Als Hansi Flick im Sommer an die Arbeit ging, war Deutschland nur noch eine ehemalige Fußball-Großmacht. Die sogenannte Mannschaft war während der Europameisterschaft auf erschreckend belanglose Weise im Achtelfinale ausgeschieden und wurde anschließend von niemandem vermisst, weil unter anderem die Dänen, Italiener, Belgier oder Spanier viel aufregender spielten. Zu diesem Zeitpunkt rangierte die Vertretung des DFB in der laufenden WM-Qualifikation auf dem dritten Platz hinter Armenien und Nordmazedonien, in der Fifa-Weltrangliste musste man sich lange nach unten tasten, um den viermaligen Weltmeister zu finden, erstmal kamen Länder wie USA, Schweiz und Kolumbien. Schweden rückte den auf Platz 16 herabgesunkenen Deutschen bedrohlich näher.
Diese Fakten drückten im vorigen Sommer das Befinden der Nationalelf aus, erst da hatten viele Landsleute verstanden, dass der Unfall während der WM 2018 gar kein Unfall gewesen ist, sondern das Merkmal einer krisenhaften Abwärtsentwicklung mit beunruhigender Tendenz zur Eskalation wie beim 0:6 in Spanien. Als Flick den Dienst antrat, war daher überall diese modische Parole zu hören, mit der Verantwortliche unter Erfolgsdruck gesetzt werden: Der neue Bundestrainer werde schnellstens "liefern" müssen - und genau das hat er getan.

DFB-Team in der Einzelkritik:Timo Werner erlöst sich selbst
Der Angreifer liefert mit zwei Toren eine Lektion in Stürmerpsychologie, Joshua Kimmich kämpft mit Laserpointern und Serge Gnabry wird zum Mann des vorletzten Passes. Die Flick-Elf in der Einzelkritik.
Seit Montagabend ist der DFB der erste Verband, den WM-Ausrichter Katar auf die Gästeliste gesetzt hat. Der zuständige Direktor Oliver Bierhoff darf ab sofort seiner liebsten Aufgabe nachgehen und ein Turnier-Camp samt zugehörigem Slogan planen. Ein Zeltlager in der Wüste vielleicht, mit Oase und Dattelpalmen? "Operation Sandsturm"?
Auf unspektakuläre Art hat Hansi Flick einen makellosen Start hingelegt
Niemand braucht Flick darauf hinzuweisen, dass die Erfolge in der besonders leichtgewichtigen Qualifikations-Gruppe J allenfalls relative Aussagekraft besitzen, aber ein bisschen klüger ist man jetzt schon. Einige Skeptiker hatten geargwöhnt, dass der neue Bundestrainer eine jüngere Ausgabe seines Vorgängers sein könnte, schließlich hatten die beiden lange genug zusammengearbeitet. Es gab Rufe nach einem Reformer ohne DFB-Vergangenheit wie Ralf Rangnick, doch davon ist vorerst keine Rede mehr.
Nicht nur wegen der fünf Siege hintereinander hat Flick auf seine unspektakuläre Art einen makellosen Start hingelegt, ähnlich wie nach seinem Einstieg beim FC Bayern vor zwei Jahren, als er zu seiner eigenen Verblüffung feststellte, dass sein Trainerschein und seine Überzeugungen als Fußball-Lehrer auch für die Betreuung eines Spitzenteams mit höchsten Ansprüchen taugen könnten. Damals musste er das erst lernen, diesmal besaß er von Anfang an die innere Gewissheit, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein.
Flick vermittelt glaubwürdig den Eindruck, den Posten des Bundestrainers sowohl als ehrenvolle Berufung wie als maximales persönliches Vergnügen anzusehen, sein Instinkt für die Psychologie dieses Sports verschafft ihm im Umgang mit den Spielern erstaunlichen Einfluss. Sein Pragmatismus stammt eher aus dem Fußball-Leben als aus dem Fußball-Lehrbuch. Ob Flick beim Aufsatz über Systemtheorien mit den berüchtigten Laptop-Trainern mithalten könnte? Er weiß: Das muss er gar nicht. Rhetorisch neigt er gelegentlich zu Kalendersprüchen, etwa: "Wir spielen nicht nur miteinander, sondern füreinander!" Er klingt dann manchmal wie ein Vorschulmagister. Aber warum nicht, wenn die Botschaft ankommt?