DFB-Elf in der Nations League:Sanatorium für trübe Bayern

DFB-Elf in der Nations League: Gezeichnet zur Nationalelf: Joshua Kimmich vom zuletzt ungewohnt erfolglosen FC Bayern.

Gezeichnet zur Nationalelf: Joshua Kimmich vom zuletzt ungewohnt erfolglosen FC Bayern.

(Foto: Sebastian Gollnow/dpa)

Vor den Länderspielen gegen Ungarn und England geht es auch darum, dass sich die Münchner Fraktion vom Misserfolg im Klub erholt. In deutlich besserer Stimmung ist ein DFB-Debütant eingetroffen.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

In Winden im Elztal haben damals alle vor dem Fernseher gesessen und die Daumen gedrückt. Genutzt hat es nichts. Bayer Leverkusen verlor nach der vermeintlich schon erbeuteten Meisterschaft auch das DFB-Pokalfinale gegen Schalke 04 und war damit noch nicht am Ende des Martyriums angelangt: Trotz verschärfter Fürbitten der Kollegen aus dem Nationalteam ("jetzt müssen wir alle noch mehr die Daumen drücken", so damals der Dortmunder Sebastian Kehl) ging es ein paar Tage später auch im dritten Versuch für Bayer schief.

Real Madrid trug in der Champions League den Sieg davon, und das Vizekusen-Quintett mit Frontmann Michael Ballack traf als Verlierertruppe im Trainingslager der Nationalmannschaft vor der WM 2002 ein. Oliver Bierhoff, damals noch als Stürmer aktiv, gab eine Empfehlung, die ihm heute als Funktionär auch immer wieder in den Sinn kommen dürfte: Totschweigen solle man das Thema, "sonst setzt sich das in den Köpfen fest".

Zwanzig Jahre später - Schauplatz DFB-Campus in Frankfurt, Auftakt zur Vorbereitung auf die letzte Nations-League-Länderspielrunde vor der WM in Katar - muss sich Joshua Kimmich fragen lassen, wie es um die Solidarität der Kollegen mit ihm und den anderen FC-Bayern-Spielern bestellt sei. Ob jetzt Häme und Spott und die Vergeltung der vielfach Besiegten laut würden, das soll Kimmich auf dem Podium erläutern, und seine Antwort besteht zunächst aus Ironie ("klar, die hauen jetzt alle drauf") - und dann aus einer etwas gequälten Entwarnung. Von Mitgefühl für die Bayern-Fraktion kann wohl nicht direkt die Rede sein, und von totschweigen auch nicht. Dafür sorgt vorneweg der FC-Bayern-Emigrant Niklas Süle, von dem, so Kimmich, "schon mal was zu hören" sei: "Der kommt jetzt rausgekrochen".

Die Nationalmannschaft als Sanatorium, das ist ein altes Postkarten-Motiv, das beim DFB, Abteilung Nationalmannschaft, immer gern gepflegt wurde. Spieler wie Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger hätten sich in bestimmten Phasen ihrer Karriere den Aufenthalt in Jogi Löws Lager vom Arzt verschreiben lassen dürfen, weil es ihnen dort gleich besser ging als zu Hause. Joshua Kimmich wusste am Dienstag von solchen Einwirkungen nach der ersten Ertüchtigung auf dem DFB-eigenen Trainingsplatz nicht zu berichten. Es lief nicht rund in seinem Team beim Trainingsspiel. Das sei "schon sinnbildlich" für die aktuelle Situation gewesen, klagte der 27 Jahre alte Mittelfeldspieler, "wir verlieren wieder, weil wir die Dinger nicht reinmachen". Unter anderen durfte sich da auch Timo Werner angesprochen fühlen, am Dienstag Kimmichs Trainingsteam-Kamerad und bei RB Leipzig zurzeit ähnlich erfolglos wie die Angreifer aus München.

Hinter Katar bildet sich schon Hansi Flicks nächste große Aufgabe ab: die EM 2024 in Deutschland

Es hat allerdings schon deutlich leidenschaftlichere Trainingsspiele gegeben als jenen Kick auf dem neuen Campus, bei dem der neue DFB-Teamspieler Armel Bella-Kotchap buchstäblich herausragte. Bei 1,90 Meter Körpergröße ist er in der Runde keineswegs ein einsamer Gigant, trotzdem fällt er mit seiner wuchtigen Erscheinung auf. Der Verteidiger, beim VfL Bochum im vorigen Jahr wegen seines Übereifers nicht immer nur positiv hervorgetreten, hat beim FC Southampton außer Fußball- auch ein spezielles Fitness-Training absolviert. Das soll seinen Krafthaushalt ins Gleichgewicht gesetzt haben. Sein neuer Trainer Ralph Hasenhüttl lobt nun die Beständigkeit des für zehn Millionen Euro erworbenen Abwehrspielers.

DFB-Elf in der Nations League: Gut gelaunter Debütant: Auch Armel Bella-Kotchap (rechts) gehört nun zur Nationalmannschaft.

Gut gelaunter Debütant: Auch Armel Bella-Kotchap (rechts) gehört nun zur Nationalmannschaft.

(Foto: Alex Grimm/Getty Images)

Die DFB-Berufung so kurz vor dem großen Turnier kam für den Betroffenen überraschend. Hansi Flick hatte Glück, dass der 20-Jährige überhaupt ans Telefon ging ("ich kannte die Nummer nicht"). Er habe sich wirklich "sehr gewundert", erzählte Bella-Kotchap in Frankfurt, aber er darf sicher sein, dass ihn Flick nicht bloß deshalb eingeladen hat, damit er seine Erfolgsgeschichte erzählt - als Kontrast zur trüb gestimmten Bayern-Fraktion sozusagen.

Vielleicht geht es bei ihm noch nicht unbedingt um die WM-Teilnahme, aber um den Aufbau einer langfristigen Beziehung - und letztlich auch darum, den anerkannt reich veranlagten Verteidiger für das deutsche Team zu gewinnen und nicht an Kameruns unbezähmbare Löwen zu verlieren, denen er sich auch anschließen könnte. Flick hat schon einige solcher Operationen erledigt. Bei Jamal Musiala, von England umworben, hatte er mit seinem Einfluss Erfolg - damals noch als FC-Bayern-Trainer -, bei Salih Özcan nicht. Der trat dem türkischen Team bei.

Flicks A-Kader, der nun zum ersten Mal die schicke neue Heimat des DFB in Frankfurt beehrt hat, bildet gewissermaßen die nahe und fernere Zukunft des Teams ab. Die beiden Nations-League-Spiele gegen Ungarn am Freitag (in Leipzig) und in England am Montag sind auf der Durchreise zur WM in Arabien die letzten Etappen, aber im Hintergrund bildet sich schon Flicks nächste große Aufgabe ab: die Europameisterschaft in Deutschland 2024.

Doch "jetzt geht es erst mal darum, mit der Nationalmannschaft gut zu spielen", hielt Joshua Kimmich fest. Die Leverkusener haben sich damals im Schwarzwald übrigens schnell erholt und kehrten standesgemäß als Zweiter von der WM in Japan und Korea zurück.

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