Süddeutsche Zeitung

Bundestrainer Joachim Löw:Inspiriert auf dem Pulverfass

  • Das Länderspiel gegen Serbien soll für Joachim Löw nach dem verpatzten Jahr 2018 einen Neuanfang symbolisieren.
  • Der Bundestrainer wirkt resolut - das ist eher untypisch für ihn.
  • Seine Kritiker äußern sich zahlreich, ihre Statements wirken aber austauschbar.

Von Philipp Selldorf, Wolfsburg

Der Mann in der Lobby des Fünf-Sterne-Hotels hatte die Kapuze seines Sport-Pullovers übergezogen, er fröstelte etwas, und das lag vielleicht nicht nur daran, dass er etwas zu leicht bekleidet war für diesen kalten Frühlingstag in Wolfsburg. Joachim Löw, 59, sah einem Termin entgegen, der ihn erneut daran erinnerte, dass auch das Bundestrainer-Leben nicht immer behaglich ist: Am Montag hatte er dem Zahnarzt seine Aufwartung machen müssen, nun würde man ihn gleich wieder in einen dieser Kleinbusse setzen und zur nächsten Pressekonferenz bringen.

In den bald 13 Jahren, die er als Bundestrainer firmiert, hat Löw immer wieder solche Phasen erlebt, in denen sich die Beschwerden über ihn gehäuft haben und die Kritiker so viele wurden, dass sie einer Protestbewegung glichen. Die schwierigste Phase war jene nach der EM 2012, nach der überraschenden 1:2-Niederlage gegen Italien, als sich Löw dem Vorwurf ausgesetzt sah, die Finalteilnahme seiner Eitelkeit geopfert zu haben.

Damals zog er sich in ein Schweigen zurück, dass die Leute beim DFB glauben ließ, sie müssten sich einen neuen Coach für ihre Nationalelf suchen. Nachdem Präsident Wolfgang Niersbach den in die innere Emigration entschwundenen Löw besucht hatte, wusste er immer noch nicht, ob dieser im Dienst bleiben wollte. Womöglich wusste es Löw selbst nicht so genau. Erst mal genügte es ihm zu wissen, dass er beleidigt war.

"Dass ein CEO liefern muss, das weiß ich schon seit 14 Jahren"

Die Kritik, die Löw in diesen Tagen zuteil wird, hat eine andere Qualität. Sie basiert auf einer seit dem missratenen WM-Sommer fortlaufenden Erzählung, aber sie handelt nicht vorrangig von den harten Fakten (WM-Aus, Abstieg Nations League), sondern ist mehr denn je ein Urteil des Geschmacks. Die seltsam anmutende Geheimoperation zur Verabschiedung der Nationalspieler Jérôme Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller hat dazu einiges beigetragen. Der Tonfall der Löw-Kritik klingt gleichwohl zunehmend gewöhnlich: "Der Kredit des Bundestrainers ist aufgebraucht", sagt der eine; "Jogi sitzt auf einem Pulverfass", sagt der Andere; "Eiertanz", ruft der Dritte. Das Interessanteste an diesen Äußerungen ist, dass der eine der drei Kritiker Peter Neururer heißt, der zweite Jürgen Klinsmann und der dritte Lothar Matthäus, dass die Äußerungen aber absolut austauschbar sind, und dass darüber hinaus alle drei wie die Wutbürger fordern, Löw müsse jetzt "liefern".

Der neue Fernseh-Experte Klinsmann, im Dienst seines Auftraggebers RTL zurzeit auf Promotion-Tour, bereicherte die Lieferanten-Diskussion dadurch, dass er seinen früheren Assistenten bei der WM 2006 nun mit einem CEO verglich, einem Unternehmenslenker, der an gute Ergebnisse gebunden sei, sonst "musst du irgendwann gehen".

"Dass ein CEO liefern muss, das weiß ich schon seit 14 Jahren. Ich verstehe, mit Druck umzugehen", hat Löw am Dienstag vor der Presse gesagt. Mancher Zuhörer interpretierte die Erwiderung als Ausweis von Gereiztheit, andere meinten, er habe seinen ehemaligen WM-Gefährten in Schutz nehmen wollen, nachdem sich dieser bedauerlicherweise in einen TV-Guru verwandelt hat. So schlimm sei das doch gar nicht, was Klinsmann gesagt habe, gab Löw zu verstehen, als ob er über jemanden redete, der ein bisschen vom rechten Pfad abgekommen ist. Nach herkömmlicher Wahrnehmung ist Löw durch die Kündigung der Weltmeister Boateng, Hummels und Müller noch mehr unter Druck geraten, als er das durch die schwachen Resultate im vorigen Jahr sowieso schon war, und so wird er jetzt auch häufig beschrieben: Als jemand, der alles auf einmal aufs Spiel setzt, und der genau weiß, dass seine letzte Runde begonnen haben könnte. Letzteres mag stimmen, aber dass Löw aus Verzweiflung und Fatalismus gehandelt hat, das trifft gewiss nicht zu. Für die sportliche Entscheidung gegen Boateng, Hummels und Müller hatte Löw gute Argumente. Doch in menschlicher Beziehung hatte er an seinem eigenen Beschluss schwer zu tragen, und so hat ihm die Exkursion nach München Erleichterung verschafft: Er hat sich selbst überwunden und seinen Spielern gegenüber klare Verhältnisse geschaffen. Die vermeintlich leichtere Lösung, die drei Weltmeister in den Standby-Modus zu versetzen, wäre für ihn in Wahrheit die schwierigere gewesen - weil er sich dann immer noch mit dem Thema und mit seinen enttäuschten Alt-Internationalen hätte beschäftigen müssen. Freier, inspirierter und motivierter haben ihn die Leute in seiner Umgebung zuletzt erlebt.

Am Montag hat Oliver Bierhoff davon gesprochen, dass nun aber wirklich der Neubeginn bei der Nationalelf anstehe, und wenn einem die Vokabel auch bekannt vorkommt, so ist sie diesmal doch angebracht. Nach der WM, als vom Trainer bis zu den Weltmeistern noch alle wütend waren auf sich selbst und ihren Betriebsunfall, hat man zwar lautstark Neustart gerufen - aber mit altem Personal einfach weitergemacht. Erst in der Nacht nach dem 0:3 gegen die Niederlande im Oktober entschloss sich Löw zur durchgreifenden Veränderung.

Boateng und Müller waren die ersten, die dem Sinneswandel zum Opfer fielen, der eine mehr, der andere weniger, und nun hat es auch Hummels erwischt und der Prozess ist abgeschlossen. Das resolute Vorgehen ist nicht typisch für Löw, aber es ist sein Werk, kein Urs Siegenthaler und kein anderer geheimer Sonderberater steht dahinter. Dass er dafür die Verantwortung tragen muss, das schreckt ihn nicht. Dieser Hinweis ist für Jogi Löw eine banale Botschaft.

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SZ vom 20.03.2019/ebc
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