DFB-Elf im Trainingslager:Einer ist schon raus

Fußball-WM Deutsche Nationalmannschaft Joachim Löw

"Sportlich und charakterlich ist er ein absolutes Vorbild": Joachim Löw über den verletzten Lars Bender

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Schmerzhafter Abschied: Wegen einer Muskel-Sehnenverletzung verabschiedet Bundestrainer Joachim Löw den Leverkusener Lars Bender aus dem WM-Kader. Dadurch erhöhen sich für einige Hinterbänkler im Kader ungewollt die Chancen auf ein Brasilien-Ticket.

Von Philipp Selldorf, St. Leonhard

Knapp zwanzig Verwegene waren auf den steilen Hang hinter dem Trainingsplatz geklettert, an dem sich ansonsten dank ihres natürlichen Wettbewerbsvorteils - vier statt zwei Beine - nur Ziegen und Zicklein zu behaupten wissen. Natürlich wollten diese Leute, vorwiegend Fotografen und andere Spione, nicht mit den dort grasenden Ziegen konkurrieren, sie wollten - sozusagen vom Hochsitz aus - einen weltexklusiven Blick auf das Nachmittagstraining der Nationalmannschaft werfen, zu dem der DFB kein Publikum zugelassen hatte. Aber das Bild des Tages ist ihnen dann trotzdem entgangen: Niemand hat dokumentiert, wie Lars Bender mitten im Betrieb den Platz verließ, um in den schwarzen Kleinbus zu steigen und sich ins Hotel bringen zu lassen.

Angeblich ist es bei einem Zweikampf während des Trainingsspiels passiert, das hat der DFB aber nicht bestätigt. Umso ausführlicher hat der Verband aber erläutert, warum Lars Bender nach den Untersuchungen an jenem Donnerstagabend seine Hoffnungen begraben musste, zur Weltmeisterschaft nach Brasilien mitfahren zu dürfen.

"Es ist halt so, wie es ist. Das kann man nicht ändern", stellt Lukas Podolski fest

Der Leverkusener Mittelfeldspieler habe sich "eine kombinierte Muskel-Sehnen-Verletzung im oberen Bizepsanteil des rechten Oberschenkels zugezogen", hieß es in der Mitteilung ans Fußballvolk. Die Umstände? "Unglücklich", wie Lukas Podolski mit einem Schulterzucken erklärte, das besagen sollte: Sind die Umstände noch wichtig? Am Freitagmorgen reiste Bender ab, Podolski gehörte zu jenen Mitspielern, die Gelegenheit fanden, sich zu verabschieden. Weitere Sentimentalitäten hat er jedoch nicht vorgesehen. "Es ist halt so, wie es ist. Das kann man nicht ändern", stellt Podolski fest. Sportlerschicksal.

Podolski war selbst im Spätsommer wegen eines Muskelbündelrisses im Oberschenkel monatelang ausgefallen, damals hieß es: WM-Platz in Gefahr? Nun sitzt er in diesem Golf-Hotel im Passeiertal in Südtirol und sagt, dass er jeden Tag in diesem Trainingslager genießt, während Bender zu Hause in Deutschland sein Pech beklagt. Schon beim Punktspiel gegen Bremen am letzten Spieltag der Saison hatte er wegen einer Oberschenkelverletzung passen müssen, was angeblich aber keine Relevanz für die neuerliche Blessur hatte.

Joachim Löw hatte für Bender einen Platz in seinem Aufgebot für die WM reserviert. Der 25-Jährige hat keine besonders leuchtende, eher eine ziemlich graue Saison bei Bayer Leverkusen erlebt, er wäre keiner der führenden Startelf-Kandidaten gewesen - aber er wäre auch kein Hinterbänkler des Kaders geblieben, mit Einsätzen hätte er rechnen dürfen. Der Bundestrainer betrachtete Bender nicht nur als Helfer im defensiven Mittelfeld, sondern als zuverlässige Alternative für die rechte Abwehrseite. "Solche Spieler wie Lars braucht der Kader", resümierte Angreifer Miroslav Klose.

Kandidat Kramer

"Sportlich und charakterlich ist er ein absolutes Vorbild", schickte Löw dem Unglücklichen lobend hinterher, und wenn dieses Kompliment auch ehrlich gemeint war, so wird es den Betroffenen doch kaum getröstet haben. Und Löw wiederum wird in keiner Weise den Nebeneffekt zu schätzen wissen, dass er nun für den von der Fifa gesetzten Meldetermin - am 2. Juni müssen die Trainer ihre 23 Spieler fürs Turnier benennen - eine schwierige Entscheidung weniger treffen muss. Zumal da er befürchten muss, dass sich diese Form der erzwungenen Auslese wiederholen könnte.

"Einer ist schon raus", befand Teammanager Oliver Bierhoff aus unguter Erfahrung, wenngleich die Beschwörung von Unheil als Verstoß gegen den guten Aberglauben gilt. Ein verschärftes Verletzungspech, wie es das Nationalteam auf dem Weg nach Südamerika begleitet, wird in der Fußballersprache unter dem Fachbegriff "Seuche" erfasst, weshalb dieses Wort nunmehr ein Unwort ist. "Eine Seuche sehe ich überhaupt noch nicht", dementierte Klose leidenschaftlich.

Zu den 22 Spielern, die am Freitag die dritte Trainingslektion in Südtirol bestritten, gehörte auch Christoph Kramer, über dessen Befinden der DFB am Freitag ebenfalls berichtet hat. Demnach empfindet der Mönchengladbacher Mittelfeldspieler sein Beisammensein mit dem Nationalteam als "schönen Traum, aus dem man nicht aufwacht", und nun ist es womöglich gar nicht mehr unwahrscheinlich, dass dieser Traum erst in ein paar Wochen endet - wenn er als WM-Fahrer aus Brasilien zurückkehrt.

Kramer, 23, von seinem Klubtrainer Lucien Favre als Dauerläufer und strategische Fachkraft geschätzt, könnte von Benders Ausfall profitieren, denn die personelle Lage im defensiven Mittelfeld ist noch schwerer zu kalkulieren als jene auf der rechten Abwehrseite, für die sich außer Philipp Lahm auch Kevin Großkreutz und Benedikt Höwedes (notfalls) eignen. Bei den fürs Mittelfeld ausersehenen Spezialisten Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger muss Löw die Entwicklung bis zum Testspiel gegen Kamerun am 1. Juni in Mönchengladbach abwarten.

Bastian Schweinsteiger sah man wieder mit dem Ball trainieren - das ließ ihn lächeln

Schweinsteiger hat am Freitag wieder seine Runden gedreht, seine Vorbereitung aufs Turnier bestreitet er weiterhin im leichten Traberschritt. Aber als all die anderen Kollegen schon zum Mittagessen aufgebrochen waren, ließ er den Ball hervorholen und machte mit dem amerikanischen Fitnesstrainer Shad Forsythe erste Passübungen. Und wenn es in diesem Moment auch aus schweren Wolken auf den Platz regnete - die Begegnung mit dem Ball ließ Schweinsteiger lächeln, als ob endlich wieder die Sonne auf ihn scheinen würde.

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