DFB-Elf in der Vorrunde:Schweinsteiger quält sich fit

Schluss mit dem Pfosten-Trauma: Bundestrainer Joachim Löw will sich den Luxus leisten, Mittelfeldspieler Bastian Schweinsteiger im laufenden Spielbetrieb fit zu bekommen. Seine Rolle als Spielmacher der deutschen Elf muss solange ein anderer übernehmen. Auch gegen Holland.

Christof Kneer

Man würde dieses Gesicht ganz gern vergessen, aber es hat sich noch kein neues aufgedrängt. Wer an Bastian Schweinsteiger denkt, sieht immer noch dieses ausgemergelte Gesicht, dessen Blick sich nach innen zurück gezogen hat. Das Gesicht merkt nicht, dass alle schauen, es merkt nicht, dass die Kameras näher kommen, am Ende verschwindet es unter einem roten Trikot.

EURO 2012 - Deutschland ? Portugal

Kein Bild, das man sich merken will: Schweinsteiger hat zwar mitgespielt, aber sein Gesicht erinnert noch zu sehr an das Trauma mit dem Pfosten.

(Foto: dpa)

Ja, Bastian Schweinsteiger hat im Champions-League-Finale einen Elfmeter an den Pfosten geschossen, man hat das oft genug betont, es muss jetzt auch mal gut sein damit, aber es ist immer noch nicht gut. Die alten Schweinsteiger-Bilder sind immer noch mächtig, und das liegt daran, dass es noch keine neuen gibt.

Natürlich ist Schweinsteiger, 27, am Samstagabend zur besten Sendezeit im Fernsehen gekommen, bei der Nationalhymne vor dem Spiel gegen Portugal, auch in den 90 Minuten danach war er das ein oder andere Mal im Bild. Aber es war kein Bild dabei, das man sich einprägen konnte. Schweinsteiger spielte mit, und wer genau hinsah, konnte sogar erkennen, dass er Unterschiede machte.

Er spielte weniger quer als beim FC Bayern, er trieb den Ball seltener durchs Mittelfeld, er nahm ihn in jener offener Stellung an, die Joachim Löw immer predigt, und er leitete den Ball umstandslos nach vorne weiter. Schweinsteiger hat - ja, was eigentlich? Hat er ordentlich gespielt? Unauffällig? Oder doch: schwach?

Schweinsteiger hat von allem ein bisschen gespielt, und wenn einer so weltberühmt ist wie er, reicht das locker für eine kleine Debatte. Ob Sami Khedira den Nebenmann Schweinsteiger durchschleppen müsse, solche Fragen kommen jetzt. Nein, sagte Joachim Löw, er habe "nicht das Gefühl, dass Bastian körperliche Probleme hat", er habe Champions-League-Spiele über 120 Minuten und ein Pokalfinale hinter sich, und wichtig sei "ja auch die mentale Seite: Bastian ist selbstbewusst, hat eine gute Körpersprache, ist ehrgeizig und siegesgewillt".

Tatsächlich gibt es inzwischen Momente, in denen Löw so klingt, als habe er heimlich Matthias-Sammer-CDs gehört. Er weiß natürlich, dass er von einem Spieler wie Toni Kroos, dessen Einsatz ein Fachblatt dringend empfiehlt, im Moment mehr Inspiration, mehr umstandslose Bälle, mehr offene Stellungen erwarten kann. Er weiß aber auch, dass Schweinsteiger neben drei Saison-Verletzungen (Schlüsselbeinbruch, Außenbandriss im Sprunggelenk, Bluterguss in der Wade) die Erfahrung von vier großen Turnieren in Anrechnung bringen kann - eine Disziplin, die man in keinem Nachwuchs-Leistungszentrum lernen kann.

"Es war wichtig fürs Team, dass Schweinsteiger gegen Portugal auf dem Platz war", sagte Joachim Löw - derselbe Löw, der eine Pressekonferenz zuvor wieder eine Hymne auf die "Seriensprint-Sportart Fußball" gedichtet hatte, in der nur die schnellsten, kraftvollsten und frischesten Athleten bestehen können.

Sonderregeln für "Führungsspieler"

Wenn Schweinsteiger sich über Nacht nicht noch eine Blessur einfängt oder ihm der Pfosten aus dem Champions-League-Finale begegnet, darf er gegen Holland trotzdem wieder mitkicken.

Vermutlich ist es so, dass man Spieler, für die Sonderregeln gelten, "Führungsspieler" nennt. DFB-Sportdirektor Matthias Sammer, Augenzeuge des 1:0 gegen Portugal, ist ein leidenschaftlicher Unterstützer dieser Art von Spieler, deren Qualitäten man mehr fühlen als sehen kann. Als Mentalitäts-Fachkraft hat Sammer "Präsenz und Körperlichkeit von Schweinsteiger" bis auf seinen Tribünen-Sitzplatz gespürt, "er hat dirigiert und den anderen Orientierung gegeben".

Sammers Leitfaden für die Nachwuchsarbeit unterscheidet ja die in der Fachwelt längst legendären fünf Punkte "Kondition", "Konstitution", "Technik", "Taktik" und "Persönlichkeitsprofil", und wenn man diese Kapitel am aktuellen Schweinsteiger überprüft, kommt als Ergebnis heraus, dass die ersten beiden zurzeit zumindest in Ordnung, die restlichen drei aber unverändert überdurchschnittlich sind. Schweinsteiger, so sieht es Sammer und so sieht es Löw, ist im Spiel mehr als nur ein Adabei.

Schweinsteiger soll sich über die Vorrunde in Form quälen, das ist der Plan. Das mit dem Quälen klappt schon ganz gut, sein Spiel knirscht und knarzt noch heftig, aber Löw glaubt, dass er es sich jetzt auch mal leisten kann, einen Profi im laufenden Betrieb fitzumachen.

Schweinsteiger muss im Moment nicht zwingend der Chef sein in seinem Spielquadrat, er hat einen Spieler neben sich, dem Manager Oliver Bierhoff "eine Führungsrolle" zuerkennt. "Sami Khedira ist einer von denen, auf die wir ganz groß bauen", sagt Bierhoff. Bei der WM 2010 war Khedira noch so etwas wie Schweinsteigers dienstbarer Geist, aber bei Real Madrid ist er so erwachsen geworden, dass er auch selber Befehle erteilen kann.

"Ich weiß auch, dass ich besser spielen kann", sagte Schweinsteiger am Dienstag nach der Landung in Chrakow. Das Spiel könnte eine gigantische Fitness-Einheit für ihn werden, 30 Grad, ein hochkarätiger Gegner, die Blicke der Öffentlichkeit. Vielleicht ist am Ende ein starkes Bild dabei, und der Pfosten gibt endlich Ruhe.

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