DFB-Elf gewinnt 4:2 gegen Griechenland:Löw erschafft neuen Spektakelfußball

Joachim Löw sieht sich ganz nah am Ziel: Endlich ein großes Turnier gewinnen. Alles was er macht, macht er im Moment richtig. Mit dem klaren und verdienten Sieg gegen Griechenland hat seine Mannschaft sogar einen Weltrekord aufgestellt. Und nach den Wechselspielen des Bundestrainers ist die Spannung im Team gewaltig. Perfekte Voraussetzungen für das Halbfinale.

von Thomas Hummel

Was Joachim Löw auch anfasst bei dieser Fußball-Europameisterschaft, es wird gut. Er hat Mats Hummels aufgestellt und Mario Gomez, auch Lars Bender. Vor dem Viertelfinale gegen Griechenland brachte er gleich drei neue Spieler und bilanzierte selbst: "Reus hat sehr gut gespielt, Schürrle auch, Klose ein Tor gemacht." Ihr Engagement sei ein Schlüssel zum Sieg gewesen, sein Schlüssel.

Dabei hatte er nach 25 Minuten schon den nächsten Wechsel vorbereitet. Diesmal schien es, als wollte Joachim Löw den Bundestrainer wechseln. Plötzlich war er verschwunden, der Chef hatte seinen Arbeitsplatz verlassen. Kein Löw mehr in der Coachingzone, kein Löw mehr auf der Ersatzbank. Er war in den Spielertunnel des Danziger EM-Stadions gegangen.

War es nun Zeit für eine grundlegende Veränderung? Sollte Ko-Trainer Hansi Flick übernehmen? Wollte er Angela Merkel von der Tribüne holen? Sollte die erklärte Freundin des Teams dieses unbedeutende Viertelfinale anleiten, als luftige Abwechslung zum ständigen Verdruss mit der Euro-Rettung? Oder wollte sich der Espresso-Liebhaber Löw nur ein kleines Tässchen genehmigen?

"Tja, Espresso", sagte Löw und gab zu erkennen, dass dies gar keine schlechte Idee gewesen wäre. "Doch für Espresso war da keine Zeit, denn da war schon die nächste Möglichkeit, wie ich durch die Reaktion der Zuschauer mitgekriegt habe." Und weil auch die vergeben wurde, hat er sich mächtig geärgert. Joachim Löw sah seine Mannschaft guten Fußball spielen, er sah, wie seine Pläne aufgingen und ein Erfolg deshalb eigentlich zwangsläufig sein sollte.

Doch dann ließ Mesut Özil die fünfte, sechste gute Möglichkeit vor dem griechischen Tor aus und der Bundestrainer wurde von der Wut übermannt. Er ruderte wild mit den Armen, schrie seine Emotionen heraus und musste diesen Ort des Schauderns verlassen. Kurz darauf vergab Marco Reus die nächste Chance.

Joachim Löw steht derzeit unter enormer Spannung. Seit 2004 leitet er die Nationalmannschaft an, zuerst als Ko-Trainer, seit sechs Jahren als Chef. Der 52-Jährige hat den Ruf des kühlen Taktikers, der mit viel Sachverstand die deutschen Elitefußballer jedes Jahr ein bisschen besser gemacht hat.

Löw vergisst seine badische Höflichkeit

Doch nun ist sie so gut, dass er es kaum mehr ertragen kann, wenn sie ihre Überlegenheit nicht in Siege umsetzt. Wenn ein Gegner allein damit beschäftigt ist, die deutsche Angriffsmaschine zu stoppen, aber dennoch lange die Hoffnung hegen darf, durch ein zynisches Eckballtor den Sieg davon zu tragen. Unverdienterweise natürlich. Schon die Dänen hatten zuletzt ein paar Seitenhiebe erhalten nach dem knappen 2:1-Sieg.

Nach dem 4:2 von Danzig am Freitagabend waren die Griechen dran. "Es ist keine Frage, dass wir der klar verdiente Sieger sind. Wir haben die Griechen mit vielem, was wir gemacht haben, überfordert." Seine Spieler hätten es alleine versäumt, mehr Tore zu erzielen. Für den Gegner hatte Löw wenig warme Worte: Vor allem in der ersten Halbzeit seien sie nur um den eigenen Strafraum herumgestanden, hätten das Spiel zerstört und verzögert. Dann hätten sie "aus einer Chance zwei Tore gemacht".

Doch der eine schöne Konter zum 1:1 durch Giorgos Samaras reichte natürlich nicht gegen Löws Giganten. Und das 2:4 in der Schlusssekunde durch den Elfmeter von Dimitris Salpingidis, nachdem Jérome Boateng eine Flanke an den Arm bekommen hatte, ärgerte nur noch Torwart Manuel Neuer. Niemand wollte dem Bundestrainer widersprechen.

Deutschland gewann dieses Viertelfinale völlig zurecht, nach der zähen Vorrunde kehrte sogar die Leichtigkeit bisweilen zurück in das Team. Mit Marco Reus, André Schürrle und Miroslav Klose in der Offensive wurde die griechische Abwehr bisweilen fachgerecht auseinandergenommen. Das deutsche Team hätte vor der Halbzeit schon einige Tore mehr erzielen können als nur das 1:0 durch Philipp Lahm (39.).

Wie groß da inzwischen der Druck in Joachim Löw war, zeigte sein Jürgen-Klopp-Torjubel. Als die Griechen dann etwas mutiger aus der Kabine kamen und sogar den Ausgleich erzielten, ließ sich die deutsche Elf nicht beirren, spielte weiter ihre Überlegenheit aus und traf nun auch das Tor. Der enorm starke Sami Khedira (61.), Miroslav Klose (68.) und Marco Reus (74.) entschieden schnell das Spiel, es erinnerte in dieser Phase fast an den Spektakelfußball aus der EM-Qualifikation.

Die Anspannung äußert sich auch darin, wie Löw bei dieser EM Spiele analysiert. Spricht er über technisch und spielerisch limitierte Gegner, vergisst er bisweilen seine badische Höflichkeit. In die fachlichen Ausführungen zur eigenen Mannschaft mischt sich eine Menge Stolz auf das Erreichte.

"Es ist eine tolle Leistung der Mannschaft, zum vierten Mal in Folge im Halbfinale eines großen Turniers zu stehen. Das hätte 2004 so auch niemand gedacht." Sie hat nun 15 Pflichtspiele in Folge gewonnen, was noch keiner Nationalmannschaft gelungen ist und: "Wir haben die jüngste Mannschaft im Turnier, großes Kompliment." Das musste jetzt mal gesagt werden.

Joachim Löw sieht sich ganz nah am großen Ziel, endlich ein großes Turnier zu gewinnen. Er hat die Tiefen seines Kaders erfolgreich getestet und hat zusammen mit seinem Trainerteam Gespür für die Aufgaben bewiesen. Nach dem Wechselspiel dürfte die Spannung unter den Spielern in etwa so hoch sein, wie die seine nach Özils vergebener Chance.

Fast alle Kader-Mitglieder dürfen auf einen Einsatz im Halbfinale gegen Italien oder England am Donnerstag in Warschau rechnen, das wird den Trainingsfleiß anspornen und mögliche Stänkereien minimieren. So kann Joachim Löw aus vielen Schlüsseln die richtigen herauszupicken.

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