DFB-Elf in der EM-Qualifikation:Gibraltar ist besser als Brasilien

Germany v Gibraltar - EURO 2016 Qualifier

Schwerer Stand: Karim Bellarabi (links) gegen Gibraltar.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der krasse Außenseiter freut sich unbändig über das 0:4: Die deutsche Nationalmannschaft macht in der ersten Halbzeit gegen Gibraltar schnell alles klar. Doch nach der Pause gelingt den Weltmeistern wenig. Bundestrainer Löw ist bedient.

Adam Priestley war vor dem Spiel schon euphorisch gewesen. "Wir wollten gegen die Weltmeister spielen. Dass es jetzt so kommt, ist schier unglaublich", sagte der Fußballspieler des englischen Achtliga-Klubs Farsley AFC, der in der Nationalmannschaft von Gibraltar mitwirkt: "Dieses Erlebnis ist mit Geld nicht zu bezahlen." Und Defensivspieler Ryan Casciaro, einer von drei Brüdern im Team des britischen 30 000-Einwohner-Überseegebietes, gab zu: "Ich spüre Stolz, aber auch ein bisschen Angst." Diese sollte sich allerdings als relativ unbegründet herausstellen: Am Ende gewann die deutsche Mannschaft die Partie in Nürnberg nur 4:0 (3:0).

"Für uns ist das ein tolles Ergebnis, das wir mal gebraucht haben", sagte Gibraltars Nationaltrainer Allen Bula. Bundestrainer Joachim Löw war hingegen "alles andere als zufrieden", denn: "Die Mannschaft hat die Erwartungen nicht in dem Maße erfüllt, wie wir uns das gewünscht hatten, und vor allem in der zweiten Halbzeit hat sie einige Dinge falsch gemacht."

Daher ging auch die Hoffnung von Gibraltars Ersatztorwart Jordan Perez in Erfüllung, der angekündigt hatte, mit einem Resultat unter sieben Gegentoren zufrieden zu sein: "Dann können wir behaupten, wir sind besser als Brasilien." Nun kann seine Mannschaft, die in der Gruppe D zuvor jeweils 0:7 gegen Polen und Irland verloren hatte, sogar behaupten, deutlich besser als die Seleção zu sein.

Für den Weltmeister bedeutete der vergleichsweise schmächtige Erfolg nach dem Fehlstart in die EM-Qualifikation den Sprung auf Platz drei in der Gruppe - der beste Dritte ist ja wie die Erst- und Zweitplatzierten direkt qualifiziert, die übrigen Dritten treten in einer Relegation an. Nach dem 1:0 der Schotten gegen die Iren stand fest: Irland auf Rang zwei, Deutschland und dahinter Schottland sind nun mit je sieben Zählern punktgleich.

Für die Partie gegen Gibraltar wählte Bundestrainer Joachim Löw standesgemäß eine sehr offensive Ausrichtung. Der Weltmeister ging mit der Dreier-Abwehrkette Shkodran Mustafi, Jerome Boateng und Erik Durm sowie den beiden Stürmern Thomas Müller und Max Kruse ins Spiel. Für Mustafi (FC Valencia) war es der erste Einsatz seit dem WM-Achtelfinale.

Bis zur 12. Minute dauerte es im ausverkauften Nürnberger Frankenstadion vor 44 308 Zuschauern, dann erzielte Müller das 1:0. Mustafi, der im Zusammenspiel mit Karim Bellarabi über die rechte Seite seine Offensivqualitäten zeigte, hatte mit einer Flanke den Pfosten getroffen; Gibraltars Torwart Jamie Robba, der sich zuvor mit einer Parade bei einem Schuss von Karim Bellarabi ausgezeichnet hatte, bekam den Ball nicht zu fassen, und so prallte das Spielgerät in die Mitte, genau vor Müllers Füße. Vier Minuten später parierte Robba einen Schuss von Toni Kroos im Nachfassen; Boateng traf dann mit einem Distanzschuss den Außenpfosten (22.), und Juan Carlos Garcia nach einem Eckball fast das eigene Tor (27.).

Das 2:0 erzielte dann erneut Müller, nachdem Mario Götze auf der linken Seite Lukas Podolski in Szene gesetzt hatte (29.); für das 3:0 (das man in einem normalen Fußballspiel als vorentscheidend bezeichnet hätte, während man diesmal bereits den Anpfiff als Vorentscheidung betrachten musste) sorgte Götze nach Doppelpass mit dem bis dahin weitgehend unauffälligen Mönchengladbacher Kruse (38.).

Jonas Hector feiert Debüt

Kurz vor der Pause hatte Liam Walker dann tatsächlich die Chance zum Anschlusstreffer für Gibraltar - nach einem Einwurf drosch er den Ball gekonnt in hohem Bogen Richtung Tor und zwang Manuel Neuer zu einer Flugeinlage (44.). Da musste Walker selbst ein wenig schmunzeln, während Löw sich die Hände vor die Augen hielt. Der Trainer war wohl der einzige Zuschauer, der sich über das lasche Abwehrverhalten nach dem Einwurf lange ärgerte; der Rest des Publikums feierte mit La Ola und Gesängen weniger dieses Spiel als das zu Ende gehende Weltmeisterjahr.

Wer nun erwartet hatte, dass den ultradefensiven Amateuren vom Affenfelsen in der zweiten Hälfte die Kraft ausgehen und das Ergebnis noch deutlich anschwellen würde, sah sich getäuscht. Löw reagierte nach einer Stunde auf die mittlerweile mangelnden Torchancen und brachte in Kevin Volland einen weiteren Angreifer für Sami Khedira.

Aus Auersmacher in die Nationalelf: In der 72. Minute kommt Hector zum Debüt

Als die deutsche Mannschaft so gar keine Chancen mehr zustande brachte, sorgte nach einer Hereingabe von Podolski der eingewechselte Yogan Santos mit einem Eigentor für das 4:0 (67.). Danach passierte dann schon wieder nichts mehr, und statt Gesängen für die Weltmeister hallten nun ein paar Pfiffe von den Rängen. "Klar, es war natürlich wenig Platz, aber dann muss man auf den kurzen Entfernungen vieles in hohem Tempo machen", sagte Löw. "Es waren einige Spieler dabei, von denen ich dachte, sie können sich heute aufdrängen, aber das haben sie nicht gemacht."

Am Dienstag im Test bei Europameister Spanien erwartet die Nationalmannschaft ein komplett anderes Spiel und eine wirkliche Kraftprobe zum Abschluss des Jahres. Löw erwartet sich dann, dass seine Mannschaft "das Jahr positiv zu Ende bringt, eine andere Spannung und Leistung an den Tag legt".

Nur eine bemerkenswerte Szene ereignete sich noch: In der 72. Minute kam Jonas Hector, 24-jähriger Linksverteidiger vom 1. FC Köln, für Durm. In Hectors Bilanz stehen nun: elf Bundesliga- und 57 Zweitligaspiele, 61 Regionalligapartien für den 1. FC Köln II, 34 Einsätze in der Oberliga Südwest für den SV Auersmacher - und ein Länderspiel. Nicht nur er selbst findet diese Karriere "unfassbar" und eine "unglaublich große Geschichte". Kurz nachdem sie begonnen hatte, endete eine andere große Geschichte - die Geschichte von Gibraltar, das sich wenigstens an diesem Abend besser als Brasilien fühlte.

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