Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf vor dem Niederlande-Spiel:Van Dijk versus van Löw

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An diesem Abend zeigt sich, wer schon mal für die EM-Endrunde 2020 in London planen kann? Die alten Rivalen Deutschland und Niederlande im unbestreitbaren und unbestechlichen Vergleich.

Von Christof Kneer und Philipp Selldorf

Dank des ehemaligen Uefa-Präsidenten Michel Platini findet die EM 2020 in 13 Ländern statt. Favoriten gibt es fast ebenso viele. Gehören die Deutschen und die Niederländer dazu? Das wissen sie selber nicht so genau, beide Nationalteams befinden sich in einem massiven Umbruch. Trotzdem müssen die logistischen Fragen (Flüge, Hotels) schon jetzt geklärt werden. Vor dem Duell der beiden sich selbst noch recht geheimen Favoriten ist die SZ gern behilflich und stellt den Reisebüros der Verbände im direkten Vergleich der ewigen Widersacher eine unbestreitbare und - für dieses Gewerbe ungewöhnlich - unbestechliche sportliche Analyse zur Verfügung.

Obwohl Platini nicht mehr Uefa-Chef ist und sich wie Reinhard Grindel, Wolfgang Niersbach und Sepp Blatter im Funktionärsexil im Höllental befindet, trägt die amtliche Tauglichkeitsplakette seinen Namen. Die bronzene Platini-Plakette zeigt die sportliche Tauglichkeit für die zweiwöchige Vorrunde an, die silberne empfiehlt immerhin Reisedispositionen bis zum Viertelfinale, das goldene Gütesiegel legt frühzeitige Reservierungen für Halbfinale und Endspiel im teuren London nahe.

Tor

Im niederländischen Tor steht Jacobus Antonius Peter Cillessen, das klingt fast noch besser als Marc-André ter Stegen. Aber die Wahrheit ist: Hollands Nummer eins, Cillessen, war beim FC Barcelona nur die Nummer zwei, während die Nummer eins des FC Barcelona, ter Stegen, bei Deutschland nur die Nummer zwei ist. Mehr muss man nicht wissen, oder? Außer natürlich, dass Cillessen jetzt beim FC Valencia die Nummer eins ist, immerhin.

Reiseoption Deutschland: Goldene Platini-Plakette in doppelter Ausfertigung dank der beiden Weltklassekeeper Manuel Neuer und ter Stegen. Extrapluspunkt: Der dritte Torwart Bernd Leno (FC Arsenal), der in London zuhause wohnen kann.

Reiseoption Niederlande: Silberne Platini-Plakette. Reicht für Baku, Bukarest und Bilbao - Reiseziele auf Valencia-Niveau.

Abwehr

Das muss man unbestechlich zugeben: Mathijs de Ligt, 20, und Virgil van Dijk, 28, bilden die beste niederländische Innenverteidigung seit den Zeiten mit Frank Rijkaard und Ronald Koeman. Der eine - de Ligt, neuerdings Juventus Turin - ist auf dem Weg zum Weltstar, der andere - van Dijk, FC Liverpool - ist schon einer. Das kann man von Matze Ginter und Niki Süle noch nicht sagen. Auch nicht von Toni Rüdiger (zurzeit verletzt) und Jona Tah (Leverkusen). "Scheromm" (Originalton Jogi Löw) Boateng und Matze Hummels waren mal Weltstars, wurden aber deshalb vom Bundestrainer ins Weltstarexil geschickt.

Die Außenverteidiger beider Nationalmannschaften haben kein Weltstar-Prädikat, hier steht's unentschieden (ein Nullzunull der besseren Sorte immerhin). Sind die Niederländer von daheraus (Originalton Huub Stevens) insgesamt im Vorteil? Hm. Selbst mit Rijkaard und Koeman haben sie 1990 bei der WM im Achtelfinale gegen Deutschland verloren. Im EM-Halbfinale 1988 reichte es zwar zu einem 2:1-Sieg - aber das ist schon lang her.

Reiseoption Deutschland: Silberne Platini-Plakette der besseren Sorte, dank Süle.

Reiseoption Niederlande: Goldene Platini-Plakette dank de Ligt und van Dijk, zumal Letzterer kostengünstig aus Liverpool pendeln kann.

Mittelfeld

Deutschland kann es sich leisten, einen künftigen Weltfußballer auf die Bank zu setzen. Kai Havertz spielt eine zentrale Rolle in Leverkusen, aber noch nicht in der Nationalelf, in der stattdessen Spieler aus München (Joshua Kimmich), Madrid (Toni Kroos) und Manchester (Ilkay Gündogan) spielen. "In den nächsten Jahren wird er sich durchsetzen", sagte Löw am Donnerstag über Havertz. Konfliktpotenzial besteht durch die Sonderstellung von Kroos, der zuletzt das Privileg genoss, sich nicht zu jedem Spiel bequemen zu müssen - und trotzdem den Stammplatz für selbstverständlich zu halten. Kroos hat die Gefahr erkannt: Künftig will er auf das Privileg verzichten.

