DFB-Elf vor dem Irland-Spiel:Sorgen um die Dortmunder Krankenakte

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Letzter Klopp-Schüler: Mats Hummels wird in der WM-Qualifikation dabei sein - als einziger Dortmunder.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Nur Mats Hummels repräsentiert derzeit noch den BVB in der Nationalmannschaft, alle übrigen Kandidaten haben sich für die WM-Qualifikation verletzungsbedingt abgemeldet. Der Bundestrainer begegnet der Personal-Situation entspannt, bei der Borussia wachsen die Bedenken wegen Überbelastung.

Von Philipp Selldorf, Düsseldorf

Als vor zwölf Jahren die letzten Tage des deutschen Fußballs drohten, gehörte auch Oliver Bierhoff dem Sonderkommando an, das der DFB zur Rettung vor dem Untergang in die Ukraine schickte. Dank seines Charismas führte der schnauzbärtige Einsatzleiter Rudi Völler sein Fähnlein in Kiew zu einem Unentschieden und vier Tage später in Dortmund zu einem 4:1-Sieg, der den Deutschen doch noch die Zulassung zur WM 2002 brachte.

Die Abwendung des größten anzunehmenden Unheils ist als Heldenlegende in die Geschichte eingegangen - doch der Held Bierhoff kann sich kaum noch an die sagenhaften Einzelheiten erinnern. "In solchen Sachen bin ich leider ganz schlecht", sagt er.

Zum ohnehin schwachen Gedächtnis für historische Details hat Bierhoff in diesen Tagen außerdem ein Denkverbot erlassen. Kiew, die Ukraine, die Angst in der Heimat, all diese finsteren Reminiszenzen hat der DFB-Teammanager aus seinem Bewusstsein verbannt, obwohl dem deutschen Fußball, streng genommen, in diesem Herbst ein ähnliches Los droht. Eine unglückliche Niederlage am Freitag gegen Irland und noch eine unglückliche Niederlage beim möglichen Gruppenendspiel in Schweden am nächsten Dienstag - schon wäre die Schreckensvision Wirklichkeit.

Aber Bierhoff fasst es beinahe als Beleidigung auf, wenn man ihn mit solchen Phantasien konfrontiert, "das schließe ich gedanklich aus", sagt er, "im Fußball ist zwar alles möglich, aber das darf nicht sein, das wäre eine zu große Enttäuschung". Seine Zuversicht geht so weit, dass die Überlegungen bereits dem Spiel gegen Schweden gelten.

Bierhoff verspricht, die deutsche Mannschaft werde auch dann den gebotenen Einsatz zeigen, wenn sie sich gegen Irland bereits für die WM in Brasilien qualifiziert haben sollte: "Wir haben nach dem 4:4 im Hinspiel eine Rechnung offen, solche Dinge bleiben haften. Und das gebietet auch die sportliche Fairness gegenüber den Österreichern", sagt er. In Österreich, wo man noch auf den zweiten Gruppenplatz hofft, wird bereits die Sorge thematisiert, die Deutschen könnten die Aufgabe in Stockholm etwas leichter angehen.

Bierhoff hat natürlich Recht, wenn er feststellt, die Ausgangslage im Jahre 2001 sei mit der Situation im Jahre 2013 nicht zu vergleichen. Die Nationalmannschaft befand sich damals am Beginn eines Zeitenwechsels, deutsche Fußballer waren Seltenheiten in der Bundesliga und mussten unter Artenschutz gestellt werden, was Rudi Völler zumindest einen Vorteil gegenüber seinem Nachfolger Joachim Löw verschaffte: Er musste keinem Helden und erst recht keinem Schützenkönig beibringen, dass er nicht mehr in den Kader passt.

Löw sieht "genügend Möglichkeiten"

Eine Serie von verletzungsbedingten Ausfällen, wie sie das DFB-Team gegenwärtig verzeichnet, hätte Völler zur Verzweiflung getrieben. Löw hingegen hat es mit Gelassenheit ertragen, als sich nach den Bender-Zwillingen auch Marco Reus aus seinem Aufgebot streichen ließ. "Wir haben genügend Möglichkeiten", gab er aus dem Teamquartier bekannt. Nachnominierungen plant er lediglich dann, wenn im Training ein Unglück geschehen sollte.

Dass besonders die Delegation aus Dortmund durch Krankmeldungen reduziert wurde - nur der Fraktionsvorsitzende Mats Hummels repräsentiert noch den BVB im Nationalteam -, wird beim DFB ohne Misstrauen zur Kenntnis genommen. Die Missstimmung, die zuletzt das Verhältnis der Dortmunder Vereinsautoritäten zur Führung der Nationalmannschaft belastete, gilt nach der diplomatischen Mission des Bundestrainers während der vorigen Woche als ausgeräumt. "Ich sehe da absolut keinen Zusammenhang", erklärte Bierhoff folgerichtig am Dienstag, "die Spieler sind verletzt, das ist auch für Borussia Dortmund und Jürgen Klopp sehr schmerzlich."

Außer den aktuell betroffenen Reus und Sven Bender fehlen auch die Stammgäste Ilkay Gündogan und Marcel Schmelzer. Klubchef Hans-Joachim Watzke beklagte "unfassbares Verletzungspech", und Innenverteidiger Neven Subotic stellte fest, es gebe "so viele Ausfälle wie nie". Neun angeschlagene Spieler können derzeit nicht am Training teilnehmen. "Es kommt viel zusammen im Moment", kommentierte Sportdirektor Michael Zorc.

Über die Gründe wird gerätselt. Es gibt Indizien, aber keine Beweise. Beispielhaft für eine möglicherweise gefährliche Entwicklung steht die Krankenakte von Sven Bender, der Modell stehen könnte für den aggressiven, aufreibenden Dortmunder Spielstil: Adduktorenbeschwerden, Leistenprobleme, Sprunggelenksprellung, Schambeinreizung, eine Augenverletzung, ein Kieferbruch, ein Leistenbruch, die Hüfte, das Sprunggelenk - und das sind nur die Highlights aus dem Schadensgeschehen der vergangenen beiden Jahre.

Seinem Bruder Lars geht es in Leverkusen mittlerweile nicht viel besser: Derzeit leidet er an einem Muskelfaserriss, in den vorigen Monaten musste er an der Hüfte, am Knie, an der Ferse und am Sprunggelenk behandelt werden, im Frühjahr 2012 gab es einen Muskelbündelriss. Die Benders sind zwar erst 24 Jahre alt, aber ihre Karriere im Leistungssport reicht mit den Erfahrungen aus der Junioren-Bundesliga und dem Länderspielprogramm in den U-Teams des DFB weit zurück.

Ähnlich wie bei Mario Götze, der als 21-Jähriger ebenfalls schon eine stattliche Ausfallbilanz verzeichnet. Derzeit befindet sich Götze mal wieder auf dem Weg der Besserung. Beim FC Bayern vertraut man darauf, dass ihm bei der Nationalmannschaft kein Unheil geschieht. Uli Hoeneß hat ihm zwar, "rein privat", wie er versicherte, aber trotzdem in aller Öffentlichkeit empfohlen, daheim an der Säbener Straße zu bleiben. Aber er ist dann doch mit dem ausdrücklichen Segen von Trainer Pep Guardiola und Sportchef Matthias Sammer nach Düsseldorf gereist.

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