DFB-Elf vor dem Paraguay-Test:Training für den Amazonasdschungel

Deutschland - Paraguay - Training

Dehnen für Deutschland: Die Nationalspieler Sami Khedira, Mats Hummels und Mesut Özil (von links) bei der Arbeit.

(Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Mit dem Länderspiel gegen die Maurermeister aus Paraguay beginnt für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft die Einstimmung auf die WM 2014. Joachim Löws Königsprojekt auf dem Weg nach Brasilien: Der Bundestrainer will die Gegentorquote senken.

Von Philipp Selldorf, Mainz

Hört man den Bundestrainer über die in zehn Monaten anstehende Weltmeisterschaft sprechen, dann stellt sich fast die Frage, ob es überhaupt ratsam ist, dass sich die Nationalmannschaft für diese Veranstaltung qualifiziert. Denn dieses Brasilien muss wohl eine ziemliche Hölle sein. Joachim Löw hat es neulich selbst erlebt, als er mit Oliver Bierhoff und anderen Mitgliedern seines Stabes während des Confed-Cups das Land bereist hat. Sein Fazit: "Es wird eine WM des unbedingten Willens, der Anpassung und der Einstellung."

Das hört sich nach Spinnen an, die groß sind wie Magaths Medizinbälle, und nach Piranhas, die in wenigen Sekunden einen ganzen Mittelstürmer abgenagt haben. So dramatisch hat es Löw zwar nicht gemeint, aber ihm reichen schon die gewöhnlichen Beschwernisse, um zu warnen. Namentlich: "Feuchtes, tropisches Klima, Staus auf den Straßen, lange Flugzeiten, Reisestrapazen."

"Anpassen! Das wird das Wichtigste sein"

Deutscher Perfektionismus hat an einem Ort mit solchen Tücken nichts verloren, meint er: "Wir dürfen jetzt nicht glauben, dass wir all unsere Ideen einbringen und realisieren können. Sondern es heißt: Anpassen! Das wird das allerwichtigste sein."

Jetzt hat Löw zum ersten Mal im WM-Jahr seine Mannschaft um sich versammeln dürfen, und der Ort, den die DFB-Strategen dazu ausgesucht haben, zeugt von Weitblick. Sie haben das Abenteuer Südamerika bereits vorempfunden. Zur Vorbereitung auf das Testspiel gegen Paraguay wurden die Nationalspieler nach Mainz beordert, also an den einzigen Ort in Europa, in dessen Hauptbahnhof Züge weder hinein- noch aus ihm herausfahren. Ein Dorf im brasilianischen Amazonasdschungel hat vermutlich bessere Verbindungen zur Außenwelt.

In seinem abgelegenen Mainzer Hotel bekam Löw am Morgen vor dem Spiel ein Lachen geschenkt. Beschert wurde es ihm von der Bild-Zeitung, die auf Seite eins erregt zu melden hatte, dass die Frauen und Freundinnen der Nationalspieler im kommenden Jahr auf eine liebe Gewohnheit verzichten müssen. Das gemischte Camp für die Fußballerfamilien, das seit der WM 2006 dem eigentlichen Trainingslager vorausging und stets an besonders angenehmen Orten aufgeschlagen wurde - etwa an der sardischen Costa Smeralda -, das wird es 2014 nicht geben.

Königsprojekt Defensivarbeit

Die Gründe dafür sind organisatorisch, sie haben aber auch mit den Erfahrungen der ziemlich zerrissenen Vorbereitung auf die EM 2012 zu tun. Es mangelt an Zeit für eher Nebensächliches. Und im Hinblick auf Brasilien muss sich zwangsläufig einiges ändern, vorgesehen ist beispielsweise zwecks Akklimatisierung eine deutlich frühere Anreise im Gastgeberland als bisher üblich war. Dass nun die Reisestornierung für die Spielerfrauen ein Thema für Seite 1 war, fand Löw auch deshalb lustig, weil er noch ganz andere Umwälzungen in seinem Betrieb plant.

Immerhin reichen seine Reformvorstellungen für das WM-Jahr von neuen Auswahlkriterien für die Testspielgegner bis zu dem Versuch, "das Schwierigste, das es im Fußball überhaupt gibt", zu bewältigen. Paraguay, dessen Nationalelf für große Maurerleistungen berüchtigt ist, suchte der Bundestrainer als Gegner aus, weil er meint, es sei "gut, auch mal eine andere Fußballkultur zu erleben".

Robust und zweikampfstark

Dass Paraguay zurzeit keine Hochkultur in Lateinamerika repräsentiert - in der WM-Qualifikation ist das Team Letzter -, hält Löw für nebensächlich. "Sie sind wahnsinnig robust und gehen rigoros in die Zweikämpfe", hebt er hervor und verweist auf Lerneffekte für die Reise nach Lateinamerika: Dass dort immer nur Samba-Fußball gespielt werde, sei "ein Irrglaube".

Das Königsprojekt auf dem Weg nach Brasilien sieht Löw in der Entwicklung neuer Defensivstandards in seinem Team. Das ist nicht erst seit der Ankunft in Mainz sein Thema, es verfolgt ihn seit dem vorigen Sommer, seit den prägenden und durchaus traumatischen Begegnungen mit Italien beim EM-Halbfinale (1:2) und mit Schweden in der WM-Qualifikation (4:4). Löw will die Gegentorquote senken und seiner Mannschaft beibringen, besser zu verteidigen, ohne Angriffskraft einzubüßen.

Von der Priorität des Angreifens werde man "kein bisschen abweichen", betont er zwar, das ist für ihn auch eine Stilfrage: "Ich persönlich liebe es über alles, offensiv zu spielen." Aber Löw ist sich natürlich klar darüber, dass es nicht um seine persönlichen Vorlieben geht, und dass er beim Turnier in Brasilien noch mehr am Erfolg gemessen wird als in all den sieben Jahren zuvor, in denen er nun Cheftrainer beim DFB ist.

"Wahnsinnige Vorfreude"

Deutschland ist kein Aufbauprojekt mehr wie 2006 und kein interessanter Geheimtipp wie 2010 in Südafrika, Deutschland ist jetzt ein erwachsener Titelfavorit, zumal im eigenen Land, wo allmählich die Ungeduld zu spüren ist, dass dieses mit Begabten reich gesegnete Ensemble noch keinen Pokal gewonnen hat.

Deshalb will der Bundestrainer nun die größte Herausforderung meistern, die an einen Fußball-Lehrer gestellt werden kann. "Defensiv sensationell gut zu stehen, ohne dabei Catenaccio zu spielen - und vorne drei, vier Tore erzielen" - so lautet Löws Wunschvorstellung fürs kommende Schuljahr. Denn in Wahrheit hat Löw gar nicht so viel Angst vor Brasilien: "Ich sehe diesem Turnier mit wahnsinniger Vorfreude entgegen."

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