DFB gegen Spanien:Bitte Eindruck machen!

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Darf gegen Spanien vorspielen: Kai Havertz. (Foto: Getty Images)

Die Nationalmannschaft spielt das erste Länderspiel nach zehn Monaten: Gegen Spanien sollen Spieler wie Kai Havertz zeigen, was sie drauf haben.

Von Philipp Selldorf, Stuttgart

Sicherlich wird mancher Zuschauer verwundert schauen, wenn er am Donnerstagabend vor dem Fernseher sitzt. Dass ein Fußballspiel übertragen wird, das ist zwar nichts Ungewöhnliches. Aber dass es sich bei diesem Fernsehspiel um ein Länderspiel handelt, das entspricht längst nicht mehr den hiesigen Sehgewohnheiten. Schließlich wachsen bereits zahlreiche Kinder heran, die noch nie ein Länderspiel geschaut haben - auch wenn das, zugegeben, noch ziemlich kleine Kinder sind.

Zehn Monate sind seit Joachim Löws jüngstem Einsatz als Bundestrainer vergangen, im November 2019 hatte es in Frankfurt einen 6:1-Sieg gegen Nordirland gegeben, der die Kampagne zur EM-Qualifikation imponierend abrundete. Zur Europameisterschaft ist es dann bekanntlich nicht gekommen, und so standen sich nun beim Wiedersehen der DFB-Abordnung im Waldhotel in Stuttgart-Degerloch eine Menge Leute gegenüber, die sich lange nicht mehr begegnet waren.

Es gab herzliche, aber nicht unbedingt ergreifende Szenen des Wiedersehens. Viele Spieler hatten ohnehin ständig Kontakt, und weite Teile der Stabsmitglieder sind sich durch die langjährige Mitgliedschaft zum Tross so vertraut, als wären sie inzwischen verwandt oder verschwägert. Die Ärzte Sepp Schmitt und Tim Meyer etwa kümmerten sich schon in den Zeiten der Bundestrainer Berti Vogts und Rudi Völler um die Fußballer, desgleichen der Physiotherapeut Wolfgang Bunz und der Zeugwart Thomas Mai. Die Liste der Altgedienten ist so lang, dass sich Mitarbeiter mit acht oder zehn Jahren Dienstzeit in diesem Kreis wie Grünschnäbel vorkommen, weil sie damals, weißt du noch, in Tokio oder Teheran nicht dabei waren. Insofern darf man den Augenzeugen glauben, dass sie sich an die Atmosphäre eines turnusmäßig stattfindenden Familientreffens erinnert fühlten, als die Reisegesellschaft des DFB am Sonntag und Montag zusammenkam.

Es geht auch um Weltranglistenpunkte

Auch mancher Spieler zählt sich mittlerweile zur obligatorischen Belegschaft. Bei Toni Kroos, 30, macht sich der Bundestrainer gar nicht mehr die Mühe, eine Einladung auszusprechen. "Es ist eigentlich so: Wenn ich nichts höre von Jogi, dann reise ich auch an. Egal, ob ich nominiert bin oder nicht. Ich komme dann", berichtete Kroos in dem Podcast "Einfach mal luppen", den er mit seinem Bruder Felix betreibt. Nicht mehr informiert zu werden, betrachtet er "als Form der Wertschätzung". Diesmal nimmt die Anerkennung weitere Formen an: In Abwesenheit von Manuel Neuer wird Kroos am Donnerstagabend als Kapitän den Wimpeltausch mit seinem spanischen Kollegen vollziehen.

Dass zur Rückkehr der Nationalelf in die deutschen Wohnzimmer der Festtagsgegner Spanien heißt und nicht Bulgarien oder Finnland, das haben die Deutschen der Uefa zu verdanken, die vor einem Jahr entschieden hatte, ihren neuen Wettbewerb, die Nations League, gleich nach dessen Erstausgabe umfassend zu reformieren. Eigentlich waren die Deutschen bereits in Europas zweite Liga abgestiegen. Doch die Uefa stockte das Teilnehmerfeld der Elite-Gruppe A auf und ersparte dem DFB die Herabsetzung.

Einfacher ist das Reglement auch in der zweiten Fassung nicht geworden. In der Nations League wird nicht nur um die Zulassung zu einer Finalrunde gerungen (Termin wegen der auf Sommer 2021 verlegten EM unbekannt), sondern auch um Weltranglistenpunkte, die wiederum für die Qualifikation zur WM 2022 in Katar von Bedeutung sein können. Wollte Löw seinen Spielern alle Details der Wettbewerbsordnung nahebringen, hätte er viel zu tun. Beobachter bezweifeln jedoch, dass er selbst ausreichende Kenntnisse besitzt.

Wie man Löw kennt, wird er sich nach bewährter Manier damit begnügen, bei der Einstimmung auf die Begegnung mit Spanien der Intuition zu folgen, die ihn am Spieltag ereilt hat. Zumal da die Zeiten vorbei sind, dass die Spanier das Ideal seiner fußballerischen Vorstellungen erfüllten und ein irgendwie übermächtiger Gegner zu sein schienen. Während in Spanien der Umbruch erst begonnen hat, glauben sich die Deutschen beim Aufbau einer neuen Mannschaft schon ein Stück weiter.

Dass Löw den Champions-League-Siegern Neuer, Joshua Kimmich, Serge Gnabry und Leon Goretzka Urlaub gewährt, geschieht nicht nur mit Rücksicht auf die Gesundheit der Spieler und die Stimmung in der Führung des FC Bayern (einschließlich seines früheren Mitarbeiters Hansi Flick) - er sieht das auch als willkommene Gelegenheit, um unter Ernstfallbedingungen die Tiefe seines Kaders auszuloten.

Besonders Kai Havertz, 21, und Julian Brandt, 24, sollen Gelegenheit erhalten, Eindruck zu machen, nachdem oft genug für sie kein Platz in der ersten Reihe war. Ähnliches gilt für Thilo Kehrer, 23, und den ewig talentierten Julian Draxler, 26. Leroy Sané, 24, und Niklas Süle, 24, sehen ihre Einsätze nach langen Verletzungspausen als Chance für einen guten Einstieg in den Saisonbetrieb. Seinen Auftritt vor der Presse am Dienstag nutzte Süle für Werbung in eigener Sache: "Mein Fitnesszustand ist auf einem sehr guten Level. Ich traue mir auf jeden Fall zu, beide Spiele zu machen."

Nicht mal beim DFB wird ernsthaft geleugnet, dass der bevorstehende Marathon an Länderspielen (außer den Spielen gegen Spanien sowie am Sonntag in der Schweiz gibt es im Oktober und November sechs weitere Partien) aus sportlicher Sicht ziemlich quer im übervollen Terminkalender steht. Die betroffenen Spieler aber sehen das offenbar anders. Süle gab gar eine Liebeserklärung ab, die er in einen erstaunlichen Satz kleidete: "Der DFB hat mir unglaublich gefehlt", versicherte der Verteidiger. Beim DFB ist man gespannt, ob es das Publikum daheim auch so empfindet.

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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