DFB-Elf vor dem Portugal-Spiel:Schreckliche Erinnerungen an Drogba

Die Debatte über Standards verfolgt die DFB-Elf von Turnier zu Turnier. Gerade die Münchner Spieler haben erst kürzlich schmerzhaft erfahren müssen, wie sich ein großes Spiel am Ende auf ein paar kleine Grausamkeiten reduzieren kann. Ecke, Tor. Elfmeter, kein Tor. Joachim Löw ist kein Freund von Siegen, die durch Eckbälle und Elfmeter zustande kommen - und doch ließ er vor dem EM-Start gegen Portugal Standards trainieren. Das zeigt: Der Bundestrainer meint es ernst mit dem EM-Titel.

Christof Kneer, Danzig

Die letzten großen Fußball-Bilder, die Deutschland im Kopf hat, sind genau drei Wochen alt. Es sind Bilder von Didier Drogba, der den Ball per Kopf ins Tor wuchtet. Es sind Bilder von Bastian Schweinsteiger, dessen Elfmeter vom Pfosten zurückklatscht. Es sind Bilder von Münchner Fußballern, die trauernd auf dem Rasen kauern und nicht verstehen, wie man ein Fußballspiel verliert, das man nicht verlieren kann.

Drei Wochen später startet nun die deutsche Nationalmannschaft in ihren großen Wettbewerb, es ist eine Mannschaft, in der einige jener Spieler stehen, die kürzlich trauernd kauerten. Die Münchner haben schmerzhaft erfahren müssen, wie sich ein großes Spiel am Ende auf ein paar kleine Grausamkeiten reduzieren kann. Ecke, Tor. Elfmeter, kein Tor.

Joachim Löw, der Bundestrainer, hat vor dem Abflug zum ersten Gruppenspiel in die Ukraine noch einen kleinen Scherz hinterlassen, er wette, dass sein Team kein Tor aus Standardsituationen erziele, sagte er. Man darf das nicht missverstehen, Löw ist kein Saboteur, und er ist auch kein Fall für die internationale Wettaufsicht. Es ist ein Ritual inzwischen, eine Art Aberglauben; wenn Löw diese Wette wettet, gelingen seinem Team eben doch Tore nach Standardsituationen. Löw nimmt es genüsslich in Kauf, dass Assistent Hansi Flick die Wette gewinnt und Wein nicht näher definierter Herkunft und Menge als Prämie abräumt.

Manchmal gönnt sich Löw den Luxus, an eine ideale Welt zu glauben. In jener Welt, die Löw vorschwebt, gibt es keine Fouls, also gibt es auch keine Freistöße. Es ist ein Stilmittel, das nicht sein muss, so sieht er das, und deshalb nutzt er die begrenzte Zeit lieber, um seine Spieler Dinge üben zu lassen, die in seiner idealen Welt vorkommen. Es ist eine ökonomische Entscheidung, die von einer ästhetischen Entscheidung unterwandert wird. Flick, der tapfere Wettgewinner, bekennt sich in diesem Punkt offen zu einer Meinungsverschiedenheit mit seinem Chef. "Ich denke, wir müssen Standards mehr trainieren", sagt er, "wir müssten mehr Dynamik reinbekommen."

Die Debatte über Standards verfolgt die DFB-Elf von Turnier zu Turnier, und längst verbirgt sich dahinter mehr als Folklore. Auch die DFB-Elf musste ja schon mit ansehen, wie sie von den hochverehrten Spaniern bei der WM 2010 mit einem eingeübten Kopfball aus dem Finale vertrieben wurde. Seitdem stehen die Standards stellvertretend für jene Prise Raffinesse und Wettkampfhärte, die dem porentief reinen Löw-Projekt im entscheidenden Moment fehlte.

"Selbstverständlich" habe man in dieser ersten Danziger Woche die Standards ins Trainingsprogramm aufgenommen, hat Löw gerade erklärt. Es könnte ein Zeichen sein, dass dieser Trainer jetzt wirklich einen Titel gewinnen will.

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