Genau so hatte das nicht ablaufen sollen: Anfangsphase verschlafen, direkt in Rückstand geraten. Und doch passierte genau das. Zwar nicht so früh wie am Freitag beim Hinspiel in Rostock, als das deutsche Nationalteam schon nach wenigen Sekunden hinten lag – und 4:1 gewann. Doch der Blick von Horst Hrubesch verriet, dass ihn das kein bisschen milde stimmte. Der Interims-Bundestrainer schaute im Stadion Miejski der polnischen Hafenstadt Gdynia ratlos auf den Platz. Eben hatte Dominika Grabowska die Polinnen in der zwölften Minute in Führung gebracht. Seine Spielerinnen ließen sie gewähren, obwohl die Szene vorher gut hätte geklärt werden können.
Weil die Deutschen ihrem neusten Muster aber wenigstens treu blieben, nach der Pause aufdrehten und sich am Ende mit 3:1 (0:1) durchsetzten, haben sie ihr Ziel dennoch erreicht: Nach dem vierten Sieg im vierten Qualifikationsspiel für die Europameisterschaft 2025 sind sie sicher bei dem Turnier in der Schweiz dabei. Der Fokus kann nun ganz auf die Olympischen Spiele gelegt werden. Und hierfür, das wurde am Dienstag auch deutlich, können sie jede Minute der konzentrierten Vorbereitung bestens gebrauchen.
„Es kommt darauf an, das Spiel zu kontrollieren – und nicht von Anfang an gleich loszugehen wie verrückt“, hatte Hrubesch noch gesagt. Aber das mit der Kontrolle klappte nicht wirklich. Mit Fehlern und Nachlässigkeiten halfen die DFB-Frauen ihren Gegnerinnen, in den Rhythmus zu kommen. Mit einer schlechten Chancenverwertung brachten sie sich um das Momentum an diesem Abend. Erst fehlte die Konsequenz – und dann auch noch eine ihrer wichtigsten Spielerinnen.
Lea Schüller trifft zweimal
Lena Oberdorf hätte nach rund einer halben Stunde fast den Ausgleich erzielt, bevor sie sich wenige Minuten vor der Pause bei einem Zweikampf verletzte. Die 22-Jährige konnte zwar aufstehen, aber nicht mehr selbständig laufen. Gestützt von Betreuern humpelte sie über den Rasen, weil sie mit dem linken Fuß nach einem Schlag auf die Wade nicht auftreten konnte. In die Kabine wurde sie getragen. Ihre Gesichtszüge waren erfüllt von Schmerz – und ihr Kopf mit Sicherheit bestimmt vor allem von einem Gedanken: Bitte nichts Schlimmes!
In rund sieben Wochen beginnt für die Fußballerinnen Olympia, wenig Zeit, um eine ernsthafte Verletzung zu kurieren. Sollte Oberdorf tatsächlich ausfallen, würde das eine Lücke reißen, die nicht zu schließen wäre. Dann würden Zweikampfstärke, Übersicht sowie Stabilität im Mittelfeld fehlen, die die Führungsspielerin in besonderer Manier vereint. Für Oberdorf brachte Hrubesch nicht etwa eine jener Spielerinnen, der jede Minute nutzen würde, um sich zu präsentieren für den Olympia-Kader, der nur 16 Plätze für Feldspielerinnen vorsieht. Nein, er wechselte seine erfahrenste Fußballerin ein, Alexandra Popp, die eigentlich geschont werden sollte. Aber Hrubesch hatte offensichtlich nicht den Eindruck, darauf Rücksicht nehmen zu können angesichts der schwachen Leistung seines Teams.
Zumal eine andere Routinierin fehlte: Abwehrchefin Marina Hegering hatte am Freitag aufgrund einer Muskelverletzung in der linken Wade ausgewechselt werden müssen. Immerhin hier hatte Hrubesch mit Blick auf Olympia bereits in Aussicht gestellt: „Ich gehe davon aus, dass es absolut reichen wird. Und ich denke, da war auch der Schreck ein bisschen größer“, sagte der 73-Jährige: „Wir haben ein MRT gemacht, und ich denke, dass wir das hinkriegen.“ Für Hegering spielte Sara Doorsoun in der Innenverteidigung. Im Tor kam Stina Johannes zu ihrer Länderspiel-Premiere. Insgesamt rotierte Hrubesch auf sechs Positionen.
Dass auch diese Partie nach der ersten Hälfte nicht in einer Niederlage endete, lag dann auch an Popp. Sie verlängerte eine Ecke von Klara Bühl in den Torraum, wo Lea Schüller lauerte. Ihr Ausgleich in der 51. Minute symbolisierte den stark verbesserten und viel überzeugenderen Auftritt in der zweiten Halbzeit. Die Deutschen – verändert auf drei weiteren Positionen – traten deutlich variabler, zielstrebiger und gefährlicher auf.
Immer wieder kamen sie aussichtsreich zum polnischen Strafraum. In der 69. Minute war es dann zum zweiten Mal Schüller, die sich dafür belohnte, zum zweiten Mal stand sie dabei dicht vorm Tor: Nach einer Flanke von Giulia Gwinn schob sie ihren Fuß das entscheidende Stück weiter vor als ihre Gegnerin – und den Ball zum 2:1 an der Innenseite des rechten Pfostens vorbei. Und wo es gerade schon so gut lief, erhöhte die an so vielen Offensivaktionen beteiligte Klara Bühl noch mit einem strammen, flachen Schuss in der 77. Minute auf 3:1. Da war der abermals schlechte Start für einen Moment fast wieder vergessen.