Süddeutsche Zeitung

DFB in der Krise:Zu lange auf Kuschelkurs mit Blatter und seinem System

Das zögerliche Verhalten des DFB im Fußballskandal zeigt: Die Angst vor Sepp Blatter ist groß. Gegen die Macht des Fifa-Präsidenten kann aber nur die Wahrheit helfen.

Kommentar von Thomas Kistner

Eigentlich hätte es jetzt der ideale Zeitpunkt sein können. Jetzt hätte sie anbrechen können, die größte Zeit des deutschen Fußballs. Der DFB, dieser Koloss, hätte in das ethische Vakuum stoßen können, das über der beliebtesten Sportart des Planeten klafft. Die Chefs des Weltverbandes Fifa (Blatter) und der Europa-Union Uefa (Platini) sind suspendiert und werden nicht zurückkehren. Schwer belastet sind auch die meisten ihrer potenziellen Nachfolger aus Afrika und Europa. Das Spitzenpersonal der Erdteilverbände Nord- und Südamerikas hängt in den Netzen der US-Justiz. Seriöse Führung bräuchte es nun. Ordnende Kräfte in einem Sport, mit dem Milliarden umgesetzt werden, dem es aber auch immer wieder gelingt, die Menschen zusammenzuführen.

Hier hätten die Deutschen gefragt sein können, ausgestattet nicht nur mit der aktuellen Weltmeister-Generation, sondern auch mit Kickerlegenden - und einer Lichtgestalt. Der DFB müsste jetzt Pläne präsentieren und Personen, die sie umsetzen. Er müsste Allianzen mit den verbliebenen Anständigen schmieden, vielleicht gibt es die ja noch in dieser Sumpflandschaft. Hätte, könnte, wäre.

Man wirbt um Olympia in Hamburg und die EM 2024 - aber wie seriös geht es dabei zu?

Aber Deutschlands Funktionäre sind viel zu lange auf Kuschelkurs geblieben mit dem fallenden Fifa-Patron Sepp Blatter und dessen System. Warum, das tritt nun zutage: Sie haben all die Zeit vor Enthüllungen gezittert. Sie wussten, dass im Bauch des havarierenden Tankers Fifa allerlei Torpedos herumliegen, und dass genug Spezialisten unterwegs sind, die sie scharfmachen können. Wie Blatter, dem Franz Beckenbauer bis zuletzt Girlanden band, und von dem wohl die größte Gefahr ausgeht: die Enttarnung der wahren Fifa-Korruptionsgeschichte. Sie lagert im Giftschrank dieses alten Mannes.

Zudem ist da Theo Zwanziger, der schon eine Mine ausgelöst hat: 6,7 Millionen Euro, teils öffentliches Geld, flossen aus dem Organisationskomitee der WM 2006 in eine schwarze Kasse. Zu klären ist noch, in welche. Dass sie in Blatters Dickicht verborgen war, wird immer deutlicher. Die renommiertesten Fußballsachwalter des Landes hätten sich dann in den Dienst einer liederlichen Sache gestellt.

Warum ließ sich der DFB auf die Forderungen der Fifa ein?

Alles muss ans Licht. War es wirklich nur die Hoffnung auf Zuschüsse, die die reichen Deutschen dazu trieb, Kopf und Kragen für krumme Deals zu riskieren? Oder gab es ein Druckmittel, das Blatter damals gegen die frommen Deutschen einsetzen konnte - im Hinblick auf die WM-Vergabe 2006? An einigen Stellen ist sie schon heute neu zu schreiben, die Historie des Sommermärchens.

Im Kern geht es jetzt darum, dass die Deutschen jenen "Fehler" genau beschreiben, den der damalige OK-Chef Beckenbauer vor den Ermittlern eingestanden hat. Schnell und präzise. Anstatt immer nur in juristisch fein ziselierten Worten zu beteuern, was sie damals alles nicht getan haben wollen. Unabhängig von der Angst, dass Blatter am Ende eh alle in den Abgrund mitreißen könnte. Ihn dürfte es kaum scheren, dass er kaum einen loyaleren Verband als den DFB hatte, keinen treueren Sponsor als Adidas.

So lange diese historische Legende nicht auserzählt ist, bleibt der deutsche Sport nahezu handlungsunfähig. Die Affäre lähmt fast alle Aktivitäten. Es wäre absurd, so zu tun, als hätte nur der Fußball ein Strukturproblem. Auch die olympische Welt pflegt die Selbstkontrolle, geheime Voten, stille Deals, Knebelverträge. In diesen Welten kandidieren die Deutschen nun um zwei Großereignisse, geplant im Partyjahr 2024: die Fußball-EM und Sommerspiele in Hamburg.

Und das ist jetzt schon ein Problem: Wie will man seriös Stimmen sammeln - wenn man fast keine Autorität mehr hat?

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Quelle:
SZ vom 31.10.2015
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