DFB-Elf verliert gegen die Schweiz:Üben! Üben! Üben! Nur wann?

Lesezeit: 4 min

Die deutsche Nationalelf verliert ohne die Akteure des FC Bayern das Testspiel in der Schweiz überraschend 3:5. Die Mannschaft von Joachim Löw präsentiert sich dabei in der Defensive hoch verwirrt und bei Standards schlecht sortiert. Viel Zeit bleibt Löw nicht mehr, einen Favoriten auf den EM-Titel zu basteln.

Jürgen Schmieder

Angela Merkel muss in diesem Tagen tapfer sein - nicht nur, weil sie beim EU-Wachstumsgipfel Schwierigkeiten hat, Partner für ihren Sparkurs zu finden. Seit diesem Samstag ist sie auch nicht mehr die mächtigste Person in Deutschland. Das ist per definitionem nun Joachim Löw: Wenn ein Trainer der deutschen Nationalelf die "heiße Phase" vor einem wichtigen Turnier ausruft, dann weiß die Politik: Ab sofort ist Sommerpause, nun regiert der Fußball.

Nicht erfreut: Bundestrainer Joachim Löw beim Spiel seiner Elf in der Schweiz (Foto: dapd)

Das stimmt natürlich nicht, in Wirklichkeit dürfen die Politiker erst ab dem 9. Juni pausieren, wenn die Nationalelf ihr erstes EM-Spiel Spiel gegen Portugal bestreiten wird. Noch hat alles freundschaftliche Züge - genau wie der sommerliche Spaßkick gegen die Schweiz in Basel, den die Deutschen am Samstagabend hochverdient 3:5 (1:2) verloren. "Man hat gesehen, dass noch nicht alles funktioniert", sagte Abwehrspieler Per Mertesacker, "das ist noch die beste Erkenntnis des Abends."

Es hatte schon staatstragende Züge gehabt, wie Löw zuletzt über die Vorbereitung gesprochen hatte. "Wir können nicht beantragen, dass die EM für uns eine Woche später angepfiffen wird", lamentierte er. Der DFB hatte seinen Spielern ja wieder einmal beste Trainingsbedingungen, fürstliche Hotels und ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm präsentiert, das Problem war nur: Es waren zu wenig Spieler da.

Die Real-Madrid-Profis kamen ebenso verspätet wie jene von Borussia Dortmund, die Akteure des FC Bayern sind nun zwar da, wurden aber gegen die Schweiz noch geschont. Löw hält die gemeinsame Zeit für besonders essentiell, um sowohl Individuen (Miroslav Klose, Per Mertesacker) als auch das Kollektiv in Turnierform zu bringen. Jeder Tag zählt, und viele Tage hat Löw nicht zur Verfügung.

Im Testspiel ging für einige Akteure darum, sich unter Wettkampfbedingungen für einen Platz im endgültigen Kader zu empfehlen. Löw dagegen wollte auch sehen, wie sich seine Mannschaft gegen das "kleine Holland" schlägt, schließlich sind die Niederlande Gegner im zweiten Gruppenspiel.

Auf der Torwartposition begann der Gladbacher Marc-André ter Stegen, was eventuell als Hinweis auf die Hierarchie hinter Manuel Neuer gewertet werden kann. Mario Götze agierte im defensiven Mittelfeld neben Sami Khedira, Per Mertesacker sollte als Innenverteidiger nach dreieinhalb Monaten ohne Einsatz ebenso Praxis sammeln wie Miroslav Klose im Angriff.

Die deutsche Elf zeigte zu Beginn, dass Löw großen Wert auf sicheres Kurzpassspiel legt: Mit vielen kleinen Zuspielen kombinierten sich die Deutschen nach vorne, wobei sie sich keine Torchancen erspielten, sondern zahlreiche Eckbälle. Dabei wurde deutlich, dass Löw überhaupt keinen Wert auf das Üben von Standardsituationen legt: Die Flanken segelten wild durch den Strafraum - und wenn tatsächlich mal ein deutscher Spieler an den Ball kam, dann bugsierte er das Spielgerät wild überall hin, nur nicht in Richtung Tor.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Abwehrgeister und Berner Milchkühe

Per Mertesacker wirkt sowohl körperlich als auch geistig zu langsam, Mesut Özil hat scheinbar keine Lust auf die zweite Mannschaft, Lukas Podolski klatscht sich immerhin heftig mit dem Trainer ab. Nur Sami Khedira wehrt sich gegen die Niederlage. Die DFB-Elf beim 3:5 gegen die Schweiz in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Basel

