DFB-Frauen gegen Brasilien:Eindruck: ruckelig

DFB-Frauen gegen Brasilien: Gegen Brasilien konnte die 20-jährige Jule Brand (links) als Einzige aus dem DFB-Team Brasiliens Abwehr und Torhüterin Leticia Silva überwinden.

Gegen Brasilien konnte die 20-jährige Jule Brand (links) als Einzige aus dem DFB-Team Brasiliens Abwehr und Torhüterin Leticia Silva überwinden.

(Foto: Ines Hähnel/Lobeca/Imago)

Das 1:2 der deutschen Fußballerinnen gegen Brasilien bestätigt die Formschwäche zum Start des Jahres. Knapp drei Monate vor der WM ist die Souveränität abhanden gekommen - das Team hofft nun auf eine Entwicklung wie vor der EM.

Von Anna Dreher, Nürnberg

Nach einer Weile kam auch Alexandra Popp aus den Katakomben des Max-Morlock-Stadions gelaufen. Der Blick fiel sofort auf ihren Gang. Zog sie ein Bein nach? Wirkte etwas unrund? Während des Länderspiels gegen Brasilien war sie beim Versuch, den Ball zu erwischen, hängengeblieben und humpelte die letzten Minuten der ersten Hälfte deutlich sichtbar über den Rasen, zur Pause wurde sie ausgewechselt. So richtig Entwarnung geben konnte Popp am Abend nach dem 1:2 vor mehr als 32 500 Zuschauern in Nürnberg nicht: "Mein Fuß macht ein paar Probleme. Was genau es ist, weiß ich auch nicht, ich kann ja nicht in meinen Fuß reingucken." Ob sie denn Schmerzen habe? "Wenn ich so stehe, nicht", sagte sie und schmunzelte.

Bis zur Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) sind es noch mehr als drei Monate, das dürfte der Befürchtung einer möglichen Verletzung Popps Schwere genommen haben. Aber mag der Abflug diesbezüglich noch weit genug in der Ferne liegen, so ist die Zeit zugleich knapp: Das deutsche Nationalteam steckt in einer Formkrise. Vergangenes Jahr hatten sich die DFB-Frauen eine Geschlossenheit, Spielstärke und ein Selbstverständnis erarbeitet, die sie bis ins Finale der Europameisterschaft in England brachten und die folgenden Monate nachwirkten - was auch zum ersten Sieg gegen die Weltmeisterinnen aus den USA seit 19 Jahren führte. Aber diese Mischung hat es nicht unfallfrei von 2022 nach 2023 geschafft. Teile der Sendung scheinen irgendwo hängengeblieben zu sein.

Den nervösen 0:0-Auftakt gegen Schweden im Februar konnte man noch auf die monatelange Winterpause und das Ausprobieren neuer Taktiken zurückführen, das glückliche 1:0 gegen die Niederlande am Karfreitag auf einige personelle Veränderungen. In beiden Fällen konnten sich die Feldspielerinnen bei den Torhüterinnen Merle Frohms und Ann-Katrin Berger bedanken, die deutliche Niederlagen verhindert hatten. Die Partie gegen Brasilien leitete nun nicht die erhoffte Wende ein, sondern bekräftigte den ruckeligen Eindruck. Und das trotz der Rückkehr zu einer Start-Formation aus erfahrenen und sich eigentlich untereinander bestens kennenden Kräften.

Die Bundestrainerin erkennt an, dass ihre Aufgabenliste ohnehin lang und am Dienstag nicht kürzer geworden ist

"Uns ist weiterhin bewusst, was wir können. Das müssen wir einfach wieder auf den Platz bringen. Da ist gerade einfach der Wurm drin. Es wäre schön, wenn wir das erklären könnten, weil wir es dann relativ schnell abstellen würden", sagte Popp, diesmal ohne zu schmunzeln. Im Prinzip stimmt es gerade außer im Tor nirgendwo so wirklich. Im jüngsten WM-Test erschwerte den Deutschen ein verschlafener Start gegen abgezockte, ballsicherere Brasilianerinnen, Sicherheit zu entwickeln. Gegnerische Pässe wurden falsch eingeschätzt, eigene Pässe zu unsauber gespielt. Die Positionierung stimmte oft nicht, Mut und Zweikampfhärte fehlten ebenso wie Stabilität in der Defensive und Kreativität in der Offensive.

