DFB-Elf in der Einzelkritik
Manuel Neuer
Wem galten nun die Weckrufe von Joachim Löw? Philipp Lahm vermisst Thiago, Alaba und Robben, Toni Kroos gerät unter Italien-Verdacht, und sogar Miroslav Klose vernimmt einen Appell des Bundestrainers. Die DFB-Elf beim 1:0 gegen Chile in der Einzelkritik. Manuel Neuer: Ein Weckruf von Bundestrainer Joachim Löw hat die Nationalspieler aufgeschreckt. Die Uhr ticke, sagte er, nur wer sie höre, kann mit zur WM fliegen. Wen hat er wohl gemeint? Vielleicht Manuel Neuer? Kann nicht sein. Falls der Torwart des FC Bayern eine Neigung zum Einnicken hätte, es müsste aus diversen Bundesliga-Spielen ein Schnarch-Geräusch mangels Beschäftigung überliefert sein. Hatte dann auch für seine Verhältnisse viel zu tun, weil die Chilenen immer wieder zum Abschluss kamen. Leitete mit die größte Chance des Gegners selbst mit einem schlechten Pass auf Schweinsteiger ein. Wird sich selbst gewundert haben, wie er aus diesem Spiel ohne Gegentor herauskam.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Kevin Großkreutz
Kevin Großkreutz: Im Februar 2011 machte er sein letztes Länderspiel, damals noch links vorne. Jetzt kehrte er auf rechts hinten zurück, was eigentlich schon alles über das aufgeweckte Wesen des Dortmunder sagt. Wirkte zu Beginn dennoch gehemmt, ist ja bekannt für seine ausgiebigen Offensivausflüge. Doch von Vordermann Mesut Özil durfte er keine Absicherung erwarten, blieb deshalb zumeist brav defensiv. Erhielt von Bundestrainer Löw nach 20 Minuten neue Anweisungen an der Seitenlinie. Oder war es doch ein Weckruf? Rettete kurz vor der Pause in letzter Not gegen Aránguiz. Versuchte sich in Halbzeit zwei mit mehr Offensive, musste aber immer schnell zurück. Zeigte, dass er ein guter Rechtsverteidiger ist, der aber einer schwimmenden Abwehr nicht ans Ufer helfen kann.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Per Mertesacker
Per Mertesacker: Wirkt mitunter etwas gemächlich in seinen Bewegungen. Dennoch hofft der DFB, in dem ruhigen, großen Mann vom FC Arsenal einen Abwehrchef gefunden zu haben. Gegen Chile war Mertesacker kaum zu sehen, dabei hätte man sich gegen diesen starken Gegner gewünscht, den Abwehrchef ziemlich oft zu sehen. Wirkte überfordert mit all diesen kleinen Vidals und Sanchez'. Man wünschte ihm nach 75 Minuten die Auswechslung, so geschafft schlurfte er über den Rasen. Für einen Weckruf war er da schon zu müde.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Jérôme Boateng
Jérôme Boateng: Musste angesichts der riesigen Löcher, durch die die Chilenen stießen, gleich einmal einen 50-Meter-Sprint ansetzen, um im eigenen Strafraum zu retten. Zeigte damit, dass er hellwach ins Spiel gegangen war. Weil Mertesacker nicht zu sehen war und die Außenverteidiger bisweilen in den Seilen hingen, musste der DFB froh sein, einen sehr starken Boateng zu haben. War in der Abwehrkette der einzige, der überhaupt einmal einen Chilenen aufhielt. Spielte die besten Pässe im Aufbau, wenngleich auch ihm das Pressing der Chilenen zusetzte.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Marcel Jansen
Marcel Jansen: Er kennt sich aus Hamburg aus mit Uhren, die ticken. Die dortige Bundesliga-Uhr will der Dino HSV weiterhin laufen lassen, muss allerdings hoffen, dass Neu-Trainer Slomkas Weckrufe helfen. In Stuttgart bewirkten Löws Worte bei Jansen jedenfalls wenig. Sah schlecht aus auf der linken Abwehrseite, egal, welcher Chilene da kam. Musste sich einmal von Sánchez austanzen lassen, hinderte Vidal nicht am köpfen, als Lahm auf der Linie rettete. Musste schon nach gut 20 Minuten verletzt raus, die spätere Diagnose: Außenbandriss.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Philipp Lahm
Philipp Lahm: Ob Philipp Lahm schon jemals einen Wecker gesehen hat? Im Weltfußball und speziell im bayerischen Weltfußball herrscht die Meinung, man könne diesen Lahm auch um 3 Uhr früh einen Ball zupassen und Lahm würde aus dem Tiefschlaf heraus die Kugel sicher zu seiner Frau weiterleiten. Ihm mussten dennoch während der ersten Halbzeit die Ohren schrillen, so munter kombinierten sich bisweilen die Chilenen durch sein Zentrum. Hätte im defensiven Mittelfeld nicht Philipp Lahm gespielt, es hätte geheißen, der DFB hätte ein Problem im defensiven Mittelfeld. Wollte dann zusammen mit Schweinsteiger und Kroos im Guardiola-Modus kombinieren, die drei merkten allerdings bald, dass da kein Thiago und kein Alaba und kein Robben auf dem Platz war. Besprach mitten im Spiel die Probleme mit Löw, als wollte er ihm, einen Weckruf verpassen? Rettete gegen Vidal souverän auf der Linie. Und musste noch zwei-, dreimal eingreifen, um das Schlimmste zu verhindern. Reihte sich diesmal dennoch in eine überforderte Defensive ein. Überraschend.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Bastian Schweinsteiger
