Deutsches Nationalteam:Liebe alle, bitte auch mal daheim gewinnen!

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Den Abschluss dieses Jahres dürften sich die deutschen Nationalspielerinnen um Linda Dallmann (links) und Lea Schüller anders vorgestellt haben. (Foto: David Inderlied/dpa)

Das Jahr der DFB-Frauen endet mit einer Niederlage gegen Italien - und vielen Erkenntnissen für den neuen Bundestrainer Christian Wück. Die Zeit des Experimentierens ist nun aber vorbei, 2025 stehen vor der EM harte Personalentscheidungen an.

Von Anna Dreher

Eigentlich liegt die Lösung auf der Hand. Es kann gar nicht anders sein, als dass sich Christian Wück noch am Montagabend in der Kabine des Bochumer Ruhrstadions einen Stift und ein Blatt Papier hat geben lassen und ohne Zeitverlust einen Antrag verfasst hat, der auch als Wunschzettel durchgehen könnte. Bildmaterial gibt es von diesen Szenen nicht, aber mit etwas Fantasie lässt sich die Wortwahl auch ohne Beweisfoto erahnen. „Liebe alle“ dürfte der Bundestrainer sein Schreiben begonnen haben, um dann sämtliche nötigen Adressaten in den Verbandszentralen von DFB über Uefa bis zur Fifa anzusprechen: „Bitte ab sofort nur noch Auswärtsspiele!“

In vier Partien hat Wück das Fußball-Nationalteam der Frauen nun angeleitet, und ein erstes Muster zeichnet sich ab: In London (4:3) und Zürich (6:0) spielten die Deutschen bisweilen furios auf, sie überzeugten mit Selbstverständnis und Effizienz, was Wück in dieser Form womöglich selbst erstaunt hatte. Vor allem bei seiner Premiere gegen England, der Neuauflage des EM-Finals von 2022, war mit solch einer Dynamik nicht zu rechnen gewesen: Steckten die DFB-Frauen nicht mitten im Umbruch mit neuen Trainern? Fehlten auf dem Platz nicht Führungsspielerinnen, weil einige abgesagt hatten, Mittelfeldregisseurin Lena Oberdorf langfristig verletzt fehlte, und weil Kapitänin Alexandra Popp, Abwehrchefin Marina Hegering sowie Torhüterin Merle Frohms zurückgetreten waren?

Laura Freigang im Nationalteam
:„Ich würde gerne eine größere Rolle spielen“

Seit Jahren ist Laura Freigang eine der besten Spielerinnen der Bundesliga, doch im Nationalteam tat sie sich oft schwer. Nicht nur die zwei Tore gegen die Schweiz deuten an, dass sich das unter dem neuen Bundestrainer ändern könnte.

Von Anna Dreher

Auf beide Hochs allerdings folgte Ernüchterung. Bei den Heimspielen in Duisburg gegen Australien (1:2) und jetzt in Bochum gegen Italien (1:2) zeigte sich, dass so viele Veränderungen wohl doch nicht geräuschlos zu vollziehen sind. Die Deutschen verunsicherten sich selbst mit eigenen Fehlern und luden ihre Gegnerinnen zu Toren ein. Gegen Italien waren es Patzer von Innenverteidigerin Sarai Linder (Fehlpass, 11. Minute) und Torhüterin Ena Mahmutovic, die bei ihrem Debüt mit einem gewagten Dribbling im Fünfmeterraum zur Vorlagengeberin für Italiens Siegtreffer (74.) wurde. Abwehrspielerin Felicitas Rauch (51.) hatte zuvor zum 1:1 ausgeglichen, aber auch diverse Kolleginnen von ihr hätten Tore erzielen können - für manche galt sogar: bei mehreren, hundertprozentigen Chancen.

Das letzte Länderspiel des Jahres komplettierte also das kuriose Muster Auswärtssieg-Heimniederlage-Auswärtssieg-Heimniederlage, statt als Geschenk drei Wochen vor Weihnachten ein ereignisreiches 2024 versöhnlich abzuschließen. Begonnen hatte das Jahr mit den nicht leichten Aufgaben, sich für die EM und Olympia zu qualifizieren. Letzteres gelang denkbar knapp. „Wir sind in der Findungsphase“, bekräftigte Wück nun nach dem Italien-Spiel am ARD-Mikrofon: „Wir wollten ausprobieren, die Mannschaft kennenlernen, die Strukturen kennenlernen.“ Wir, damit meinte er sich und seine Assistenztrainerinnen Maren Meinert und Saskia Bartusiak, mit denen er nach den Olympischen Spielen die Aufgabe von Horst Hrubesch übernommen hatte. Das große Kennenlernen schloss eine Testphase bis zu den letzten Partien 2024 ein. Bloß keinen unnötigen Druck aufbauen, das war die Kernbotschaft, deren Wirkung wichtig war, wenn gelingen sollte, was Wück, Meinert und Bartusiak sich vorgenommen hatten.

