Streit im DFB:Das Beben am See

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Die Landes- und Regionalchefs fordern Fritz Keller zum Rücktritt auf. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Die Amateurvertreter fordern DFB-Boss Keller nach dessen Nazi-Entgleisung zum Rücktritt auf. Aber auch ihre Abstimmung über dessen verbandsinternen Gegenspieler fällt frappierend aus.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Rainer Koch ist nicht nur ein Fußball-Funktionär mit vor-demokratischer Ämterfülle, sondern auch Sozialdemokrat. Daher dürfte ihm geläufig sein, welche Rolle die Seenlandschaft südwestlich von Potsdam in der deutschen Intriganten-Historie schon gespielt hat. Im Jahr 2008 war es, als die SPD dort bei einer Klausur ihren damaligen Parteichef Kurt Beck stürzte und das "Drama vom Schwielowsee" geboren wurde; wahlweise erhöht zum "Königsmord vom Schwielowsee".

Einen See weiter, in einem Hotel am Templiner See, kam am Wochenende die Führung des Deutschen Fußball-Bundes mit den Vertretern der Regional- und Landesverbände zusammen, zur nächsten Krisensitzung im ewigen Machtkampf an der DFB-Spitze. Am Ende stand ein Beschluss, der den DFB mindestens so erschüttert, wie es einst der SPD erging.

Die Konferenz kam zu einem frappierenden Ergebnis: Sie forderte Fritz Keller, 63, den DFB-Präsidenten, wegen dessen Nazivergleich-Entgleisung kürzlich gegenüber seinem Vize Koch zum Rücktritt auf (26 Ja, neun Nein, zwei Enthaltungen) - "zur Abwendung weiteren Schadens vom Verband", wie es hieß. Zugleich entzogen die Regionalchefs aber auch Kellers Kontrahenten, DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius, 45, das Vertrauen. Und Kellers weiteren Gegnern, Koch sowie Schatzmeister Stephan Osnabrügge, sprachen die Landeschefs lediglich ein papierdünnes Vertrauen aus, mit jeweils 13 Nein- und 21 bzw. 22 Ja-Stimmen.

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:Misstrauensvotum gegen alle

Bei den Rücktrittsforderungen gegen den DFB-Präsidenten geht unter, dass der Verband seit Monaten ein Tollhaus und Intriganten-Stadl ist. Fritz Kellers Nazi-Vergleich war da nur der berühmte Tropfen zu viel.

Kommentar von Thomas Kistner

Das Votum sorgt für die nächste Zuspitzung im Machtkampf: Es dokumentiert erstmals offiziell die heillose Zerrissenheit im deutschen Fußball. Aber entschieden ist die Auseinandersetzung damit immer noch nicht. Unklar blieb am Sonntagabend, wie die DFB-Spitze nun mit dem Votum umgeht. Keller und Curtius wollten sich zunächst nicht äußern, hieß es in einer Mitteilung des Verbandes. Und: Auch Koch und Osnabrügge müssen weiter um ihre Posten bangen.

Einen vorgezogenen Bundestag lehnen alle ab

Es waren anderthalb denkwürdige Tage am Templiner See. Seit Monaten lähmt der Streit den DFB. Alle Schlichtungsansätze verhallten, seit einigen Tagen eskaliert die Lage komplett. Vor gut einer Woche hatte Keller seinen Vize Koch in einer internen Sitzung als "Freisler" bezeichnet, angelehnt an den berüchtigten Justiz-Chef im Nationalsozialismus, Roland Freisler. Auf der anderen Seite müssen Kellers Kritiker immer heiklere Fragen zu einem ominösen und mit zirka 360 000 Euro dotierten Beratervertrag beantworten. Jüngst kam hierzu auch der interne Prüfungsausschuss zu einem vernichtenden Zwischenbericht, er brachte sogar eine Selbstanzeige ins Spiel.

Kellers Lager hatte bis zuletzt dafür plädiert, dass ein außerordentlicher DFB-Bundestag her müsse, auf dem sich die vierköpfige Führungscrew der Vertrauensfrage stellt. Aber das lehnte die Amateurkonferenz einstimmig ab, sie hielt die Vertrauensprobe gleich am Templiner See ab. Einen wahren Kulturbruch konstatierten Teilnehmer, als sie sich Sonntagmorgen zu einer geheimen Abstimmung zurückzogen, ohne die vier Kandidaten.