Die Schweizer sahen sich das 20 Minuten lang verblüfft an, dann waren sie mit einem Eckball gefährlicher als die Deutschen zuvor mit sieben, danach schossen sie zwei Treffer innerhalb von zwei Minuten mit jeweils dem gleichen Spielzug. Erst kam Benedikt Höwedes zu spät gegen Tranquillo Barnetta, der nach innen spielte, wo Marcel Schmelzer viel zu spät gegen Eren Derdiyok kam. Der schob zu 1:0 ein.

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:Abwehrgeister und Berner Milchkühe

Per Mertesacker wirkt sowohl körperlich als auch geistig zu langsam, Mesut Özil hat scheinbar keine Lust auf die zweite Mannschaft, Lukas Podolski klatscht sich immerhin heftig mit dem Trainer ab. Nur Sami Khedira wehrt sich gegen die Niederlage. Die DFB-Elf beim 3:5 gegen die Schweiz in der Einzelkritik.

Thomas Hummel, Basel

Zwei Minuten danach kam Höwedes viel zu spät gegen Barnetta, der nach innen flankte, wo Mertesacker überhaupt nicht gegen Derdiyok an kam. Der köpfte zum 2:0 ein. Es war der Milde von Derdiyok zu verdanken, der zweimal vergab, dass die deutsche Elf zur Pause nur mit einem Treffern in Rückstand lag. Kurz vor der Halbzeit erzielte Hummels nach einem Freistoß - ja wirklich, nach einem Freistoß - mit einem wuchtigen Kopfball das 1:2.

Als die Spieler in die Kabine gingen, da erkannte der aufmerksame Zuschauer, dass auch André Schürrle, Lukas Podolski und Mesut Özil an der ersten Halbzeit teilgenommen haben mussten. Löw war wohl ähnlich verblüfft, weshalb er nacheinander Özil und Podolski vom Feld nahm und dafür Julian Draxler und Marco Reus einwechselte.

Die Schweizer störte auch das nicht, sie zeigten Löw lieber, dass auch das Üben defensiver Standards essentiell sein könnte. Bei einem Freistoß nämlich kam Mertesacker wieder zu spät zu Derdiyok, der den Ball mit dem Kopf ins Tor verlängerte.

Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass Löw darauf verzichtete, Schürrle auszuwechseln - und der erzielte tatsächlich mit einem haltbaren Schuss aus 30 Metern das 2:3. Auch das störte die Schweizer nicht, sie erzielten einfach schnell noch ein Tor: Schmelzer kam zu spät gegen Stephan Lichtensteiner, ter Stegen kam in Toni-Schumacher-Manier, der Ball kullerte von Lichtensteiners Kopf ins Tor.

Auf das 3:4 durch Reus reagierten die Schweizer mit einem weiteren Treffer - und der aufmerksame Leser könnte erahnt haben, dass das Tor von Admir Mehmedi einem einstudierten Freistoß folgte, durch den sich die deutsche Abwehr übertölpen ließ. Nach ein paar Auswechslungen (die Bender-Zwillinge und Cacau durften noch spielen) und einem Lattenkopfball für die Schweiz war das Spiel vorbei.

"Wir sollten jetzt nicht nach Ausreden suchen", erklärte Miroslav Klose: "Es war aber klar, dass die Beine noch schwer waren nach dem harten Training. Wir haben es nicht geschafft, die Schweizer unter Druck zu setzen, und dann ist das auch für die Abwehr schwer." Löw sagte: "Nach den sehr intensiven Einheiten wusste ich schon, dass die Frische fehlt. Wir haben jetzt zwei Wochen Zeit, um daran zu arbeiten. Die Abstimmung wird besser, da bin ich sicher. In diesem Spiel ist so viel passiert, das muss ich jetzt erst mal aufarbeiten."

Am Dienstag erfolgt die endgültige Nominierung. Es folgen ein Testländerspiel gegen Israel (31. Mai) und drei Tage Familienurlaub, dann reist die Nationalelf ins EM-Camp nach Danzig. Der bald wichtigste Mann im Land hat nicht mehr viel Zeit, schnell mal den Favoriten auf den Titel basteln. Und endlich Standards zu üben.

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