DFB-Elf vor Länderspiel gegen Italien:Preußisch-bayerisches Experiment

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Das Länderspiel gegen Italien beleuchtet ein ambitioniertes Projekt von Bundestrainer Joachim Löw: Er muss die unterschiedlichen Spielstile des FC Bayern und der Dortmunder Borussia zusammenbringen. Dabei haben sich die Systeme der führenden deutschen Teams zuletzt voneinander entfernt.

Von Philipp Selldorf

Den herrschenden Erwartungen zufolge wird am Freitag ein Kombinat aus Spielern von Bayern München und Borussia Dortmund zum Test gegen Italien antreten. Ergänzt wird das Gemeinschaftsunternehmen durch Sami Khedira (Real Madrid) und, wenn ihn der Bundestrainer für hinreichend gesund befindet, Mesut Özil (FC Arsenal).

Dieses preußisch-bayrische Deutschland ist ein interessantes Experiment. Weniger, weil Dortmunder und Münchner sich am folgenden Wochenende in der Liga begegnen, sondern vor allem, weil Joachim Löw versuchen muss, zwei unterschiedliche Spielstile zu kombinieren. Somit steht das Italien-Spiel stellvertretend für das Projekt, das Löw vor sich hat. Er weiß: Die WM kann nur gelingen, wenn er Münchner und Dortmunder harmonisch in einem Team zusammenfügt - nicht nur atmosphärisch, sondern vor allem sportlich.

Mario Götze (re.) und Marco Reus (mi.): Münchner und Dortmunder vereint im Nationaltrikot (Foto: Bongarts/Getty Images)

Im Laufe der zwei, drei Jahre, in der sich die beiden Klubs die Herrschaft im Land teilen, haben sich die Schulen der beiden führenden deutschen Teams voneinander entfernt. Pep Guardiola hat die ohnehin bestehenden fachlichen Differenzen mit seinem Ansatz zur extremen Variabilität stark erweitert.

Dortmund spielt im Kern immer noch einen lautstarken defensiven Fußball, der bei Balleroberung blitzartig - "überfallartig", wie Löw sagt - auf Offensive umschaltet. Die Bayern ermüden den Gegner durch Ballbesitz und Ballzirkulation und zwingen ihn durch eine hoch formierte Grundordnung in die eigene Hälfte.

Fragt man Löw, wie er beide Versionen zu vereinen gedenke, sagt er zwar: "Wir haben unseren eigenen Stil." Aber er weiß, dass er durch diesen Anspruch alle Spieler auf einer gemeinsamen Linie zusammenführen muss. Er vertraut dabei wieder auf die Sonderkurse, die er vor der WM beim Trainingslager in Südtirol erteilen wird.

In der Offensive werden sich die verschiedenen Ideologien wohl nicht auffallend bemerkbar machen. "Wir haben viele spielstarke Spieler, die selber gern den Ball haben und das Spiel dominieren wollen", hat Philipp Lahm am Donnerstag nach der Ankunft in Mailand erklärt und damit für das gesamte Joint Venture gesprochen.

Mario Götze, der die Rolle des falschen Mittelstürmers übernehmen könnte, hat bei beiden Parteien Erfahrungen gesammelt. Die Flügelspieler Marco Reus und Thomas Müller dürfen als besonders anpassungsfähig gelten, und Özil hat als künstlerischer Leiter im Mittelfeld eine weniger systembezogene Funktion. Spannender ist die defensive Organisation in den vorderen Reihen. Hier wird Sami Khedira im Mittelfeld zwischen den Blöcken vermitteln müssen.

Zumal da die Abwehrreihe sozusagen ein reinrassiger Mischling ist. Rechts das Bayern-Modul mit Lahm und Jerome Boateng, links das Dortmund-Modul mit Marcel Schmelzer und Mats Hummels. Boateng beschreibt die Unterschiede so: "Wenn der Gegner angreift, stehen die Dortmunder im Verein tief, wir bei Bayern stehen unter dem neuen Trainer extrem hoch. In der Nationalmannschaft ist es ein Mittelding."

Zwangsläufig drohen Abstimmungsprobleme, wenn es etwa darum geht, den Gegner ins Abseits laufen zu lassen. Beim 5:3-Sieg neulich in Stockholm haben Boateng, Hummels, Lahm und Aushilfslinksverteidiger Marcel Jansen nicht immer die gemeinsame Linie gefunden.

In Abwesenheit von Per Mertesacker, der am Dienstag beim zweiten Test in London an den Start gehen soll, bekommt Hummels in Mailand die Gelegenheit, sein zuletzt angekratztes Ansehen aufzubessern. Auf eines seiner beliebten BVB-Stilmittel wird er dabei wieder verzichten müssen. Lange Bälle in die Spitze möchte Löw nicht sehen. Weniger, weil sie ihm ästhetisch missfallen - sondern weil Hummels' bevorzugter Passempfänger Robert Lewandowski keine Zulassung für die deutsche Nationalelf hat.

© SZ vom 15.11.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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