn. Die Zeitung The Guardian veröffentlichte erst vor 14 Tagen einen episch langen Artikel mit dem Titel "Wie der Taucher zum schlimmsten Verbrechen des Fußballs wurde". Wer auf der Insel taucht, der wird vom Publikum verachtet - zum Teil auch von den eigenen Fans. Jürgen Klinsmann war zu seiner Zeit bei Tottenham Hotspur ein Taucher, aber er setzte zu einer Pressekonferenz mal eine Tauchermaske auf. Danach mochten ihn die Briten wieder ein bisschen, denn auf der Insel kann man fast alles mit Selbstironie wieder geraderücken.

Arturo Vidal trug am Dienstagabend, als er durch die Interview-Zone spazierte, keine Tauchermaske, auch keine Flossen. Er wollte auch nicht selbstironisch sein, das wäre nicht gut angekommen. Er beantwortete den spanischen Kollegen ein paar Fragen zu Atlético Madrid, dann ging er aus der Arena. Ohne Antworten und ohne hinzufallen.

"Ich fühlte mich in dem Moment schon betrogen"

Die Deutschen haben für den Taucher ein genau gegensätzliches Bild gewählt: die Schwalbe. Der Begriff soll von den weit ausgebreiteten Armen und den leicht ausgebreiteten Beinen beim Fallen des Fußballers kommen. Außerdem fliegen Schwalben ja manchmal tief. So von der Bewegung machte Vidal in der 70. Minute mit den Armen eher eine schwimmende Bewegung im Brust-Stil, vielleicht doch eher Taucher als Schwalbe. Egal, wie man es nennt, Schiedsrichter Tobias Stieler pfiff Elfmeter, Thomas Müller versenkte zum 2:0-Endstand im Halbfinale des DFB-Pokals.

Gerade zu einem Zeitpunkt, an dem Bremen sehr gut ins Spiel kam. Bayern wirkte trotz der 1:0-Führung (Kopfball, Müller, 30.) zuweilen tatsächlich wie eine normale Fußballmannschaft und das im schlechten Sinne. Bremens Janek Sternberg bezeichnete den Elfmeter später als "Genickbruch".

Sternberg war es auch, der mit sehr viel Risiko und offener linker Sohle in den Zweikampf mit Vidal rutschte, ihn aber eben nicht traf. "Ich fühlte mich in dem Moment schon betrogen", sagte Sternberg. "Als der Pfiff kam, bin ich auch stark davon ausgegangen, dass er Schwalbe pfeift. Als er dann auf den Punkt gezeigt hat, war ich entsetzt und hab gedacht, das ist eine reine Verarschung."

Es waren die deutlichsten Worte eines Bremers und das war vielleicht das Überraschendste an diesem Abend. Denn schon auf dem Platz protestierte kein Grün-Weißer außer Sternberg energischer und auch danach wollte keiner der Werderaner groß lamentieren. Thomas Eichin sagte: "Klar ist das ne Schwalbe, aber da mach ich dem Schiedsrichter keinen Vorwurf, das kann man nicht immer sehen, so eine Situation." Kapitän Clemens Fritz meinte mit ruhiger Stimme: "Wir waren wieder gut drin im Spiel, und dass dann dieser Elfmeter kommt, ist bitter." Und Trainer Viktor Skripnik sprach lieber länger über die ganze unglückliche Saison der Bremer als über den Elfmeter.

Eher ärgerten sich Eichin oder auch Claudio Pizarro noch darüber, dass Schiedsrichter Stieler kleinere Entscheidungen eher pro Bayern getroffen habe, das leichte Ziehen von Fin Bartels an David Alaba vor dessen Eigentor etwa. Stieler gab seinen Fehler beim Elfmeter übrigens zu und entschuldigte sich.

Auch Thomas Müller tat das, und rettet an diesem Abend wenigstens ein bisschen die Fair-Play-Seele des FC Bayern. Wo Vidal schwieg, gab Müller den Pressesprecher. "Es war eher so ein Schutzhochspringen", lavierte Müller noch für eine halbe Sekunde und wäre damit fast ins Fußballvokabular eingegangen, wie Andreas Möller, der bei seinem berühmten Zu-Fall-Kommen 1995 gegen den KSC später von einer "Schutzschwalbe" sprach. Aber im Gegensatz zu Möller erkannte Müller offenbar, dass es ausweglos ist, die Situation schönzureden, und meinte dann: "War eine Schwalbe. Gibt keine Entschuldigung dafür. Wenn ein Elfmeter so gegen uns passiert, stehe ich hier sicher und rede in einer anderen Tonart." Aber den Elfmeter für seine Mannschaft, den müsse er natürlich trotzdem verwandeln.

Die Diskussion um den Elfmeter bewahrte den FC Bayern aber auch vor anderen unangenehmen Fragen, etwa nach den sehr holprigen Minuten am Anfang von beiden Halbzeiten, die so gegen Atlético Madrid zu Gegentoren geführt hätten.

Für die Bremer, die wegen des Besuchs von US-Präsident Barack Obama am Samstag in Hannover (die Polizei im Norden wird dann dort gebraucht) schon am Freitag gegen Hamburg spielen müssen, bleibt so ein Trost. Außerdem: Der Spott und die Häme, die einen Fußballer nach einer solchen Aktion treffen, sind oft größer als die Spiele, die er dadurch vermeintlich gewinnt.

Vidal, der in seiner Karriere so oft seinen Gegenspielern völlig berechtigten Anlass gab, zu Boden zu gehen, ist ein besonderes Angriffsziel. Schon kurz nach dem Spiel las man von "Air"-turo Vidal, vom Flieger-Krieger oder von Arturo Vi-Fall. Oder dass man die Landebahnen am Münchner Flughafen doch nun bitte "Arturo" und "Arjen" nennen möge. Arjen Robben wird der Ruf des fallenden Holländers ebenfalls bis nach seiner Karriere verfolgen und wenn man "Andreas Möller" bei Google eingibt, zeigt einem die Suchmaschine immer noch als erste Ergänzung "Schwalbe" an.

Einer wie Thomas Müller übrigens, der kann in so einem Fall überzeugend sprechen, weil er selbst niemals im Verdacht steht, freiwillig gen Erde zu gehen. Als der Portugiese Pepe gegen ihn bei der WM in Brasilien einen Kopfstoß andeutete, ging Müller nicht zu Boden sondern an die Decke und geigte Pepe vermutlich auf Bairisch die Meinung. Wenn man "Thomas Müller Schwalbe" sucht, bekommt man früh das Kinder-Buch "Ein Jahr mit den Schwalben" des Autors Thomas Müller angezeigt. Arturo Vidal wird dagegen nun nicht seine hundert ehrlichen Zweikämpfe, sondern sein Segeln für immer bei Youtube verewigt sehen.

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SZ/hum/jobr
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