DFB-Gegner Aserbaidschan:Die Schläger von Baku

Von Martin Schneider, Mainz

Der Journalist Rasim Alijew liegt in einem Krankenhaus. Mehrere Rippen sind gebrochen, aber ein Interview mit dem Oppositionsfernsehen, das kann er ohne größere Probleme geben. Es gibt ein Video dieses Gesprächs, Alijew sagt, er habe Schmerzen trotz der Schmerzmittel, er kratzt sich dabei mit einer Hand am Kopf. Die Ärzte sagen, es sei nichts Lebensbedrohliches. Ein paar Stunden später ist er tot.

Alijew war einer der wenigen unabhängigen Journalisten in Aserbaidschan, und sein Tod hat mit dem Fußball zu tun. Am Sonntag spielt die deutsche Fußballnationalmannschaft in Kaiserslautern gegen Vertreter des Landes am Kaspischen Meer, und einer der Gründe, warum Alijew sterben musste, wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Platz stehen.

In Deutschland kennt man Alijews Geschichte, weil die WDR-Sendung "Sport inside" sie recherchiert hat. "Sport inside" ist eine investigativ-kritische Sportsendung. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten finden, dass Sonntagabend um 22:45 Uhr im Regionalprogramm ein angemessener Sendeplatz dafür ist, weswegen die Beiträge meist relativ wenige Menschen sehen. Aber diese Story ist bis zu Reinhard Grindel durchgedrungen. Am Samstag sagte der DFB-Präsident: "Dieser Vorgang ist unfassbar tragisch, das Leid der Familie unermesslich." Er wolle die Verbandsvertreter von Aserbaidschan beim offiziellen Essen darauf ansprechen.

Niemand weiß, warum der Journalist starb

Die Geschichte vom Tod Alijews beginnt mit einer türkischen Flagge. Der Klub FK Qäbälä aus Aserbaidschan spielt auf Zypern, und der Fußballer Jawid Hüseynow zeigt nach dem Spiel die rote Fahne mit Stern und Halbmond - auf der gespaltenen Insel eine Provokation. Nach dem Spiel spricht ihn ein Journalist darauf an, Hüseynow reagiert beleidigend. Alijew sieht ein Video der Beleidigung und schreibt auf Facebook: "Ich möchte nicht, dass so ein unverschämter und schlecht erzogener Fußballer mich auf den Fußball-Plätzen Europas repräsentiert."

Hüseynow liest diesen Beitrag und schreibt Alijew, er wolle sich mit ihm in einem Café am Stadtrand von Baku treffen. Alijew kommt, Hüseynow nicht - dafür dessen Cousin und eine Handvoll Schläger. Sie werfen Alijew auf den Boden, treten auf ihn ein, eine Überwachungskamera filmt die Szene. Alijew kann fliehen, kommt ins Krankenhaus und gibt sein letztes Interview. Dann stirbt er. Warum, weiß man nicht.

Die Justiz im autokratischen Aserbaidschan verurteilt den Cousin zu 13 Jahren Haft, den Fußballer Hüseynow zu vier Jahren Gefängnis. Nach 14 Monaten kommt Hüseynow aber wieder frei - ohne Angaben von Gründen. Im März spielt er bei der Partie gegen Deutschland erstmals wieder Fußball. Menschenrechtsaktivisten vermuten, dass Hüseynow Unterstützung von Oligarchen bekommen habe, der DFB-Präsident will es nun genauer wissen. Es müsse im Interesse der aserbaidschanischen Regierung liegen, deutlich zu machen, "warum es zu einer Verkürzung (der Haftzeit) gekommen ist", meinte Grindel.

Lange Zeit verhielt sich der DFB arg verhalten

Grindel hat beim Thema Aserbaidschan offensichtlich erkannt, dass er nicht weiter schweigen kann. Als es vor dem Hinspiel Fragen an den DFB gab, wie er denn die Menschenrechtslage in dem Land sehe, das die Organisation "Reporter ohne Grenzen" beim Thema Pressefreiheit auf Rang 160 (von 180) einstuft, hatte der Verband bloß auf ein Statement von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel verwiesen, wonach Deutschland "die Bemühungen Aserbaidschans um die demokratische Entwicklung weiterhin unterstützen" werde. Es gab und gibt aber keine erkennbaren Bemühungen. Und für ein Treffen mit gesellschaftlichen Gruppen hatte der DFB-Präsident auch "keine Zeit".

Zusammen mit der Tatsache, dass Aserbaidschan im europäischen Sport eine immer wichtigere Rolle spielen will, die Europaspiele bekam, ein Formel-1-Rennen ausrichtet, Spielort der Europameisterschaft 2020 sein wird und auch in den Gremien der Uefa Stimmen hat, entstand ein sehr ungünstiger Gesamteindruck: Schweigt der DFB-Präsident, weil er etwa die deutsche Bewerbung zur EM 2024 nicht gefährden will?

Nach dem Spiel sagte dann DFB-Sprecher Jens Grittner auf der Pressekonferenz: "Sie haben gemerkt: Der Bundestrainer hat gerne alle Fragen beantwortet, damit sich wirklich jeder eine Meinung bilden kann. Es ist gut, wenn sich jeder eine Meinung bilden kann. Meinungs- und Pressefreiheit sind wichtig." Es ist zwar nicht geklärt, ob das auch eins zu eins ins Aserbaidschanische übersetzt wurde, aber das liegt ja nicht in der Macht des DFB. Befremdlich ist allerdings, dass Grindel, dem Chef, schon dieses kleine Statement des Pressesprechers zu weit ging.

Ewald Lienen findet, der DFB tue immer noch nicht genug

Der Verband sucht offenbar gerade seine Rolle, wie er sich wo positionieren will. Erst der Appell für Presse- und Meinungsfreiheit in Aserbaidschan, nun der öffentliche Wunsch Grindels nach Aufklärung beim Tod eines kritischen Journalisten. Gleichzeitig schreibt Julian Draxler in seiner Funktion als Kapitän beim Confed Cup auf der Webseite des DFB einen anbiedernden offenen Brief an Gastgeber Russland, in dem er unter anderem dafür bedankt, dass das Team "architektonisch beeindruckende Stadien bespielt" habe. Jene Stadien, die auch von nordkoreanischen Arbeitern unter sklavenähnlichen Bedingungen gebaut wurden.

Ewald Lienen, seit jeher einer der politischsten Menschen im deutschen Fußball, ist das, was der DFB macht, jedenfalls weiterhin zu wenig. Der technische Direktor des FC St. Pauli hat den Verband für dessen mangelndes politisches Engagement kritisiert. "Der DFB ist der größte Einzelsportverband der Welt und hat ein riesiges Pfund, mit dem er wuchern müsste", sagte der 63-Jährige der Zeitung Die Welt. Der DFB habe eine "hohe politische Verantwortung" und müsse "mehr Druck auf die Politik ausüben, damit mehr Gelder bereitgestellt werden".

Nun will Reinhard Grindel immerhin die aserbaidschanische Delegation fragen, warum einer ihrer Fußballer auf dem Platz steht. Und nicht im Gefängnis sitzt. Das ist definitiv schon mal konkreter, als aufs Außenministerium zu verweisen.

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