Süddeutsche Zeitung

DFB-Pokal:Carl Zeiss Jena hat Ancelotti schon einmal besiegt

Lesezeit: 3 min

Doch nun trifft der FC Bayern im DFB-Pokal auf einen Klub, der seit Jahren in der Regionalliga festsitzt. Der Weg zurück in den Profifußball ist weit und tückisch.

Von Philipp Selldorf, Jena

In diesen Tagen, da die Stadt Jena und der FC Carl Zeiss angemessen aufgeregt der Pokal-Begegnung mit dem FC Bayern München (Freitag, 20.45 Uhr) entgegensehen, ist viel von den großen Stunden des Fußball-Klubs zu hören und zu lesen. Diese liegen zwar eine Weile zurück, wirken aber mit wohlwollendem Bemühen immer noch akut in die Gegenwart - was an Carlo Ancelotti liegt, mit dem der thüringische Verein aus der Regionalliga Nordost rührende Erinnerungen verbindet.

Ancelotti, 57, gehörte am 1. Oktober 1980 jener Mannschaft des AS Rom an, die im Europapokal der Pokalsieger ins Ernst-Abbe-Sportfeld einzog, zum glatten 3:0-Sieg der Römer im Hinspiel hatte er als damals 21 Jahre alter Mittelstürmer sogar einen Treffer beigetragen. Die Sache schien klar geregelt zu sein. Das Wiedersehen in Jena wurde jedoch zum Desaster für Ancelotti und die Roma: Sie verloren 0:4, und der Reporter des Fachmagazins Neue Fußballwoche berichtete davon genüsslich mit klassenkämpferischer Polemik: "Vor Selbstherrlichkeit strotzend, gedachten die hochdotierten Roma-Profis ein süßes Leben zu führen."

Bis heute ist sich Ancelotti dieser Schmach lebhaft bewusst, die Partie hätte "auch 0:10" enden können, sagte er am Donnerstag in München vor der Abreise nach Jena: "Ich hoffe, dass es diesmal anders läuft", ergänzte der als Trainer zum FC Bayern gewechselte Italiener.

"Vierte Klasse, das ist unter unserer Würde", sagt Meyer

Dabei hatte das Spiel damals mit Klassenkampf nur bedingt zu tun. Auch die Spieler des FC Carl Zeiss Jena waren als Berufsfußballer in der DDR privilegiert gewesen, bezahlt vom Deutschen Turn- und Sportbund und mit Mitteln des Kombinats, in dessen Namen sie auftraten: "Eine Art Werksverein" sei der FCC damals gewesen, sagt Hans Meyer, 73, der den (älteren) Fußballfans in Jena in ähnlich guter Erinnerung geblieben ist wie der Triumph gegen die Roma.

Zwölf Jahre lang trainierte Meyer den Verein zwischen 1971 und 1983, und selbstredend muss auch er dieser Tage ständig von dem großen Abend vor 36 Jahren erzählen, wobei er es auf seine typische Art versteht, den Schwerpunkt in eigener Sache zu setzen: Meyer schwärmt nicht nur von dem großen Spiel, er spricht auch von der "spektakulären Einwechslung", die der Trainer tätigte - er selbst also.

Dem Einwechselspieler Andreas Bielau gelang das 3:0 und das 4:0 - "da hatte ich aber mal ein richtig glückliches Händchen gehabt", lobt fachkundig der Pensionär Meyer den einstigen Trainer Meyer. Glück von gestern.

Meyer lebt heute in Nürnberg und gehört dem Präsidium von Borussia Mönchengladbach an. Mit den Borussen war er in dieser Woche in Bern zur Champions-League-Qualifikation zu Besuch (3:1), den Weg nach Thüringen hingegen wird er am Freitag nicht auf sich nehmen. Er guckt das große Spiel in Jena im Fernsehen.

Es ist nicht so, dass ihm das Schicksal seines früheren Vereins egal wäre, aber mehr als "ein solider Platz in meiner Erinnerung" ist nicht geblieben. Meyer beobachtet, wie der Klub auch in dieser Saison wieder Anlauf nimmt, aus jener Falle zu entkommen, in die es ihn nach dem Abstieg aus der dritten Liga 2012 verschlagen hat: "Vierte Klasse, das ist unter unserer Würde", sagt er, doch er weiß, dass Carl Zeiss nur einer von vielen ehedem bedeutenden Klubs ist, die in dieser in fünf deutsche Staffeln unterteilten Regionalliga festsitzen. Meyer nennt Vereine wie Kickers Offenbach, Rot-Weiß Essen und sogar den FK Pirmasens: "Das ist ja kein Phänomen des Ostens." Nur drei von rund 90 Regionalligisten dürfen am Saisonende hoch in die dritte Liga - selbst die Staffelmeister müssen noch in eine Aufstiegsrunde.

Tatsächlich plagt sich Jena also mit den handelsüblichen Problemen gefallener Traditionsklubs. Hohe Ansprüche konkurrieren mit beschränkten Mitteln. Ein belgischer Investor - der Geschäftsmann Roland Duchatelet, Besitzer diverser Fußballklubs in mehreren Ländern - hat zwar mit Millionengaben die Finanzen aufgefrischt, aber für emotionale Entzweiung in Klubführung und Anhängerschaft gesorgt.

Zur Debatte um externe Geldgeber hat Meyer eine klare Meinung

Über die Motive des Investors weiß Hans Meyer zu wenig, um ein Urteil zu treffen, aber zur Debatte um die externen Geldgeber hat er sehr wohl eine Meinung: Er hält sie, zumal im Fall des Bundesligaaufsteigers RB Leipzig, für "Heuchelei: Wir leben in der Marktwirtschaft." Doch auch die fabelhaft ausgestatteten Leipziger lernten auf ihrem Marsch in die erste Liga das Nadelöhr Regionalliga als Stolperfalle kennen. Umso mehr gilt das nun für den FCC: Der Weg zurück ins Refugium des alten Ostfußballs - die dritte Liga mit Chemnitz, Zwickau, Magdeburg und anderen - ist weit und tückisch.

Immerhin ist den Jenensern diesmal ein starker Saisonstart gelungen: Vier Siege ohne Gegentor, die passende Bilanz vor dem Treffen mit den großmächtigen Bayern, für das die Gastgeber eine Extratribüne aufgestellt haben. Knapp 19 000 Zuschauer werden erwartet - "Nachwenderekord!", wie der Klub meldet.

Nach dem Sieg gegen Ancelotti erreichte Meyer mit dem FC Carl Zeiss 1981 das Finale des Europapokals der Pokalsieger, das in Düsseldorf stattfand. 5000 Zuschauer bildeten beim Spiel gegen Dynamo Tiflis die trostlose Kulisse, die Georgier gewannen 2:1. Doch wenn er an den Europacup denkt, erinnert sich Meyer außer an die Roma an das 2:3 bei Real Madrid ein Jahr zuvor. Denn im Bernabeu ging nicht nur das Spiel verloren, sondern es zerriss beim Jubel über Jenas Führungstor auch die teure Jacke aus dem Westen, die er in der "Exquisit"-Ladenkette besorgt hatte: "Das war fast so schlimm wie unsere Niederlage".

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Quelle:
SZ vom 19.08.2016
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