DFB-Mittelfeldspieler Sami Khedira:Vom Adjutanten zum heimlichen Chef

Plötzlich im Blickpunkt: Sami Khedira sammelt wegen seiner Präsenz Komplimente im deutschen Mittelfeld. Die Zeiten, als er nur Bastian Schweinsteiger still zur Seite stand, sind längst vorbei. Khediras Eigenständigkeit wird allmählich anerkannt - nicht nur bei Real Madrid, sondern auch im DFB-Team.

Philipp Selldorf

Thomas Müller hat am Mittwoch festgestellt, er fände es nach drei deutschen Siegen während der Vorrunde "komisch, dass so sehr auf die Euphoriebremse gedrückt wird". Er meint, man sollte "über das Ganze ein bisschen positiver resümieren, als es hier in der Medien-Landschaft gemacht wird. Im Moment kommt es einem so vor, als ob wir uns dafür schämen müssten, wenn wir den EM-Titel holen sollten."

Obwohl sie nicht malen, musizieren oder dichten, sind Profi-Fußballer der gehobenen Klasse in ihrem Selbstverständnis wie Künstler. Sie wollen gefeiert werden für ihre Siege. Es mag sein, dass sie trotz der Siege ihre eigenen Taten kritisch sehen, dass sie unzufrieden sind, weil sie kein Tor geschossen, keinen herrlichen Pass gespielt oder kein brillantes Dribbling verwirklicht haben; aber diese Kritik ist ihre Privatsache. Die Medien und die Öffentlichkeit sollen sich gefälligst über die Siege freuen und Blumensträuße in die Garderobe schicken.

Rechtsaußen Müller gehört wie Spielmacher Mesut Özil und Linksaußen Lukas Podolski zu den prominenten Offensivspielern, denen bisher die Bouquets weitgehend vorenthalten wurden. Dass stattdessen Sami Khedira in der öffentlichen Wahrnehmung Karriere gemacht hat, sagt einiges über den deutschen Weg durchs Turnier und den Charakter der Vorrunden-Erfolge aus.

Es ist nicht mehr nur das Privileg der Experten (und notorischen Schlaumeier), seine Beiträge zum Großen und Ganzen wertzuschätzen - seine lebhafte Gegenwart im deutschen Mittelfeld hat jetzt Wirkung aufs große Publikum. In den drei Jahren, in denen er zum DFB-Team gehört - seit der WM 2010 als Mitglied der Stammbesetzung - war Khedira noch nie so bedeutsam im Bild wie diesmal.

Im deutschen Trainerstab ist man darüber nicht besonders verblüfft. Auf Khedira haben Joachim Löw und Hansi Flick schon achtgegeben, als der schwäbische Deutsch-Tunesier noch damit beschäftigt war, beim VfB Stuttgart in die Profi-Laufbahn zu starten, während das defensive Mittelfeld im Nationalteam von Michael Ballack und Torsten Frings regiert wurde. Die Trennung von defensivem und offensivem Mittelfeld hat Löw im Zuge des allgemeinen Fortschritts abgeschafft, Mittelfeldspieler sollen in Tateinheit längst beides leisten: den Gegner defensiv bekämpfen und die eigene Offensive antreiben.

In diesem Leistungsprofil hat sich Khedira so eindrucksvoll eingerichtet, dass die Trainer nun sogar das Gefühl haben, sie müssten Missverständnissen über seinen Stellenwert entgegentreten. Bis zur EM galt Khedira als aufopferungswilliger Adjutant von Bastian Schweinsteiger, jetzt heißt es plötzlich überall, dass er im deutschen Spiel die prägendere Figur sei. "Wir sehen das im Trainerstab ein bisschen anders", sagt Hansi Flick, wobei er nicht Khediras gelungene Auftritte abwerten will. Er will "die etwas unauffälligere Rolle" des Strategen Schweinsteiger gewürdigt wissen.

Wucht und Dynamik

"Sami", meint Flick, "ist aufgrund seiner Präsenz und Laufstärke sehr dominant", er prescht mit Wucht und Dynamik durch den Bildmittelpunkt. Um die weniger auffällige Strukturarbeit kümmert sich Schweinsteiger. Das hat mit einer feineren Abstimmung und nichts mit einem Hierarchiewechsel zu tun, aber auch mit Khediras gestiegener Geltung. "Die Verantwortung geht nach oben, wenn man viele Spiele gemacht hat", stellt er fest, betont sachlich. Aber natürlich ist er auch mächtig stolz auf sein gewachsenes Ansehen.

Soeben hat die Zeitschrift Sport-Bild über eine Klausel aus Khediras Vertrag mit Real Madrid berichtet. Angeblich ist darin seine Ablösesumme festgeschrieben, sie beträgt demnach die Phantasiesumme von 150 Millionen Euro. "Mit Zahlen in dieser Ausrichtung kenne ich mich nicht aus", hat Khedira erklärt und an seinen Berater verwiesen, als er am Mittwoch darauf angesprochen wurde. Er fügte jedoch hinzu, dass Interessenten sich Erkundigungen sparen könnten: "Die Zahl interessiert mich relativ wenig, weil ich noch viele Jahre für Real Madrid spielen werde."

Khedira hat die selbstbewusste Meinung gefasst, dass der berühmteste Klub der Welt die angemessene Heimat für ihn ist, in der verrückten Realität von Real Madrid hat er sich nicht nur assimiliert, sondern auch etabliert. Seine Eigenständigkeit wird allmählich anerkannt. Das hat mit dem Trainer José Mourinho zu tun, der Khediras soziale Hingabe im Rahmen des Mannschaftsauftritts zu schätzen weiß. Aber auch mit der natürlichen Spielintelligenz, die Khedira vermutlich schon zu seinen Urzeiten als Fußballer beim TV Oeffingen besessen hat.

Nach dem Spiel gegen Dänemark hat sich Schweinsteiger über das Laufpensum beklagt, das er zu leisten hatte. Ebenso wie Khedira musste er deutlich mehr als zwölf Kilometer zurücklegen. An diesem Makel wird jetzt im Labor des Trainerstabs gearbeitet, auch Khedira hält das für nötig. "Wir hatten zu viele Räume zwischen der Abwehr und dem Sturm - die Leidtragenden sind immer die Mittelfeldspieler", sagt er, "wir hätten es mannschaftstaktisch cleverer und intelligenter machen müssen." Kollektive Vorneverteidigung soll auch gegen die mutmaßlich hochgradig defensiv eingestellten Griechen das Gebot sein.

Khedira ist einer von elf Real-Madrid-Spielern, die mit ihren Teams im EM-Viertelfinale stehen. Von seinem Mitspieler Iker Casillas hat er das schöne Kompliment erhalten, er spiele bisher "ein großartiges Turnier". Khedira freute sich über das Kompliment und antwortete darauf, wie Fußball-Künstler antworten: "Aber für mich ist nicht wichtig, wie ich spiele, sondern wie die Mannschaft spielt."

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