Bastian Schweinsteiger: In seiner Leistung vereinigte sich Löws Grundstimmung, wonach dauerhaft nur der auf Weltklasse-Niveau spielen kann, der dauerhaft fit ist. Schweinsteiger bot all seine Vorzüge, das gute Passspiel, die Übersicht und die mächtige Präsenz im Zweikampf. Er streute aber auch ein paar Pässe ins Leere ein, als hätte er völlig die Orientierung verloren. Ging in der zweiten Halbzeit zunehmend unter und wird sich vielleicht an Löws Mahnungen erinnert haben. Hat schon recht, der Jogi, wird er sich gedacht haben.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Toni Kroos
Toni Kroos: Steht allseits im Ruf, ein toller Fußballer zu sein. Der aber bisweilen etwas verschlafen daherkommt, vor allem wenn es gegen Italien geht. Hatte aber ein derart monströses Lob von Löw erhalten noch in der gleichen Pressekonferenz, dass Kroos keineswegs unter Weckruf-Verdacht stand. Das änderte sich während der ersten Halbzeit. Der Bayern-Kroos verschwand irgendwo zwischen aggressiven Chilenen, einmal spielte er gar einen Fehlpass, der fast zum Gegentor geführt hätte. Ein Fehlpass von Toni Kroos? Als die Chilenen in der zweiten Halbzeit immer aggressiver in die Zweikämpfe gingen, stand Kroos bald im Italien-Verdacht. Nährte in diesem Spiel wieder einmal den Vorwurf, dass er in einem WM-entscheidenden Spiel die deutsche Mannschaft kaum mitreißen wird.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Mesut Özil
Mesut Özil: War er vielleicht das Ziel des Löwschen Rufs? Wirkte zuletzt beim FC Arsenal gegen den FC Bayern so frisch und prickelnd wie englisches Ale. Wurde dann von Löw zwar nicht auf die Ersatzbank, aber doch aus dem Zentrum nach rechts verbannt. Begann dort mit so hängenden Schultern, dass man ihm gerne eine Kuckucksuhr ans Ohr gehalten hätte. Verließ bald sein Exil auf rechts und rannte eigenmächtig in die angestammte Mitte. Als er schwer unter Einschlafverdacht stand, verstolperte er beinahe einen Pass von Schweinsteiger, um ihn dann wunderbar für Götze zum 1:0 vorzulegen. Wirkte danach erheblich frischer, wechselte in Halbzeit zwei in die Sturmmitte. Die kraftvollen Chilenen drückten Özils Schulter aber wieder auf Spielbeginn-Niveau. Zeigte, dass in kampfeslustigen Fußball-Schlachten kaum mit ihm zu rechnen ist. Wurde bei seiner Auswechslung lautstark ausgepfiffen. Schwere Zeiten für Mesut Özil.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Mario Götze
Mario Götze: Ist eher ein stiller Artgenosse. Zeigte aber auf dem Platz, dass er weder einen Ruf noch einen Appell noch sonstwas braucht derzeit. Übertrug seine grandiose Form aus München nahtlos auf die Nationalmannschaft. Ballsicher, robust in den Zweikämpfen, gut im Dribbling. Und torgefährlich. Auf engstem Raum den Ball mit rechts gestoppt und flugs mit links in den Winkel verwandelt. Verpasste noch in der ersten Halbzeit nur um Zentimeter das zweite Tor. In dieser Form weckruflos gesetzt für die WM.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Miroslav Klose
Miroslav Klose: "Ich glaube nicht, dass ich gemeint bin, ich bin keiner, den man mahnen muss", sagte der 35-Jährige im Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf Löws Weckruf. Machte dann aber einen mächtig unausgeschlafenen Eindruck. Nahm in der ersten Halbzeit praktisch nicht am Spiel teil, außer wenn er am eigenen Strafraum die eigenen Fehlleistungen ausbügeln wollte. Dass ihn Löw nach dieser verkorksten Hälfte auch noch auswechselte, könnte Klose mindestens als Appell verstehen.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Marcel Schmelzer
Marcel Schmelzer: Schneller als erhofft kam der Dortmunder auf den Platz, er profitierte von der Verletzung von Marcell Jansen. Gewann gleich in den ersten fünf Minuten mehr Zweikämpfe als zuvor Jansen in 20. Die linke Abwehrseite war unter Schmelzer nicht mehr ganz so offen wie zuvor, doch auch er sah im chilenischen Passwirbel nicht immer gut aus.
DFB-Elf in der Einzelkritik
Einwechselspieler
André Schürrle: Hat zu Hause in London einen Trainer, der nicht im Verdacht steht, verschlafen zu sein. José Mourinho wird auch André Schürrle kaum eine Auszeit gönnen, WM hin oder her. Dennoch muss sich er sich angesprochen fühlen, ist doch auf seiner Position die Konkurrenz so groß wie nirgendwo sonst. Lukas Podolski: Kam in der 81. Minute. Erhielt 60 Sekunden später den größten Applaus für einen deutschen Spieler während der gesamten zweiten Halbzeit, als er im Vollsprint Chiles Torhüter Johnny Herrera nervös machte und fast ein Tor provozierte. Es könnte der Sprint zur WM-Nominierung gewesen sein, denn wenn nicht alles täuscht, dachte sich Bundestrainer Löw in dem Moment: Den Poldi kannst immer gebrauchen. Matthias Ginter: Erhielt als einziger eingeladener Neuling eine kurze Einsatzzeit. Zwei Minuten plus Nachspielzeit.