Giulia Gwinn und Lea Schüller zählen zwar wirklich nicht zu denjenigen, die sich noch in den Vordergrund spielen müssen. Aber Tore, das macht sich natürlich trotzdem prächtig in der Bewerbungsmappe, die vorne auf dem Deckblatt fünf Ringe aufgedruckt hat. Vor allem, wenn derjenige, der den Auswahlprozess leitet, bisher noch nicht ganz so zufrieden mit der Leistung von allen ist. „Wir haben viele einfache Fehler gemacht“, sagte Interimsbundestrainer Horst Hrubesch nach dem 4:1 gegen Polen. Einem Spiel der deutschen Fußballfrauen, das mit einem Rückstand nach nur 28 Sekunden begann – und erst nach einem Eigentor und den Treffern von Schüller (78. Minute) und Gwinn (84., 88./Elfmeter) noch ein versöhnliches Ende nahm.
Das war wichtig fürs Selbstvertrauen des Teams wie auch für die Bilanz in der Qualifikation zur Europameisterschaft 2025: Wenn die DFB-Frauen am Dienstag (18 Uhr, ARD) erneut gegen die Polinnen gewinnen, müssen sie sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob sie bei dem Turnier in der Schweiz dabei sind oder bis zum Schluss zittern – wie noch beim Cut für Olympia. Der vierte Sieg im vierten Spiel würde die sichere Teilnahme bedeuten. Schon jetzt haben sowohl die Österreicherinnen als auch die Isländerinnen mit jeweils vier Punkten fünf Zähler weniger als die Deutschen. Wie die abschließenden Partien gegen Island in Reykjavik am 12. Juli und gegen Österreich in Hannover am 16. Juli ablaufen, wäre dann zumindest in dieser Hinsicht egal.
Und eine wichtige Sache weniger im Kopf ließe vor allem mehr Platz für diese andere große Angelegenheit, die ohnehin ständig durch die Gehirnwindungen strömt, und die direkt nach der EM-Qualifikation ansteht: Olympia.
Der DFB hofft noch darauf, dass auch die vier auf Abruf Nominierten zu Olympia mit dürfen
„Dieses Turnier hat irgendetwas, es ist anders“, sagte Hrubesch unlängst. „Alle, die von Olympia reden, erzählen, was für eine Faszination es hat.“ Er selbst eingeschlossen. Weil seine Zeit in tragender Position beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) nach den Sommerspielen endet und Christian Wück übernimmt, kommt der Veranstaltung zusätzliche Bedeutung zu: Die Motivation des Nationalteams ist nicht allein sportlicher, sondern auch emotionaler Natur. Eine Medaille wäre das ideale Abschiedsgeschenk an den 73-Jährigen.

Und so geht es in dieser Phase der EM-Qualifikation nicht zuletzt darum, die richtigen Schlüsse zu ziehen für die Nominierung. Die Gruppe der Deutschen ist schwierig, mit den Partien gegen Australien (25. Juli) und Rekordweltmeister USA (28. Juli) in Marseille sowie gegen Sambia in Saint-Étienne (31. Juli) – und der Kader ist kleiner als sonst bei Großveranstaltungen. Statt 23 wie bei der WM vergangenen Sommer dürfen 16 Feldspielerinnen und zwei Torhüterinnen mit. Der DFB hofft noch darauf, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) seinem Antrag zustimmt, die Kader zu vergrößern. Oder dass zumindest die vier auf Abruf Nominierten auch in den Flieger steigen dürfen.
Unabhängig davon macht sich der gesteigerte Konkurrenzkampf bemerkbar. Ein paar Spielerinnen wird Hrubesch in den nächsten Wochen keine schöne Botschaft überbringen. Die EM-Quali wird zum Olympia-Casting. Im Training, so erzählte es Lena Oberdorf vor ein paar Tagen, sei das ständig zu spüren, „weil es darum geht, wer in der Startelf steht und wer auf der Bank sitzt. Das macht das Niveau im Training noch mal höher.“ Sie selbst kann trotzdem halbwegs entspannt auf den Rasen gehen, denn auf seine Mittelfeldregisseurin wird Hrubesch keinesfalls verzichten. Genauso wenig auf Leistungsträgerinnen wie Kapitänin Alexandra Popp, Lea Schüller, Sjoeke Nüsken, Giulia Gwinn, Kathrin Hendrich und Marina Hegering.
Fällt nach Sara Däbritz auch noch Marina Hegering verletzt für Olympia aus?
Aber selbst im Tor, wo Merle Frohms als gesetzt gilt, will sich Hrubesch noch nicht festlegen. „Geschenke gibt es eh keine bei mir“, sagte er. „Ich lasse diese Frage einfach mal offen, weil ich drei gute Torhüterinnen habe.“ Gegen Österreich spielte Frohms (3:2), gegen Island Ann-Katrin Berger (3:1), nun gegen Polen wieder Frohms, im Rückspiel soll Stina Johannes (Eintracht Frankfurt) sich zeigen. Ohne Länderspielerfahrung ist sie derzeit hinter Berger die klare Nummer drei. Aber, erinnerte Hrubesch: „Morgen ist die eine verletzt, dann ist die andere die Eins. Also warum sollte ich mich da festlegen?“
Wie schnell das gehen kann, zeigte gegen Polen der Fall von Marina Hegering. Die Abwehrchefin vom VfL Wolfsburg war gerade erst verletzt und musste bei ihrer Rückkehr nicht einmal eine halbe Stunde nach ihrer Einwechslung wieder raus: Muskelverletzung in jener Wade, die nach einem Faserriss gerade verheilt war, so die erste Diagnose. Da könnte es knapp werden bis zu den Spielen, auch wenn noch rund 50 Tage Zeit ist. Schon jetzt fehlt in Sara Däbritz von Champions-League-Finalist Olympique Lyon eine prominente Nationalspielerin verletzt; die 29-Jährige wird nach einer Knöchel-OP im April wahrscheinlich nicht fit für Olympia.
Wie viel instabiler die Abwehr zuletzt ohne die Routine und Autorität von Hegering agierte, machte deutlich, dass der Erfolg des deutschen Teams durchaus an Einzelnen hängt. „Man hat gespürt, als sie auf dem Feld war, dass eine Sicherheit da war“, sagte Gwinn. Die jüngeren Auftritte zeigten ohnehin trotz der guten Bilanz, dass Olympia in dieser Verfassung schnell vorbei sein könnte. Auf den mühsamen Auftakt gegen Österreich folgte eine Steigerung gegen Island, nun gegen Polen mangelte es erneut an Abgeklärtheit.
Dass Hegering ausfällt, ermöglicht zumindest Bibiane Schulze Solano (Athletic Bilbao) und Sara Doorsoun (Eintracht Frankfurt), sich für die Innenverteidigung zu empfehlen. Was tut sich auf den Außenpositionen? Wer fliegt noch im Mittelfeld raus? Und in der Offensive? Für Laura Freigang und Nicole Anyomi dürfte es eng werden. Beide bekamen gegen Polen von Horst Hrubesch eine Chance – aber in ihrer Bewerbungsmappe ist noch gut Platz.