DFB-Frauen gegen Brasilien: "Uns ist bewusst, dass es mit der Art und Weise, wie wir heute gespielt haben, bei der WM nicht reichen wird", sagt DFB-Kapitänin Alexandra Popp (links im Duell mit Brasiliens Kerolin Ferraz).

"Uns ist bewusst, dass es mit der Art und Weise, wie wir heute gespielt haben, bei der WM nicht reichen wird", sagt DFB-Kapitänin Alexandra Popp (links im Duell mit Brasiliens Kerolin Ferraz).

(Foto: Matthias Schrader/AP)

Bei dem emotionalen Abschied von Dzsenifer Marozsán nach 112 Einsätzen und der Rückkehr von Melanie Leupolz ein halbes Jahr nach der Geburt ihres ersten Kindes war Jule Brand letztlich die Einzige, die Brasiliens Torhüterin Leticia Silva überwinden konnte - das allerdings auch erst in der Nachspielzeit. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg betonte zwar, es sei "nicht richtig, sich grundsätzlich Sorgen zu machen", erkannte aber an, dass ihre Aufgabenliste ohnehin lang und am Dienstag nicht kürzer geworden ist. Und nicht nur Popp meinte: "Uns ist bewusst, dass es mit der Art und Weise, wie wir heute gespielt haben, bei der WM nicht reichen wird."

Genauer definierte die 32-Jährige vom VfL Wolfsburg nicht, was das im Resultat heißen könnte, aber der mögliche Turnierverlauf gibt die Antwort: Nach der Gruppenphase gegen Marokko, Kolumbien und Südkorea könnte Deutschland bereits im Achtelfinale wieder auf die Brasilianerinnen treffen. Oder auf die robust agierenden Französinnen, die nach einem Trainerwechsel und der daran geknüpften Rückkehr diverser starker Spielerinnen ebenfalls eine Herausforderung darstellen. "Wir gehen da nicht mit dem allerbesten Gefühl raus. Angst haben, Fehler zu machen, das darf nicht sein", sagte Sydney Lohmann zur Leistung gegen die Seleção. "Wir sind Deutschland, wir sind Vize-Europameister - mit dem Selbstbewusstsein sollten wir auch auftreten." Ihre Kollegin beim FC Bayern, Lina Magull, vermisste Leichtigkeit und die Beherrschung von Grundlagen.

Bis das nächste Mal gemeinsam an all den Baustellen gearbeitet werden kann, dauert es nun eine Weile. In der vorletzten sowie der letzten Juni-Woche trifft sich die Auswahl zur WM-Vorbereitung in Herzogenaurach. Zwei Partien gegen noch nicht genannte Nationen soll es während dieser Lehrgänge zur Probe für den nahenden Ernstfall geben. Vielleicht, meinte Lohmann noch, sei die Niederlage gegen Brasilien ja ein Wachrüttler "zum richtigen Zeitpunkt" gewesen. Und tatsächlich muss das Team von Voss-Tecklenburg gar nicht weit in die eigene Vergangenheit reisen, um Beispiele für die heilsame Wirkung eines ordentlichen Dämpfers zu suchen.

Nach durchwachsenen Jahren, die auf den Olympiasieg 2016 folgten, war es nicht zuletzt ein schlechter Jahresstart, der 2022 eine intensive Auseinandersetzung mit sich selbst in Gang setzte. Arbeitsweisen wurden umstrukturiert, die Kommunikation überdacht. Nach einem Unentschieden, zwei Niederlagen und einem Sieg traten die Deutschen im letzten Pflichtspiel vor der EM derart desolat gegen Serbien auf, dass die Aussichten nicht gerade prickelnd wirkten. Knapp drei Monate später folgte ein Durchmarsch, den erst die Engländerinnen im Finale zu stoppen vermochten. Dass es nach dieser eindrücklichen Entwicklung womöglich wieder einen ähnlichen Prozess braucht, überrascht nun aber doch - auch die Beteiligten.

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