Serge Gnabry:Auf dem Weg zum Phänomen

Serge Gnabry jubelt in der EM-Qualifikation gegen Nordirland

Erfolgreich gerührt: Dreifach-Torschütze Serge Gnabry.

(Foto: imago images/Jan Huebner)
  • Beim 6:1 gegen Nordirland schießt Serge Gnabry drei Tore und ist nun endgültig der neue Fixpunkt im deutschen Angriff.
  • Die Umbruch-Debatte rund ums DFB-Team nervt ihn - er will jetzt erfolgreich sein.
  • Seine Treffsicherheit im Dress der Nationalmannschaft erinnert schon einmal an Gerd Müllers Torquote.

Von Martin Schneider, Frankfurt

Manchmal lässt Serge Gnabry in Interviews sehr plötzlich Sätze mit einem gewissen Echo fallen. Beim FC Bayern wurde er in der vergangenen Saison mal routinemäßig nach der Konkurrenzsituation zu Arjen Robben gefragt, und als man erwartete, dass er irgendwas sagt von wegen, dass Robben natürlich ein super Spieler sei, er seine Leistung bringen müsse und am Ende der Trainer entscheide, meinte Gnabry: "Wenn ich draußen bin, sitzt auch ein Hochkaräter auf der Bank." Zack. Erst wunderte man sich, dann dachte man, dass das schon eine sehr forsche Aussage ist von so einem jungen Kerl. Aber nach ein paar Wochen merkte man, dass er schlicht die Wahrheit gesagt hatte.

Nach dem 6:1 gegen Nordirland stand Gnabry im langen Mantel auf dem Rasen, ein TV-Mikrofon unter der Nase, wieder bekam er eine eher routinemäßige Frage, wie denn sein Fazit nach diesem Umbruchsjahr aussehe. "Ich finde es so langsam ein bisschen nervig, immer noch vom Umbruch zu reden", meinte Gnabry. "Klar, wir haben eine junge Mannschaft, aber ich denke, dass wir sehr, sehr guten Fußball zeigen."

Gnabrys Torquote erinnert an Gerd Müller

Den Umbruch beenden - das wollte kein anderer beim DFB, obwohl in den Katakomben nach zehn Toren in zwei Spielen, dem Gruppensieg vor den Niederlanden und der Gewissheit, dass man bei der EM 2020 alle Vorrundenspiele in München austragen wird, eine gute Laune herrschte wie schon sehr lange nicht mehr im Kreise der Nationalmannschaft. Aber alle behielten angesichts der jüngeren Vergangenheit ihre Demut, sprachen durchaus noch vom Umbruch, nannten ihn manchmal nur "Prozess" und beklagten die fehlende Zeit bis zum Turnier, weil sich ja noch vieles entwickeln müsse. Nur Gnabry sah irgendwie nicht ein, warum er unentwegt von einer Mannschaft als Baustelle reden soll, wo man doch auch jetzt erfolgreich sein kann - und nicht erst irgendwann.

Aber gut, er hatte auch gerade drei Tore geschossen und wenn einer beim DFB mal einen Schritt aus der Selbstkasteiung wagen sollte - dann doch Gnabry, der aus diesem für die deutsche Nationalmannschaft sehr uneindeutigen Jahr als sehr eindeutiger Gewinner hervorgeht. Erst adelte ihn Joachim Löw mit einer expliziten Stammplatzgarantie - ein Privileg, das neben ihm nur Manuel Neuer, Toni Koos und Joshua Kimmich haben - dann spielte er sich in nur einer handvoll Länderspielen zum neuen Fixpunkt im deutschen Angriff.

Seine Tor-Quote von 13 Toren in 13 Einsätzen bringt ihm den für einen Stürmer besten Vergleich ein, nämlich "wie Gerd Müller". Nur der erreichte in der langen Geschichte des deutschen Fußballs eine ähnliche Quote, brauchte für seine ersten 13 Treffer aber - natürlich - nur zwölf Spiele.

Gnabry überzeugt im Zentrum - was Löw neue Möglichkeiten gibt

"Er ist eine Anspielstation und verarbeitet die Bälle sehr gut. Er lässt sich auch mal fallen. Im Abschluss ist er technisch überragend, er macht die Tore ja bewusst. Er legt sich die Bälle richtig zurecht", schwärmte der Bundestrainer. Erste Reporter nannten Gnabry ein "Phänomen" - seit den Tagen des brasilianischen Ronaldos nicht der schlechteste Spitzname für einen Stürmer.

"In der Vergangenheit war er oft verletzt, ist oft aus dem Rhythmus gekommen und jetzt hat er sich stabilisiert", sagte Goretzka über Gnabrys Aufschwung. Die beiden kennen sich schon seit fast zehn Jahren, durchliefen zusammen diverse Jugendnationalmannschaften. "Der Anspruch an ihn wächst natürlich, aber ich denke, damit kann er umgehen."

Goretzka (der selbst zwei Treffer erzielte) befand übrigens, dass der dritte Treffer zum zwischenzeitlichen 4:1 der beste gewesen sei. "Wie er da stabil bleibt, und sich nicht abschütteln lässt - das war schon richtig, richtig stark und das hab ich ihm auch gesagt", meinte er. Der Einschätzung konnte man durchaus folgen, wobei es auch Argumente für Gnabrys erstes Tor (Drehung auf einem Bein mit Schuss ins Kreuzeck) oder für Gnabrys zweites Tor (Annahme und Abschluss in einer fixen Bewegung) gegeben hätte.

Nur Belgien und England haben mehr Tore erzielt

Gegen Nordirland agierte Gnabry im Zentrum, seine Lieblingsposition, die ihm beim FC Bayern meist verwehrt bleibt, weil Robert Lewandowski eben auch eine Torquote von einem Treffer pro Spiel schlägt. "Hier spiele ich vorn drin, was ich auch früher in der Jugend gemacht habe", sagte Gnabry zum DFB. Um ihn herum könnten sich bei der Europameisterschaft Leroy Sané, Timo Werner oder Marco Reus gruppieren, vielleicht auch Julian Brandt oder eben Goretzka (der zweite Gewinner der vergangenen Wochen).

Die aktuelle Lösung des deutschen Sturmproblems, das ja im Prinzip seit dem Rücktritt von Miro Klose, spätestens aber nach Ende des zweiten Frühlings von Mario Gomez, besteht, scheint nun jedenfalls darin zu bestehen, den Außenspieler (Gnabry) nach innen und den Zentrumsspieler (Werner) nach außen zu ziehen und allen mehr Platz zum Sprinten zu geben. Man kann nun natürlich einwenden, dass Weißrussland und Nordirland nicht unbedingt der Maßstab sind, allerdings ist die deutsche Mannschaft bei der WM 2018 in Russland gescheitert, weil ihr gegen Südkorea kein Tor gelang.

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