In der Regel wird im DFB alles per gut sichtbarem Handzeichen entschieden: Im Sinne der sogenannten "Einheit", die Koch und Co. auch am Templiner See beschworen, wird vorgebeugt, dass sich jemand aus dem Mainstream absetzt. Am Sonntag also war das anders, jeder konnte diskret seine Stimme abgeben - und siehe da: Am Ende stand ein Ergebnis, das alle Spitzenleute massiv anschoss.

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Nach zahlreichen Skandalen entziehen die Amateurvertreter Fritz Keller das Vertrauen. Die kürzlich erfolgte Nazi-Äußerung des Präsidenten sei "völlig inakzeptabel und macht uns fassungslos".

Die genauen Konsequenzen bleiben noch abzuwarten. Diese Konferenz der Landes- und Regionalchefs ist zwar ein wichtiges Gremium. Aber sie ist formal nicht befugt, über Führungsjobs zu richten. Zugleich beeinflussten das Ergebnis gewisse Undurchsichtigkeiten des Satzungswerks: So standen von den 37 abgegebenen Stimmen dem Erzrivalen Kellers, Rainer Koch, dank dessen Funktionen als Boss des süddeutschen sowie des bayerischen Fußballverbandes allein vier Stimmen zu: gut zehn Prozent. Zusammen mit den übrigen, in der von Koch regierten Südregion vertretenen Verbänden sind es sogar zwölf Voten. Osnabrügge entstammt dem Verband Mittelrhein, der ebenfalls zwei Stimmen hat. Dieses Paket allein wird entscheidend gewesen sein, dass für den Vize und den Schatzmeister überhaupt ein knapp positives Resultat herauskam; absurd wäre es anzunehmen, dass diese sechs bis 14 Stimmen anderswo hingewandert sind.

Nun dürfte es auf die Mehrheitsverhältnisse im Vorstand ankommen

Zudem fehlten in diesem Gremium die Vertreter des Ligaverbandes DFL. Das sind die Funktionäre, die im Machtkampf Keller stützen, und die dessen Widersacher äußerst kritisch sehen. Maßgeblich wird daher sein, wie sich die Machtverhältnisse im DFB-Vorstand darstellen. Dieser ist nach dem Bundestag das formal zweithöchste Gremium des Verbandes - und hier ist die Konstellation extrem eng. Denn hier sitzen neben den Landes- und Regionalfürsten die Mitglieder des Präsidiums - sowie zwölf weitere Vertreter der Liga.

Die Stimmengewichtung ist kompliziert. Aber sollten die Liga-Funktionäre geschlossen für Keller votieren und die Amateurvertreter blieben bei ihrer Einschätzung, würde es für Keller im DFB-Vorstand sogar zu einer knappen Mehrheit reichen - wenngleich sich der Präsident natürlich fragen müsste, ob er gegen ein Votum der Amateure weiterarbeiten will.

Koch und Osnabrügge indes müssen befürchten, dass es im Vorstand unterm Strich nicht reicht für sie, wenn sich die Liga geschlossen gegen sie stellt. Eindeutig erscheint die Sachlage bei Curtius: Der ist im Profilager so unten durch, dass ihn die Liga sogar von ihren Sitzungen ausgesperrt hat; und da ihn nicht einmal die Amateure unterstützen (20 Nein, 14 Ja, drei Enthaltungen), hat er keines der Lager auf seiner Seite.

Koch & Co. müssen wohl noch aus anderen Gründen die nächsten Tage fürchten. Es gibt immer neue, immer heiklere Fragen rund um einen üppig dotierten Vertrag mit einem Kommunikationsberater, der im Frühjahr 2019 auf den Weg gebracht wurde. Jetzt liegen in diesem Kontext Rechnungen des Beraters auch mit dem Umfeld des DFB-Dienstleisters Esecon vor ( SZ vom 30. April). Esecon ist jene Forensiker-Firma aus Berlin, die ebenfalls seit Frühjahr 2019 beim DFB angedockt ist und dort intern Ungereimtheiten nachspürt.

Teil der schwelenden Vertragsproblematik ist immer besser erkennbar die Frage, seit wann und wie gut sich Koch und der ominöse Berater kennen. Belegt sind spannende Treffen des Duos aus den Jahren 2012 und 2016. Aus internen Dokumenten ergeben sich Hinweise auf weitere gemeinsame Auftritte in großer zeitlicher Nähe zur Enthüllung der WM-2006-Affäre im Herbst 2015. Anfragen dazu beantwortete der DFB nicht konkret. Vielleicht muss der ohnehin alarmierte Prüfungsausschuss seine Aktivitäten nun weiter ausdehnen.

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