Bevor Hansi Flick auf der Pressekonferenz zu der Handvoll mitgereister Reporter sprechen durfte, führten die Gastgeber erst noch eine klinische Reinigung durch. Sämtliche heimischen Pressevertreter, die zuvor dem betrübten Vortrag von Mazedoniens Nationalcoach Blagoja Milevski zur 0:4-Niederlage gegen Deutschland gelauscht hatten, mussten den Saal zügig verlassen, um dem Viren-Räumkommando Platz zu machen. Die beiden Sonderbeauftragten nahmen dabei einen Behälter zur Hand, der genügend Spraymittel aufnehmen konnte, um den monumentalen Regierungspalast zu desinfizieren. Beflissen verteilten sie reichliche Mengen des Gifts auf dem Podium, zweifellos beseelt von besten Absichten. Gäste werden in der Hauptstadt Skopje sehr zuvorkommend behandelt.
So schön die Zeremonie war, so entbehrlich war sie doch. Flick hatte zuvor keine Bedenken gehabt, seinen mazedonischen Kollegen in den Arm zu nehmen, beim folgenden Zwiegespräch hat er auf Abstand ausdrücklich verzichtet. Aber wer gratulierte hier eigentlich wem? Es sah aus, als würde eher der Sieger den Verlierer beglückwünschen als umgekehrt. Blagoja Milevski reagierte geschmeichelt.
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Der freundschaftliche Umgang mit dem Kollegen, der obligatorische Besuch an der gegnerischen Betreuerbank samt Handschlag Mann für Mann, das gehört für den überzeugten Fußballer Hansi Flick zu jedem Spiel dazu wie der Ball und der Schiedsrichter. Das hat mit gutem Benehmen und Sportsgeist zu tun, aber sicherlich auch damit, dass Flick den einnehmenden Wert respektvoller Gesten und menschlicher Nähe einzuschätzen weiß - was nicht mit Berechnung zu verwechseln ist.
Thomas Müllers Zauberkunst hatte nicht geringen Anteil am Sieg
Die gelegentlich magisch anmutende Wirkung von Flicks Umarmungen ließ sich am Montagabend im Tose-Proeski-Stadion am Beispiel von Timo Werner studieren. Dieser spazierte nach Spielschluss in einer Weise durch den strömenden Regen zum TV-Interview, als ob ihm nicht nur die Arena, sondern die ganze Welt gehören würde. Bis zur Halbzeit war er noch der aktuelle Problemfall Nummer eins der Nationalelf gewesen, nach seinen zwei Treffern im zweiten Durchgang war er nun aber der Gewinner des Tages. "Ich glaube, gerade ein Stürmer - und ich vielleicht doppelt - braucht dieses Vertrauen von außen, und das gibt er mir zu hundert Prozent", stellte Werner in Richtung Bundestrainer fest. Vor der Pause hatte Werner noch am Ball vorbeigetreten, als er ihn volley aufs Tor schießen wollte; nachdem ihm aber der erste Treffer geglückt war, gelang ihm der viel schwierigere zweite umso leichter. "Wenn ein Trainer einen mag und auf einen setzt, dann hilft das jedem Spieler", erläuterte Werner abermals.
Ist Fußball-Pädagogik wirklich so simpel? Es erscheint zumindest so, wenn man die ersten beiden Runden betrachtet, die der neue Bundestrainer nun zurückgelegt hat. Schon bei Leroy Sané hatte die Methode Vertrauen im September Wirkung gezeigt: Flick ließ den mit sich hadernden Sané einfach so lang auf dem Platz, bis der Betroffene sein erlösendes Erfolgserlebnis gar nicht mehr verhindern konnte. Auch Thomas Müller ist ein Exempel für das Gelingen von Flicks Fürsorge-Therapie. Vor zwei Jahren beim FC Bayern schien der verschrobene Angreifer all seine Zauberkunst verloren zu haben, Niko Kovac hatte ihn öffentlich zur Ersatzlösung degradiert.
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Das Einsatz-Management ist komplizierter als beim FC Bayern
Am Montag in Skopje hat der längst zigfach wiedergeborene Müller seinen nicht geringen Anteil am anfangs mühsamen, später souveränen Auftritt der DFB-Elf gehabt. Den ersten Treffer bereitete er cool vor, den zweiten auf seine typische Art: Auf der Tribüne stritten sich die Zuschauer, ob er mit Absicht gehandelt oder bloß Glück gehabt habe, als er den Hampelmann imitierte. An der richtigen Antwort kann es keine Zweifel geben: Müllers seltsame Improvisationen sind auch in dieser neuformierten Mannschaft nicht fehl am Platz. Überlegungen von Fachleuten, ob der "Neuaufbau" nicht besser ohne Müller starten sollte, waren niemals die Überlegungen von Hansi Flick. Andererseits teilt er aber auch nicht die populäre These, dass Thomas Müller aus hierarchischen und historischen Gründen ein ständiger Startelf-Teilnehmer sein müsse. Am Freitag zog er Marco Reus vor, der nun wiederum auf der Bank saß.
Das Einsatz-Management in der Nationalelf ist weitaus komplizierter als beim hochbeschäftigten FC Bayern, das hat Flick erkennen müssen. Er muss mit sehr wenig Trainingszeit während der auf ein Minimum verkürzten Lehrgänge auskommen und mit ein paar abgezählten Qualifikationsspielen gegen kleine Gegner wie Nordmazedonien. In diesem Rahmen muss er ein umfangreiches Personal-Programm verwirklichen: Sorgenfälle wie Werner aufbauen, Einsatzkräfte wie Thilo Kehrer auf deren Vielseitigkeit prüfen, anspruchsvolle Männer wie Müller und Reus bei Laune halten, gleichzeitig einen Kaderspieler wie Florian Neuhaus mit Einsatzzeit bedenken. Nebenbei möchte der Coach aber auch der Mär entgegentreten, dem deutschen Fußball fehle es an international vorzeigbarem Nachwuchs. Neben dem Hoffenheimer Startelf-Debütanten David Raum tummelten sich zum Schluss auch die schon sehr versierten Junioren Jamal Musiala, Florian Wirtz und Karim Adeyemi auf dem durchweichten Rasen.
Ganz zufrieden mit dem Auftritt war Flick nicht, aber nichts konnte nach einem 4:0-Sieg unwichtiger sein. "Wir haben jetzt ein Jahr Zeit, die Dinge besser zu machen und uns zu entwickeln", sagte er mit Blick aufs WM-Turnier in Katar. Vor den großen Namen - Frankreich, Italien, Belgien - brauche man keine Angst zu haben, meint er: "Ich bin da sehr zuversichtlich."