Zurechtlegen musste sich Niclas Füllkrug diese Begrüßung nicht, sie kommt aus einem echten Norddeutschen wie ihm automatisch heraus. „Moin in die Runde“, sprach der gebürtige Hannoveraner, als er zu seiner eigenen Entzückung in Herzogenaurach erstmals seit der Heim-EM wieder „deutsche Gesichter“ vor sich sah. Die Medienvertreter konnten sich beim Pressetermin vor der Nations League am Wochenende (Samstag, 20.45 Uhr gegen Ungarn) dann ihrerseits glücklich schätzen, einen auskunftsfreudigen Nationalspieler anzutreffen.
Wenn Füllkrug, 31, in der Öffentlichkeit spricht, mögen sich nicht immer Gaudi-Momente wie bei Thomas Müller ergeben, dessen Abschied im Nationalteam alles „ein bisschen ruhiger“ werden ließ, wie der Ex-Dortmunder anmerkte. Er selbst setzt andere Schwerpunkte, das kennt man von Füllkrug: Seit er als Spätstarter vor knapp zwei Jahren festes DFB-Mitglied wurde, gilt er als Instanz für Verbindlichkeit. Wo er spricht, macht dennoch nicht weniger Gehaltvolles die Runde, so war es auch jetzt, als der nach England gewechselte Angreifer über den Neubeginn nach der EM referierte.
Und siehe da, Füllkrug gab Einblicke in seine Rolle, seinen Abschied nach nur einem Jahr in Dortmund sowie sein London-Abenteuer. Es ist im Zuge des Post-EM-Katers ja fast untergegangen, dass „Lücke“ neuerdings bei West Ham United in der Premier League ebendiese in gegnerischen Strafräumen sucht. Bislang kommt er auf vier Einsätze, meist zwar nur als Einwechselspieler, aber das wichtigste aus seiner Sicht passt schon mal: Er spricht, so war es auch bei der EM beim Talk mit internationalen Reportern zu erleben, gut Englisch. Und er traut sich „in London Auto zu fahren“, was beim Höllenverkehr an der Themse schon eine Leistung ist.
Dass er nun in England noch mal etwas ganz anderes kennenlernt, einen „Fußball mit mehr Dynamik und vielleicht etwas weniger Taktik“, führt Füllkrug auf mehrere Gründe zurück – einerseits beschäftigte ihn die Sehnsucht nach dem puren, rasenden Spiel der Engländer. Andererseits passt zu einem aufrichtigen Typ wie ihm, dass er manch anderen Umstand auch deutlich anspricht: So ganz freiwillig war sein Weggang vom BVB in diesem Sommer nämlich nicht. Ohne den Namen Serhou Guirassy in den Mund zu nehmen, beschrieb Füllkrug es so: „Sicherlich war auch der ein oder andere Transfer, den der BVB getätigt hat, nicht der größte Vertrauensbeweis.“ So wurde ihm klar, dass er für echte Wertschätzung ein Abenteuer wagen muss, zum Beispiel bei Julen Lopetegui, dem spanischen Coach von West Ham.
„Sicherlich war auch der ein oder andere Transfer, den der BVB getätigt hat, nicht der größte Vertrauensbeweis“, sagt Füllkrug
Im Nationalteam ist die Lage weniger abenteuerlich. Füllkrug dürfte erfahren genug sein, um zu spüren, dass er nach den Abschieden von Müller, Neuer, Gündogan und Kroos eine Hierarchiestufe nach oben rutscht. Auch wenn er – wie zuletzt bei WM und EM – nicht immer in der Startelf steht, gilt er als prägender Endabnehmer in den Plänen des Bundestrainers. Deutschland benötigt Richtung WM 2026 mehr Punch, wie es im Fachjargon heißt, und wenn vorne nicht Kai Havertz zuschlägt, darf sich Füllkrug mit seinen Qualitäten (und seiner Torquote von 13 Treffern in 21 Partien) ruhig verantwortlich fühlen.
Er könne sich nach Ilkay Gündogans Rücktritt auch vorstellen, mal gemeinsam mit dem hängenden Zehner Havertz die Offensive zu besetzen, offenbarte Deutschlands einziger handelsüblicher Stoßstürmer. „Ich denke, das ist eine Option“, sagte Füllkrug, „der Bundestrainer sucht ja neue Erkenntnisse, da wär’s für mich angenehm, so jemand hinter mir zu haben.“ Druck für mehr Spielzeit werde er aber nicht machen, seine Arbeitsmoral soll den Ausschlag geben, außerdem wisse Julian Nagelsmann seine „Spielweise schon zu schätzen“.
Füllkrug sieht sich als Abgeordneten für Integrität, vielleicht kann er sogar eine Art „norddeutscher Connector“ sein, also weniger krachledern als Thomas Müller, dafür mit mehr Understatement. Letztlich gehe es darum, wieder jenes gemeinschaftliche Gefühl in Deutschland zu erzeugen, das er schon bei der Heim-EM so genoss. Füllkrugs Statement zum Abschied nach dem Aus gegen Spanien, als er sich für die Unterstützung der Menschen bedankt hatte, hallt ja noch immer etwas nach. Klar sei aber auch, dass das ganz schön schwierig wird, mit Spielen wie am Samstag gegen Ungarn in der Nations League. „Wir werden es nicht schaffen, in jedem Spiel die Energie einer Heim-EM zu erzeugen“, räumte Füllkrug ein, „da wird keine Euphorie entstehen.“ Vielleicht darf das als seine größte Qualität gelten: Füllkrug ist ein Realist, der trotzdem Zuversicht ausstrahlt.