Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf startet in die WM-Qualifikation:Suche nach der leichten Welle

Mit dem WM-Qualifikationsspiel gegen die Färöer beginnt für die deutsche Nationalmannschaft ein neuer Lebensabschnitt. Die DFB-Elf soll erwachsen werden - mit der konkreten Zukunftsplanung versucht Bundestrainer Löw, die Debatten der Vergangenheit zu überdecken. Doch die Geister von einst zeigen sich hartnäckig.

Boris Herrmann, Barsinghausen

Thomas Müller sitzt in einem Kuhstall und es geht ihm gut. Wobei, stimmt nicht ganz. Thomas Müller geht es blendend. Dazu muss man wissen, dass in dem Kuhstall keine Kühe mehr stehen. Er ist renoviert und geschmackvoll ausgebaut zu einem Tagungsraum. Der Deutsche Fußball-Bund hat den gesamten Gutshof Eckerde in der niedersächsischen Einöde gemietet. Oben auf dem Dach weht die grün-weiße DFB-Fahne. Es sieht so aus, als ob sie auf Halbmast hinge.

Aber das muss kein Zeichen für die aktuelle Stimmung in der Nationalmannschaft sein. Schon gar nicht, solange Müller auf dem Pressepodium in den alten Stallungen seine Müller-Show abliefert. Wahrscheinlich hätte der Angreifer des FC Bayern - zwei Bundesliga-Spiele, drei Tore - auch dann noch tiefe Lachgrübchen an der Backe, wenn er von Milchvieh und Melkmaschinen umringt wäre. Müller sagt: "Freu' mich, dass die Bälle wieder auf den Fuß fallen. Und nicht einen Meter daneben."

Neben Müller sitzt Mesut Özil. Ihm geht es auch gut. Behauptet er. Özil sagt: "Freu' mich, wieder bei meinen Freunden von der Nationalmannschaft zu sein." Der Spielmacher von Real Madrid hat die Gabe, diesen Satz mit so viel Trübsinn zu artikulieren, dass man ihm am liebsten ein Taschentuch reichen möchte. Wenn Müller und Özil nebeneinander sitzen, dann wirkt Müller gleich noch ein bisschen unterhaltsamer und Özil ein bisschen nachdenklicher.

Am Freitag (20.45 Uhr) beginnt mit dem WM-Qualifikationsspiel in Hannover gegen die Färöer ein neuer Lebensabschnitt für die deutsche Nationalelf. Der letzte Abschnitt hatte im Juni bekanntlich mit dem verlorenen EM-Halbfinale gegen Italien ein überraschend rüdes Ende genommen. Im Moment steckt das Team von Bundestrainer Joachim Löw in einer Art Abschnitts-Zwischenphase.

Der Blick ist noch ein wenig nach hinten gerichtet, denn die EM und ihre Nachwehen sind noch nicht ganz aufgearbeitet. Gleichzeitig soll der Blick langsam, aber sicher nach vorne gehen, in Richtung der WM 2014 in Brasilien. Özil und Müller sind die besten Zeugen dieses Spreizblickes. Özil sagt: "Wenn du ein gutes Spiel ablieferst, bist du der Held. Wenn du ein normales Spiel ablieferst, bist du der Depp." Müller sagt: "Es gilt, wieder eine leichte Welle der positiven Stimmung zu erzeugen."

Özil, 23, und Müller, 22, haben keine schlechte EM gespielt, aber gemessen an den (teils überzogenen) Erwartungen waren ihre Auftritte auch nicht berauschend. Damit repräsentieren sie auch den Gesamteindruck des Teams. Und die aktuelle Frage lautet, welcher von beiden nun den Gesamteindruck der Vergangenheitsbewältigung repräsentiert. Von Özil heißt es, er sei im Sommer in ein kleines Stimmungsloch gefallen. Bei Real macht ihm plötzlich Luka Modric den Stammplatz streitig. Özil sei müde, ließ sein Trainer Jose Mourinho wissen.

Müller dagegen hat sich die Qualen der Vergangenheit spätestens mit seinen beiden Treffern am vergangenen Sonntag gegen den VfB Stuttgart von der Seele geschossen. "Wir haben 6:1 gewonnen, da muss ja einer die Tore schießen", witzelt er. Wobei der Schützenkönig der WM 2010 vor den versammelten DFB-Reportern schon einräumt: "Tore tun auch mir gut - um Ruhe zu haben bei euch."

Der Bundestrainer hätte auch mal wieder gerne Ruhe. Die aufgeregten Debatten bezüglich seines persönlichen Beitrags zur Niederlage im Italien-Spiel sind ihm längst lästig. Er ist sie aber auch durch seine Wutrede vor dem Testspiel im August gegen Argentinien nicht losgeworden. Nicht zuletzt deshalb, weil dieses Spiel 1:3 ausging. Löw gibt sich gerade alle Mühe, den eher rückwärtsgerichteten Özil-Blick durch den nach Brasilien weisenden Müller-Blick zu ersetzen. Die paar Debatten, die vom EM-Sommer übrig geblieben sind, will er nun zügig abmoderieren.

Am Mittwoch kündigte Löw an, Kapitän Philipp Lahm künftig wieder auf der rechten Abwehrseite einzusetzen. Dort, wo er auch beim FC Bayern spielt - und wo er im EM-Halbfinale womöglich gefehlt hat. Die Position des Linksverteidigers ist einstweilen für den Dortmunder Marcel Schmelzer reserviert. Für die konkrete Trainingsarbeit der kommenden Wochen gilt: "Die Ansatzpunkte liegen im Spiel gegen den Ball. Da müssen wir uns verbessern." Vorbilder, die der Bundestrainer in diesem Kontext immer wieder nennt, sind etwa der FC Barcelona, der FC Barcelona oder aber auch der FC Barcelona.

Wenn man die Sache rein national betrachtet, könnte man Löws Lehrplan auch in Richtung einer Dortmundisierung des Spielstils verstehen. Thomas Müller versteht das allerdings ein bisschen anders. "Der FC Bayern ist auch ein gutes Beispiel." Und das ist mal ausnahmsweise ernst gemeint. "Wir haben gegen Stuttgart vier Tore aus der Umschaltung geschossen", sagt er.

Bei allem Optimismus, bei aller guten Laune, jetzt schon wieder vom WM-Titel zu reden, hält selbst Müller für "überspitzt". Seine Devise lautet: Erst mal die Färöer besiegen und die Quali schaffen! "Wir Fußballer denken ohnehin nur. . .", an dieser Stelle hält er inne. Fast hätte er sich dabei ertappt, wie er gesagt hätte: "von Spiel zu Spiel". Für die berühmteste Floskel der Fußballwelt ist er sich aber zu schade. An guten Tagen spricht er wie er spielt, unberechenbar, anders, schwer nachvollziehbar. Müller sagt also: "Wir Fußballer denken eh nur von heute bis gestern."

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SZ vom 06.09.2012/mem
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