„Ich bin nicht unzufrieden, weil ich weiß, woran es gelegen hat“, sagt Bundestrainer Christian Wück

Viermal sah Wücks Startelf bisher anders aus, viermal gab es jeweils sechs Wechsel. Besonders gegen die Schweiz zeigte Wücks Gespür die gewünschte Wirkung, als fünf der sechs Tore von Einwechselspielerinnen vorbereitet und/oder erzielt wurden. Wobei Laura Freigang auf der Zehnerposition aufblühte, und in der Offensive eine zusätzliche Option liefert, auf die Wücks Vorgänger Horst Hrubesch und Martina Voss-Tecklenburg noch verzichteten.

Ob eine Siegquote von 50 Prozent angesichts der Umstände gut oder schlecht ist, hängt von der eigenen Anspruchshaltung ab. Bei seiner ersten Analyse der Niederlage gegen Italien konstatierte Wück knapp und korrekt: „Wenn wir hinten solche Fehler machen und vorn die Chancen nicht nutzen, werden wir kein Spiel gewinnen.“ Dennoch sah der 51-Jährige in Bochum auch etwas Positives: „Das Gute ist, dass es an uns lag. Ich bin nicht unzufrieden, weil ich weiß, woran es gelegen hat.“ Überhaupt ist Wück ein Anhänger jener Denkweise, die besagt, im Zweifel mehr aus Rückschlägen lernen zu können als aus Siegen. Und zu lernen gab es für diverse Spielerinnen einiges.

Am 8. März wurde Christian Wück als neuer Bundestrainer verkündet, nach Olympia 2024 übernahm er die DFB-Frauen von Horst Hrubesch. (Foto: David Inderlied/dpa)

Fest anvisiert ist die EM 2025, sie soll nach Olympia-Bronze den nächsten Erfolg bringen. Über diesem unmittelbaren Ziel thront das langfristige Vorhaben, die DFB-Frauen spielerisch und taktisch weiterzuentwickeln, um sie wieder konstant zu Titelkandidatinnen zu machen. Dafür soll auch der Kreis an Spielerinnen erweitert werden, Talente sollen früh ans höchste Niveau herangeführt werden. In der Abwehr, ohnehin zuletzt oft die Problemstelle, scheint sich hinter den Etablierten eine Lücke aufzutun. „Wir müssen auch von diesem Denken wegkommen, dass junge Spielerinnen nicht in der Lage sind, Spiele zu gewinnen, Spiele entscheiden zu können“, findet Wück.

Im Oktober debütierten Lisanne Gräwe, 21, und Giovanna Hoffmann, 26. Diesmal waren es mit Cora Zicai, 20, Alara Şehitler, 18, sowie den Torhüterinnen Sophia Winkler, 21, und Ena Mahmutovic, 20, gleich vier Talente. Dass er von ihnen verlange, auch mal Fehler zu machen, hat der Bundestrainer betont. Wück will etwas wagen. Sein Fußball sah zumindest in der Testphase mutiger aus als der auf Sicherheit bedachte Stil von Hrubesch. Das kommt gut an. Giulia Gwinn, vorerst Popps Nachfolgerin als Kapitänin, beobachtet eine positive Entwicklung: „Das spürt man einfach im Team, dass man das Gefühl hat, man bekommt dieses Vertrauen, man möchte es zurückzahlen. Und will sich auch was zutrauen.“ Felicitas Rauch lobte die Kombination aus neuem Trainer und „sehr mutigen Fußball“ als „wahnsinnig erfrischend“. Laura Freigang sagte: „Er gibt uns sehr viel Verantwortung auf den Positionen, und ich habe das Gefühl, dass wir dabei aufblühen.“

Die große Frage aber, die vorerst offen bleibt: Wie gut funktioniert all das, wenn es 2025 wieder auf Ergebnisse ankommt? Bisher waren die DFB-Frauen mit Wück von diesem Druck befreit, das Experimentieren tat nicht weh. Aber im Februar startet die Nations League, dann geht es wieder um Punkte. Gleichzeitig soll sich das Team hier einspielen für die EM, das Kader-Casting dürfte relativ schnell intensiviert und härter werden. Wück muss entscheiden, wer den Kern des Teams bildet, wie die Achse aussehen könnte. Gegner werden dann die Niederlande, Österreich und Schottland sein. Das erste Spiel im neuen Jahr findet am 21. Februar statt. Es ist, was für ein Glück, ein Auswärtsspiel.

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