DFB-Remis gegen Serbien:Das Publikum grollt

  • Die deutsche Nationalelf enttäuscht gegen Serbien auch im ersten Länderspiel des Jahres 2019.
  • Die Zuschauer äußern ihre Unzufriedenheit in Wolfsburg - von den Rängen kommen viele Pfiffe.
  • Die Nationalspieler sehen ihre Leistung kritisch - vor allem in der ersten Halbzeit.

Von Carsten Scheele, Wolfsburg

Hätte sich ein Zuschauer am Mittwochabend in der Wolfsburger Arena den Spaß gemacht und eine Liebeserklärung auf den Platz geschrien, wahlweise auch die Mutter gegrüßt oder lautstark den Einkaufszettel nach Hause durchgegeben, er wäre über die Außenmikrofone bestens zu verstehen gewesen, bis tief hinein in die deutschen Fernsehzimmer. So leise wie in der ersten Halbzeit zwischen Deutschland und Serbien war es jedenfalls lange nicht mehr gewesen bei einem Spiel der Fußballnationalmannschaft. Auf den Rängen wurde ein bisschen getrommelt, manchmal kurz geklatscht. Dann wieder diese Stille.

Bis zur 45. Minute. Dann kamen die Pfiffe.

Der schottische Schiedrichter Bobby Madden hatte gerade zur Pause gebeten, da äußerten die Zuschauer, die zuvor die Anfeuerung verweigert hatten, ihren Unmut. Mit lauter Pfeiferei wurde gar der Stadionsprecher übertönt, der gerade etwas Optimismus verbreiten wollte: 0:1 zur Halbzeit im Test gegen Serbien, das könne ja eigentlich nur besser werden. Wurde es immerhin in der zweiten Halbzeit, für die DFB-Fußballer sprang noch ein 1:1 (0:1) im an und für sich unbedeutenden Testspiel heraus - doch die Pfiffe des Publikums beschäftigten die Nationalspieler.

Ganz einig waren sie sich nicht, wie der Groll des Publikums nun zu deuten war. Da war etwa İlkay Gündoğan, der die Nationalelf in der zweiten Halbzeit erstmals als Kapitän auf dem Platz anleitete, der den Unmut nur bedingt nachvollziehen konnte. "Das hilft uns natürlich nicht", erklärte Gündoğan. Die Pfiffe des Publikums seien für ihn "nicht verständlich, aber wir sind Profis". Auch Jonathan Tah bemerkte, man brauche in dieser Phase des Umbruchs sicher Unterstützung, aber keine Pfiffe.

Etwas anders klang das bei Joshua Kimmich ("verstehe, dass die Leute ungeduldig werden") und vor allem bei Leon Goretzka, der mit seinem Tor in der zweiten Halbzeit zumindest das Unentschieden gerettet hatte. Nach der verpatzten WM 2018 (Aus in der Vorrunde) und dem Abstieg in der Nations League müsse die Mannschaft zusehen, dass sie endlich wieder Leistung bringe. "Es liegt ja an uns, die Pfiffe in Freude und Jubel zu verwandeln", so Goretzka, was als schlüssige Argumentation durchgehen musste.

Der Kredit, den die deutschen Fußballer durch den WM-Titel 2014 und gute Leistungen in den Jahren danach erarbeitet hatten, scheint jedenfalls aufgebraucht - das wurde in Wolfsburg deutlich. Die erste Halbzeit war tatsächlich nicht schön anzusehen, die Serben waren durch einen Treffer des Frankfurters Luka Jović (12.) auch verdient in Führung gegangen. Dass die Mannschaft nach dem Radikalumbau von Bundestrainer Joachim Löw, der die Weltmeister Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller aus dem Team befördert hatte, noch um Stabilität ringt, war fast überall ersichtlich.

Die Serben mussten nur wenige Mittel aufwenden, um die Führung zu verwalten, die DFB-Spieler waren ohnehin vor allem mit sich selbst beschäftigt. "Wir haben uns in Räumen aufgehalten, in denen wir gar nicht sein wollten", beschrieb Goretzka das Kuddelmuddel der ersten Halbzeit. Löw hatte eine sehr junge Mannschaft aufgeboten, mit dem Debütanten Lukas Klostermann und seinem Leipziger Teamkollegen Marcel Halstenberg auf den defensiven Außenpositionen. Zwischen ihnen machten Niklas Süle und Tah als Innenverteidiger keine wirklich gute Figur, nicht beim Gegentor und auch nicht bei einigen Szenen danach.

Sorgen vor dem Spiel in Amsterdam

Das war insbesondere besorgniserregend, da die deutsche Mannschaft schon am Sonntag in Amsterdam auf die Niederlande trifft - in der EM-Qualifikation, wenn es also um etwas geht. Gündoğan drückte es so aus: "Das Selbstverständnis, das diese Mannschaft ausgemacht hat, ist nach den Negativerlebnissen der letzten Monate nicht mehr ganz da."

Die zweite Halbzeit lief dann immerhin besser, was auch die Zuschauer ansatzweise versöhnte. Löw hatte in Marco Reus einen wichtigen Spieler gebracht, den er in der ersten Halbzeit noch geschont hatte. "Da haben wir mit viel mehr Tempo gespielt, waren in den gefährlichen Räumen viel präsenter, sind mit mehr Spielern in die Tiefe gestoßen", lobte Löw. Dass durch Goretzka (69.) nur noch ein Tor erwirtschaftet wurde, wurde dem Spielverlauf allerdings nicht gerecht. Vor allem Gündoğan, dessen Ball von der Linie geschlagen wurde, und mehrfach Leroy Sané hätten den Sieg für die DFB-Elf herausschießen können, sogar müssen. Das 1:1 sei viel zu wenig, klagte deshalb Kimmich: "So ein Spiel wie heute nervt mich extrem."

Die Wahl für Wolfsburg als Austragungsort für das erste Länderspiel 2019 hatte sich für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) also als wenig glücklich erwiesen. Eine Mannschaft, die um eine Struktur ringt, hätte sich in einem lauteren Stadion mit einem Grundrauschen vielleicht leichter getan - in Wolfsburg dagegen, wo der neue DFB-Sponsor VW seinen Sitz hat, waren etliche Sitzschalen leer geblieben. Als der Stadionsprecher trotzdem vermeldete, das Spiel sei ausverkauft, machte sich höhnisches Gemurmel auf den Rängen breit.

Vielleicht ganz gut, dass es nun zum Auswärtsspiel nach Amsterdam geht. Was die folgenden Heimaufgaben betrifft, ist den Spielern allerdings bewusst, dass sich die Nationalelf nicht mehr viele Auftritte wie in der ersten Halbzeit in Wolfsburg leisten sollte - auch wenn es sicher noch dauern wird, bis das stark verjüngte Team eine echte Struktur aufweisen kann, die wieder mit der der Weltmeistermannschaft verglichen werden kann. Die ambivalente Situation, in der sich die DFB-Elf derzeit befindet, fasste der Dortmunder Reus besonders schön in Worte: "Wir wissen, dass wir Zeit brauchen. Aber wir wissen auch, dass wir die nicht haben."

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