Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf vor der Europameisterschaft:Dortmund ist das neue Hannover

BVB-Fans sind entsetzt: In der Startelf der deutschen Nationalmannschaft wird zu Beginn der EM wohl kein einziger Dortmunder zu finden sein. Es muss allerdings kein schlechtes Omen sein, wenn Akteure aus der aktuellen Meistermannschaft keine tragende Rolle beim DFB übernehmen.

Boris Herrmann

Im vergangenen Jahr kündigte der Nationaltrainer an, er werde seine Stammelf in jedem Fall mit den Spielern von Borussia Dortmund bestücken. Sie hätten sich unter ihrem Vereinscoach Jürgen Klopp phantastisch entwickelt. Ihr Tempo, ihr Spielwitz und ihre Raffinesse seien auch bei der EM 2012 gefragt. Komme, was wolle, die Dortmunder spielen unter allen Umständen, sagte er.

Franciszek Smuda, der Nationaltrainer Polens, hat seine Meinung bis zum heutigen Tag nicht geändert. Das bedeutet, dass sich immerhin drei BVB-Akteure auf eine tragende Rolle bei dem anstehenden Großereignis freuen können. Was indes die DFB-Auswahl von Joachim Löw angeht, so hat sich der Verdacht erhärtet, dass die EM weitgehend Dortmund-frei ablaufen könnte. Beim letzten Testspiel gegen Israel stand kein Akteur des seit zwei Jahren dominanten Bundesligateams in der Startelf. Die wird bekanntlich vom FC Bayern geprägt, der seit zwei Jahren gegen ein ausgewachsenes BVB-Trauma ankämpft. Löw hat zwei Leverkusener, einen Gladbacher und einen Römer eingewechselt. Ach, und am Ende durfte dann auch noch Mario Götze vier Minuten mitrennen.

Menschen mit schwarz-gelber Seele fragen sich da natürlich: Ist sowas eigentlich erlaubt? Müsste im Nationalteam nicht zumindest ein Gleichgewicht der Systeme und Regionalinteressen herrschen - so, wie in den siebziger Jahren, als die Gladbacher Fohlen in der Liga zwischenzeitlich das waren, was heute die Dortmunder Feierbiester sind? Und, nur für den Fall der Fälle: Hätte es das denn jemals gegeben, dass der Meister zuschaut, wie der Vizemeister für das Vaterland einen Titel gewinnt?

An dieser Stelle darf man die Gemüter beruhigen. Das hätte es sehr wohl schon einmal gegeben. Die halbe Mannschaft, die 1954 im Berner Wankdorfstadion angeblich ein Wunder vollbrachte, stammte vom 1. FC Kaiserslautern. Der deutsche Meister dieses Jahres hieß allerdings Hannover 96 (5:1 im Endspiel gegen Lautern). Trotzdem schaffte es kein einziger 96er in den WM-Kader.

Gerne wird in diesem Zusammenhang auch auf die (zugegeben deutlich unrühmlichere) WM 1998 verwiesen, bei der sich der Meister Kaiserslautern lediglich von einem gewissen Olaf Marschall vertreten ließ. Als der im Viertelfinale gegen Kroatien zum ersten Mal eingewechselt wurde, war die DFB-Elf eigentlich schon ausgeschieden. Um also einem weiteren Wankdorf-Mythos vorzubeugen: Eine Nationalelf ohne Meisterspieler ist auch noch keine Garantie für Erfolg.

Vielleicht ist es ja auch so, dass Löw einen Masterplan hat, der sich weniger an der Liga als am DFB-Pokal orientiert. Vielleicht lässt er die Münchner erstmal machen. Und schont die Dortmunder fürs Finale.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1372652
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.06.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.