Vorbereitung der deutschen Nationalmannschaft:Mit Trommeln die Geister wecken

Nationalmannschaft: DFB-Spieler fahren mit dem Fahrrad zum Training

Strampeln für Flick: Die Nationalspieler Jonas Hofmann, Niklas Süle und Joshua Kimmich radeln zum Training in Herzogenaurach.

(Foto: Alexander Hassenstein/Getty)

Vor der WM 2022 in Katar wird es für die DFB-Elf kein echtes Trainingslager geben. Dem derzeit bezogenen Quartier in Herzogenaurach kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu.

Von Thomas Hürner, Herzogenaurach

Nur Serge Gnabry weiß, ob er all diese Meta-Botschaften in die Welt senden wollte. Aber wenn das Absicht war, dann ist es dem Angreifer wirklich hervorragend gelungen, einen umfassenden Lage- und Stimmungsbericht zur deutschen Nationalmannschaft abzugeben. Kurz zusammengefasst: Lage und Stimmung sind ganz hervorragend.

Gnabry lächelte auf der Pressekonferenz der DFB-Elf etwas verlegen, ehe er einige Begriffe auflistete, die es mühelos in jeden Achtsamkeits-Ratgeber schaffen würden. Von "sehr viel Spaß" konnte Gnabry berichten, er habe überdies eine starke "Gemeinschaft" im Team ausgemacht und einige hochmotivierte Menschen gesehen, die an ihrer Aufgabe gewachsen und in der Folge "näher zusammengerückt" seien.

Gnabry hat da am Donnerstag keine Unwahrheiten verbreitet. Denn der Trommel-Workshop, an dem die Nationalmannschaft am Vorabend teilgenommen hatte, war offenkundig ein voller Erfolg. Im Internet gibt es zum Beispiel reichlich Videomaterial, das sehr glückliche Nationalspieler beim Trommeln auf Mini-Bongos zeigt, und wenn der Eindruck nicht täuscht, dann trommelten diese Nationalspieler in enormer Geschwindigkeit und mit ausgeprägtem Rhythmusgefühl. Spielfreude, Tempo, intuitive Bewegungen als Gruppe: Das kann man auf dem Rasen sicher auch gut gebrauchen.

Zur Vorbereitung auf die WM in Katar bleibt nur wenig Zeit

Der Bundestrainer Hansi Flick dürfte also sehr zufrieden damit sein, dass die Teambuilding-Maßnahmen den erhofften Effekt zeigen. Die Frage ist nur: Wie nachhaltig wird das alles sein?

Flick muss in diesen Tagen in Herzogenaurach eine Aufgabenstellung bewältigen, die eigentlich nur eine gute Seite hat: Sie ist für alle Nationaltrainer dieser Welt gleich kompliziert. Offiziell dient das derzeit bezogene Trainingsquartier in der Zentrale des DFB-Ausrüsters als Basis für eine kleine Europa-Tournee, die im Rahmen der Nations League stattfindet und am Samstag mit einem Spiel in Bologna gegen den Europameister Italien beginnt (Anpfiff 20.45 Uhr). Zugleich muss Flick die Zeit aber auch nutzen, um seine Mannschaft bestmöglich auf ein Turnier vorzubereiten, das erst in einem halben Jahr losgehen wird.

Immerhin wissen alle, wem dafür die Schuld zu geben ist. Für Turniervergaben und Terminkalender sind die Damen und Herren bei der Fifa zuständig, und die haben nun einmal entschieden, dass die WM 2022 in Katar genau dann stattzufinden hat, wenn Fußballprofis nach einer strapaziösen Hinrunde mit ihren Klubs normalerweise die Weihnachtsfeiertage und die wohlverdiente Winterpause herbeisehnen. Der letzte Bundesliga-Spieltag vor der WM ist zum Beispiel am 13. November angesetzt, und es braucht keine prophetische Weitsicht, um den teilnehmenden Nationalteams kurz darauf eine stressige Zeit zu prognostizieren.

Die Spieler müssen aus allen Welt-, Kontinent- oder Landesteilen ins Emirat eingeflogen werden und sollten sich nach der Landung besser keinen Jetlag erlauben, weil bereits am 23. November das deutsche Eröffnungsspiel gegen Japan auf dem Programm steht. Das macht exakt zehn Tage zwischen dem letzten Ligaeinsatz und dem WM-Auftakt, und es wäre deshalb schon interessant zu wissen, was Flicks Vorgänger und früherer Chef Jogi Löw von diesen Rahmenbedingungen hält. Vermutlich: nicht sehr viel.

Für Joachim Löw waren Trainingslager immer besonders wichtig

Unter Löw waren Trainingslager eine Art rituelle Prozession, in der die Sinne geschärft wurden für alles, was bei den anstehenden Turnieren noch kommen sollte - und in der nach ausgiebiger Beobachtung nahezu alle Grundsatzentscheidungen getroffen wurden: Welche Spieler erhalten ein Startelf-Mandat? Wie lassen sich die Positionsmodule zusammensetzen, damit die Gruppe besser wird als die Summe ihrer Teile? Und was macht es mit der Atmosphäre im Team, wenn dieser oder jene Spieler draußen sitzen muss?

Noch heute erzählen die 2014er-Weltmeister von den Geistern, die im muckeligen Campo Bahia geweckt wurden, denn ohne diese Geister, so der Tenor, hätte es schließlich in Brasilien auch keine 2014er-Weltmeister gegeben. Das exakte Gegenteil war von den 2018er-Vorrundenausscheidern über die Rahmenbedingungen in Russland zu hören. Das in Verruf geratene Quartier in Watutinki sollte zwar nicht als Hauptgrund für das frühe Scheitern herhalten, es wurden auch keine Haftungsansprüche an die Betreiber gestellt. Aus der damaligen DFB-Delegation streitet aber bis heute niemand ab, dass es bessere Orte gegeben hätte, um den häufig unterschätzten Kollektivglauben an einen Goldpokal zu entwickeln.

Im WM-Jahr 2022 wird alles nun ein bisschen anders sein. Das Reiseressort des DFB wird keine Elogen erhalten, wenn es gut läuft, und es wird in der Öffentlichkeit auch niemand eine Teilschuld einräumen müssen, wenn es schiefgeht beim Winterturnier in Katar. Und auch der Bundestrainer Flick weiß, dass er jetzt das Fundament gießen muss für alles, was in sechs Monaten stabil sein soll - und er weiß außerdem, wie wertvoll es ist, wenn durch eine Zusammenkunft ein Lagerfeuer-Gefühl entsteht, das eine Mannschaft zu Siegen trägt.

In der Löw'schen Tradition war Flick zum Beispiel mit dem FC Bayern vor dem Champions League-Triumph 2020 in ein Kurztrainingslager an die Algarve gereist, während die europäische Konkurrenz darauf verzichtete. Es gab kaum einen Münchner Spieler, der für diese Maßnahme hinterher kein Sonderlob übrig hatte.

Was das alles nun für das Winterturnier in Katar bedeutet? Vielleicht viel, vielleicht wenig. Aber es dürfte Flick gefreut haben, dass der Mittelfeldmann Jonas Hofmann am Donnerstag berichten konnte, dass in Herzogenaurach ein echter "Trainingslager-Charakter" vorhanden sei.

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