Torhüterin Merle Frohms:Ein Rücktritt, der Fragen offen lässt

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Der Rückhalt des VfL Wolfsburg: Merle Frohms spielt nur noch im Klub. (Foto: Justin Setterfield/Getty Images)

Überraschend verkündet Torhüterin Merle Frohms mit 29 Jahren ihren Abschied aus dem DFB-Team. Sie hat zuletzt offenkundig die Wertschätzung vermisst.

Von Frank Hellmann

Demnächst, so war es geplant, hätte eine freudvolle Nationalmannschaftsreise angestanden. Wenn die deutschen Fußballerinnen zum Freundschaftsspiel gegen England in Wembley am 25. Oktober aufbrechen, wäre insbesondere Merle Frohms mit schönen Erinnerungen in den Flieger gestiegen. Am 9. November 2019 hatte die Nationaltorhüterin die Londoner Fußballkathedrale kurz zum Schweigen gebracht: 77 768 Augenzeugen stockte damals bei ihrer Elfmeterparade in letzter Minute der Atem.

Frohms, die Nachfolgerin von Almuth Schult im deutschen Tor, hatte mit dieser Szene ihre Tauglichkeit für höhere Aufgaben untermauert. Dass es dann bei der EM 2022 in England am selben Schauplatz gegen denselben Gegner im Finale nicht zum Titel langte, lag am allerwenigsten an ihr. Doch die EM 2025 in der Schweiz wird die mittlerweile 29-Jährige nicht mehr bestreiten. Völlig überraschend hat die Torfrau vom VfL Wolfsburg – einen Tag nach einem wilden 3:3 gegen Werder Bremen am Montagabend zum Bundesliga-Auftakt, bei dem sie selbst im VfL-Tor keinen guten Tag erwischte und ein Eigentor fabrizierte – ihren Rücktritt aus dem Nationalteam erklärt.

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Es ist ein Schritt, der reichlich Interpretationsspielraum lässt. Offiziell teilte Frohms mit: „Bereits seit der WM im vergangenen Jahr ist die Entscheidung gereift, dass das Olympiaturnier in Paris mein letztes in der Nationalmannschaft sein wird. Mein Land bei zwei großen Turnieren als Nummer eins vertreten zu haben, war mir eine Ehre, aber auch körperlich und mental sehr fordernd.“ Nun möchte sie mehr Zeit für Familie und Freunde haben und sich ganz auf die Aufgaben beim VfL Wolfsburg fokussieren.

Zugleich bedeutet das eine schlechte Botschaft für den neuen Bundestrainer Christian Wück. Bei seiner Vorstellung kürzlich hatte er noch einen Zweikampf zwischen Frohms (52 Länderspiele) und Ann-Katrin Berger (16 Länderspiele) um den Status der Nummer eins ausgerufen. Berger, die in Frankreich den Vorzug vor Frohms erhalten hatte, war von den Olympischen Spielen als Heldin zurückgekehrt und danach zu Deutschland Fußballerin des Jahres gekürt worden. Die von zwei Krebserkrankungen geheilte 33-Jährige hatte sich die Auszeichnung verdient. Ihre Konkurrentin hingegen hat offenkundig Wertschätzung vermisst.

Frohms hatte unter der Rückversetzung durch Interimstrainer Hrubesch mehr gelitten als gedacht

Neid und Missgunst sind gewiss keine Charaktereigenschaften, die zu Frohms passen. Doch soll ihr die Rückversetzung arg zugesetzt haben. Die aus Celle stammende Torhüterin hatte selbst lange kämpfen müssen, beim VfL Wolfsburg war sie nur Ersatz, reifte über Einsätze für den SC Freiburg und dann bei Eintracht Frankfurt zur Spitzentorhüterin, ehe sie vor zwei Jahren in die Heimat zurückkehrte. Ihr Debüt im Nationalteam gab sie zwar im Alter von 23 Jahren, aber noch bei der WM 2019 war sie nur die dritte Torfrau.

So gibt es Anzeichen, dass es sich bei dem Rücktritt um die Trotzreaktion einer in ihrem Gerechtigkeitsempfinden schwer verletzten Sportlerin handeln könnte. Frohms hatte unter der anfangs nicht sofort nachvollziehbaren Rückversetzung durch Interimstrainer Horst Hrubesch offenkundig mehr gelitten als gedacht. Nach dem Entzug des Vertrauens leistete sich im Juli beim vorletzten EM-Qualifikationsspiel gegen Island (0:3) selten gesehene Aussetzer – danach war fast klar, dass Berger bei Olympia spielen würde.

Die Nummer eins: Ann-Katrin Berger stand schon bei Olympia im DFB-Tor. (Foto: Tullio M. Puglia/Getty)

Wück drang zu seinem Bedauern bei Frohms offenbar nicht mehr durch: „Ich hätte sehr gerne mit Merle gearbeitet und habe ihr das auch in einem persönlichen Gespräch deutlich gemacht.“ Vergeblich. Nun wird zu Wücks ersten Länderspielen gegen England und gegen Australien (28. Oktober) wohl neben Stina Johannes von Eintracht Frankfurt auch Maria Luisa Grohs vom FC Bayern berufen, die sich beim Meister zum selbstbewussten Rückhalt entwickelt hat. Beide haben mit 24 beziehungsweise 23 Jahren ihre beste Zeit noch vor sich.

Der DFB wirkt von der Entwicklung überrumpelt. „Ich bedauere die Entscheidung von Merle sehr. Sie war immer ein wichtiger Teil unserer Mannschaft, ein sicherer Rückhalt und eine absolute Leistungsträgerin“, sagte Verbands-Sportdirektorin Nia Künzer: „Natürlich respektieren wir ihren Entschluss, auch wenn das nicht einfach ist.“ Künzer weiß aus aktiven Zeiten, dass deutsche Erfolge im Frauenfußball immer mit herausragenden Torwartleistungen verknüpft waren. Silke Rottenberg, Nadine Angerer, danach Almuth Schult umgab eine besondere Aura. Die derzeit bei in den USA bei NJ/NY Gotham FC spielende Berger hat daran angeknüpft, ohne ihre Glanztaten im Elfmeterschießen wäre Deutschland nicht mit Bronze aus Paris zurückgekehrt. Merle Frohms hatte da nur von außen zusehen dürfen.

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