DFB-Elf in der Nations League:Deutschland sucht das Tor

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Vergebene Torchance: Timo Werner im Spiel gegen die Niederlande. (Foto: Peter Dejong/AP)
  • Die Offensivprobleme der deutschen Nationalelf sind nach dem 0:3 in den Niederlanden zu einer kleinen Krise geworden.
  • Die deutschen Angreifer treffen das Tor nicht mehr, das belegen Zahlen.
  • Thomas Müller steckt in einem rätselhaften Formloch, Timo Werner scheint noch zu jung zu sein für all die Verantwortung.

Von Christof Kneer

Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Mark Uth seine Nominierung für die Startelf bestätigte. Er bekam den Ball in den Lauf gespielt, drehte sich und schoss ohne zu zögern. Aber das allein war es noch nicht, was ihn fürs DFB-Team qualifizierte. Mit so einer klassischen Stürmeraktion hätte Mark Uth sich ja für jedes Team der Welt empfehlen können, solche kurz entschlossenen Stürmer werden überall gebraucht. Wer aber speziell für Deutschland stürmen will, der muss schon noch mal eine andere Qualität mitbringen: Als DFB-Angreifer sollte man zusätzlich und unbedingt die Kunst beherrschen, am Ende auf gar keinen Fall ins Tor zu treffen.

Mark Uths Schuss war übrigens kein Problem für den Torwart.

"Chancenverwertung" ist nun wirklich kein schönes Wort, aber es hilft ja nichts: Es ist und bleibt der Begriff, auf den jede deutsche Fußballdebatte so zielsicher zusteuert wie früher mal die deutschen Mittelstürmer aufs gegnerische Tor. Nicht immer nützt es dem modernen Fußball, wenn man ihn mit Daten überfrachtet, aber manchmal helfen ein paar kleine Zahlen, um das Große besser zu verstehen. Bei der grandios vermurksten WM in Russland haben die Deutschen ja immerhin eine Disziplin für sich entschieden, sie haben von allen teilnehmenden Teams die meisten Torschüsse in der Vorrunde abgegeben: 67 Versuche wurden von einer unabhängigen Jury notiert, 20 davon kamen immerhin aufs Tor; ins Tor gingen aber nur zwei (während die Belgier aus 20 Schüssen aufs Tor neun Treffer machten).

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Und nun eben, nach der WM, diese Nations League: In zwei Partien setzten Jogi Löws Deutsche lobenswerte 39 Torschüsse ab, ins Tor ging keiner - weder gegen Frankreich (0:0) noch beim 0:3 in den Niederlanden. "Wir haben wahnsinnig viele Torabschlüsse, aber wir schaffen es nicht, den Ball im Tor unterzubringen", sagte Löw in Amsterdam. Es ist inzwischen sein Standardsatz.

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Thomas Müllers Rätselhaftigkeit ist eines der größten Probleme dieser Mannschaft

Dabei hatte es eine Weile so gewirkt, als müsste Löw maximal einen halben Turnierzyklus ohne Stürmer überstehen, es drohte nur ein kurzes Interregnum zwischen der Abdankung des alten Königs Miroslav Klose (bis 2014) und der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch den neuen, Timo Werner (ab 2016/17).

In diese Zeit fiel die EM in Frankreich, bei der die DFB-Elf tatsächlich unter akuter Angriffsschwäche litt; zwar hatte Mario Gomez zu einer beachtlichen Spätform gefunden, aber als er sich im Turnier verletzte, blieb seine Planstelle im Strafraum unbesetzt. Mario Götze war nie ein richtiger Stürmer und wird auch keiner mehr werden, aber immerhin konnte sich Löw damals mit dem Gedanken trösten: Dieser unwiderstehliche Werner würde jetzt bald so weit sein.

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Inzwischen ist Werner so weit, und an ihm liegt es auch nicht, dass Löws Elf zurzeit immer am falschen Ende die Null hält. Werner ist kein klassischer Neuner mehr wie seine urgermanischen Vorfahren, aber er besitzt durchaus noch ihren Instinkt und dank seines irren Tempos auch einen gewissen Sinn fürs Brachiale. Werner kommt auch mal an einer Abwehr vorbei oder durch eine Abwehr durch, die das gar nicht will - aber mit jedem neuen Länderspiel verfestigt sich die Erkenntnis, dass es zu viel verlangt ist, von einem 22-jährigen Sprinter die Rettung der Welt zu erwarten. Timo Werner braucht Hilfe - von einem Bundestrainer, der ihn taktisch in den richtigen Zusammenhang bringt; aber auch von Offensivkollegen, mit denen er sich die Last des Toreschießens teilen kann.

Denn das ist halt schon ein Problem: dass die Tore, die Werner nicht schießt, im Moment auch kein anderer schießt.

Wer sich auf Partnersuche für Timo Werner begibt, landet beim Spieler mit der Nummer 13, die einst der große Gerd Müller trug; längst trägt diese Nummer der vorübergehend ja auch irgendwie große Thomas Müller, dessen Rätselhaftigkeit ein sehr großes Problem für Löws Elf ist. Müller war ein halbes Jahrzehnt die Lebensversicherung fürs Team, er traf meistens bis immer, er war eine große Beruhigung für Klose/Gomez/Götze. Sie konnten auch mal ein paar Dinger verschusseln oder sich eine Krise leisten: Der Müller war ja da.

Nun ist Müller zwar immer noch da, aber irgendwie anders. So mysteriös und fachlich schwer zu erklären sein jahrelanger Lauf war, so mysteriös und überhaupt nicht zu erklären ist nun sein Anti-Lauf. In Amsterdam fand Müller sogar die freien Räume wieder, oder besser: Sie fanden ihn, das sah manchmal fast nach früher aus. Aber vor dem Tor ist weiterhin nichts mehr wie früher. Noch mal zwei Zahlen: In seinen vergangenen 26 Länderspielen zählte Müller nur viermal zu den Torschützen.

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Mark Uth, 27, hat nicht schlecht gespielt übrigens, aber auch nicht richtig gut. Er hat in dieser Saison bisher null Tore erzielt, seine Nominierung entsprang einer Art Kreativität der Verzweiflung: Marco Reus (der auch kein Neuner ist) fehlte verletzt, ebenso Nils Petersen, der ein tapferer Neuner ist, aber keiner für die große Bühne. Und sonst?

Der Gladbacher Lars Stindl ist wieder fit und dürfte bald zurückkehren, aber auch er ist keine Strafraum-Autorität, sondern eher ein raffinierter Rumtreiber. Die Bundesliga-Torjägerliste ist auch keine Hilfe für Löw, in ihr finden sich Spanier, Bosnier und Isländer und in den Top Ten nur drei Deutsche, die entweder schon dabei (Werner, Reus) oder zurückgetreten sind (Gomez). Und in der U 21 spielen vorne der Schalker Reservist Cedric Teuchert, der mittelfeldartige Freiburger Techniker Luca Waldschmidt sowie der Sturm von Holstein Kiel (Janni Serra, Aaron Seydel).

Der deutsche Fußball hat sich eine Generation von Tricksern & Schnixern herangezüchtet und dabei irgendwie den klassischen Mittelstürmer vergessen, der auch mal jenes "Drecksgurkentor" im Repertoire hat, das sich der ZDF-Experte Oliver Kahn für die Zukunft wünscht. Es war also bestimmt kein Zufall, dass die größte Chance in Amsterdam der drecksgurkenunverdächtige Leroy Sané vergab, der von den Tricksern & Schnixern der allerbeste ist.

© SZ vom 15.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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