Hollands Havertz heißt Frenkie de Jong, 22, und spielt nicht mehr bei einer Art Leverkusen (Ex-Klub: Ajax Amsterdam), sondern beim FC Barcelona. Auf seinen jungen Schultern liegt schon sehr viel, vielleicht zu viel Verantwortung. Immerhin assistiert ihm der Champions-League-Sieger Georginio Wijnaldum, der die Mentalität und Wettkampfhärte eines Jürgen-Klopp-Spielers hat und weitaus häufiger grätscht und sprintet als Toni Kroos (was aber auch nicht so schwer ist).

Reiseoption Deutschland: Für die Endrundengarantie in London fehlen die alten englischen Tugenden: Kopfball- und Zweikampfstärke, Intensität. Wer sichert im hinteren Mittelfeld die Innenverteidiger Matze Ginter und Niki Süle? Immerhin verfügt Löw über weitere Variationsmöglichkeiten, die ihm Leon Goretzka oder Julian Brandt bieten. Außerdem für die defensive Abteilung Emre Can, ein ehemaliger Klopp-Spieler. Insgesamt: Goldene Platini-Plakette, allerdings mit silberner Kehrseite.

Reiseoption Niederlande: Silberne Platini-Plakette. Mit einer Autorität wie Wesley Sneijder würde der Oranje-Anstrich noch etwas mehr leuchten. Aber Sneijder hat die Karriere beendet.

Sturm

Die Deutschen verfügen über eine ausgezeichnete holländische Sturmreihe: schnelle und klassische Flügel, ständige Bewegung, hohe Variabilität. Allerdings fehlt ihnen der typische holländische Neuner, und der originale deutsche Neuner sowieso (kein van Basten, van Nistelrooy, van Huntelaar, van Persie; kein Gerd Müller, kein Hrubesch, kein Klinsmann, kein Miro Klose). Aber in der neuen Formation muss Jogi van Löw immerhin auch nicht mehr auf einen falschen Neuner wie Mario Götze zurückgreifen. Die schnellen und jungen Serge Gnabry, Timo Werner und Leroy Sané (zurzeit verletzt) machen aus der Abwesenheit von klassischen Neunern ein Luxusproblem, zumal noch Marco Reus zur Verfügung steht. Es sind vor allem diese Spieler, die dazu beitragen, den Umbruch gut und zeitgemäß aussehen zu lassen.

Die Frage ist: Reicht das? Wer stürmt, wenn die Verletzung von Leroy Sané plötzlich ansteckend ist? Dahinter gibt's noch Luca Waldschmidt aus der Fußball-Hauptstadt Freiburg (der aktuelle Bundestrainer Löw, der künftige DFB-Chef Fritz Keller, der aktuelle Co-Trainer und mögliche künftige Bundestrainer Marcus Sorg, Ex-SC-Profi Matze Ginter), und es gibt noch den, wie viele meinen, formstarken Kevin Volland. Löw hingegen meint: "Da weiß ich schon, was er kann und was er nicht kann." Aus Löws Mund ist das so etwas wie die Höchststrafe: lebenslänglich draußen.

Die Niederländer verfügen über eine ausgezeichnete holländische Sturmreihe: schnelle und klassische Flügel, ständige Bewegung, hohe Variabilität. Allerdings fehlt ihnen der typische niederländische Neuner, und der originale deutsche Neuner sowieso. Umständehalber stürmen für Holland zurzeit keine großen Namen, es stürmt eher die alte holländische Schule. In der sieht dann Ryan Babel, 32, plötzlich aus, als würde er nicht für Galatasaray stürmen, sondern mindestens für Chelsea oder Inter oder so. Immerhin haben die Holländer auf der Bank noch einen Kluivert sitzen, allerdings nur den Sohn (Justin).

Reiseoption Deutschland: Für die goldene Platini-Plakette reicht's noch nicht. Stattdessen gibt's vielleicht die Pla-Teenie-Plakette?

Reiseoption Niederlande: Definitiv kein Gold, aber Oranje.

Trainer

Ronald Koeman, 56, hat als Spieler eine glanzvolle Karriere hinter sich, er war viele Jahre beim FC Barcelona. Allerdings hat er nie in der Fußball-Hauptstadt Freiburg gespielt - anders als Jogi Löw, 59, der in Freiburg schon mit Leroy Sanés Vater Souleyman gemeinsam stürmte. Löw ist als Trainer Weltmeister, Koeman nicht mal als Spieler. Dafür ist Koeman auch nie in Watutinki ausgeschieden.

Reiseoption Deutschland: Goldene Plakette mit dem WM-Löw von 2014. Mit dem WM-Löw von 2018 ist im EM-Quartier in Herzogenaurach Endstation.

Reiseoption Niederlande: Koeman war anders als Löw schon mal Europameister (1988), aber das ist viel zu lange her.

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Quelle:
SZ vom 06.09.2019
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