DFB-Elf gegen Kasachstan:Hinfahren, gewinnen, schnell wieder zurück

So wenig Zeit wie möglich verbringt die Nationalelf beim WM-Qualifikationsspiel in Kasachstan. Den Terminplan diktiert der Mannschaftsarzt - die Spieler sollen möglichst gar nicht merken, dass sie dort sind.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

Die Prioritätenliste, die Per Mertesacker für den Aufenthalt der Nationalmannschaft in Kasachstan aufgestellt hat, klingt nicht danach, als ob er ein ausgeprägtes Interesse daran hätte, ein fremdes Land und dessen Bewohner kennenzulernen. Sie klingt eher danach, als ob er wünsche, dass ihn Land und Leute bitte verschonen mögen, wenn er am Donnerstag mit der DFB-Reisegruppe in der Steppen-Hauptstadt Astana Quartier bezieht.

"Die Fenster müssen gut verrammelt werden", lautet Mertesackers oberste Anordnung; "das Hotel muss abgesichert werden", fordert er außerdem, und ganz wichtig ist ihm auch, "dass die Vorhänge funktionieren". Dann, so hofft er, könnte es klappen mit seinem Drei-Punkte-Plan: "Hinfahren. Gewinnen. Schnell wieder zurück."

Es gab Zeiten beim DFB, da sollten die Nationalspieler ihre Auswärtstouren nicht als Durchreise abhandeln, sondern als Bildungserfahrung nutzen. Mertesacker hat es selbst erfahren, als er sein erstes Länderspiel bestritt, damals, im Herbst 2004 vor 100.000 Zuschauern in Teheran. Damals organisierte Bundestrainer Jürgen Klinsmann am Tag vor dem Spiel eine Stadtrundfahrt im Teambus, mit Zwischenstopps und Besichtigungen, bei denen sich diverse Begegnungen mit leibhaftigen Einheimischen ergaben. Beziehungsweise leibhaftige Begegnungen, denn die Iraner konnten es kaum fassen, dass deutsche Nationalspieler zwischen ihnen wandelten.

Achteinhalb Jahre später gelten beim nächsten Trip nach Zentralasien andere Voraussetzungen, die sich aber, wie man fairerweise anmerken muss, nicht Per Mertesacker ausgedacht hat, sondern der Mannschaftsarzt und die sportliche Führungscrew. Wenn alles so läuft, wie es das Büro der Nationalmannschaft vorgesehen hat, dann werden die Deutschen kaum bemerken, dass sie Deutschland verlassen haben und sich in einem Land aufhalten, das der Mitteleuropäischen Zeitrechnung fünf Stunden voraus ist.

Um zehn Uhr vormittags starten sie am Donnerstag in Frankfurt, landen Ortszeit halb neun abends in Astana, setzen den Tag aber so fort, als ob es erst drei Uhr nachmittags wäre. Das Abschlusstraining im Stadion findet also um 23 Uhr Ortszeit statt, zu Abend gegessen wird um zwei Uhr nachts, Bettruhe ist um vier und Frühstück um zwölf Uhr mittags. Auf Letzteres beziehen sich auch die von Mertesacker beschriebenen Maßnahmen zur Abwehr des Tageslichts. Anstoß des WM-Qualifikationsspiels: Punkt Mitternacht. Ortszeit. Nicht zuletzt hat an dieser Planung auch das deutsche Fernsehen seinen Anteil, so kann das ZDF sein Publikum zur frühen Abendstunde versammeln.

Die Armbanduhren nicht umstellen

Für Mertesacker ist das seltsame Programm nichts Neues. Er war vor zweieinhalb Jahren schon dabei, als die Nationalelf im beheizten, aber schwach belüfteten und nicht gerade nach Herbstblumen duftenden Nationalstadion 3:0 gewann. Auch damals hat die DFB-Delegation im Charterflieger deutsches Zeitgefühl importiert, inklusive der Anleitung, die Armbanduhren nicht umzustellen. Die konzertierte Simulation sei schon ein wenig grotesk, hat Mertesacker zugestanden, "das habe ich beim letzten Mal auch gedacht, aber wenn du mit einem Sieg da rausgehst, dann vergisst du das schnell wieder".

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Vor allem die deutsche Offensive rund um Mesut Özil wird gegen Kasachstan gefragt sein.

(Foto: AFP)

Der lange Verteidiger wird in Astana voraussichtlich sein 87. Länderspiel bestreiten, vermutlich mit einem neuen Partner an seiner Seite. Mats Hummels und Holger Badstuber fehlen verletzt, Benedikt Höwedes hat die besten Einsatzchancen, aber das deutsche Abwehrzentrum wird vermutlich nicht der Ort sein, an dem sich die Partie entscheidet. Beim Treffen 2010 hatte Heinrich Schmidtgal, damals Profi bei Rot-Weiß Oberhausen, heute SpVgg Greuther Fürth, den gefährlichsten Torschuss für Kasachstan abgegeben - es war aber auch mehr oder weniger der einzige. Mertesacker wird das Spiel wohl eher aus der Ferne erleben, weil Özil, Götze, Gomez und andere Offensivkräfte auf dem Kunstrasen im Mittelpunkt stehen werden. Ob Sami Khedira mit dabei sein wird, steht noch nicht fest, er war am Dienstagabend beim Kunstrasentraining umgeknickt.

Immerhin bietet das Doppelduell mit Kasachstan für den Premier-League-Gastarbeiter Mertesacker die Gelegenheit, ein paar Unklarheiten in der Heimat zu bereinigen. In der jüngsten Zeit wurden in Deutschland unter Berufung auf englische Quellen vermehrt Meldungen verbreitet, der FC Arsenal sei mit seinem deutschen Abwehrmann nicht mehr zufrieden und wolle ihn am liebsten wieder zurückschicken über den Kanal. Mertesacker nennt solche Nachrichten nicht nur "wunderschön", er hat das Thema sogar zu seinem "Lieblingsthema" erkoren. Allerdings nur, um endlich mal all diese Meldungen zu dementieren und eine kritische Analyse des zeitgenössischen Journalismus vorzulegen.

Die Berichte in englischen Zeitungen beruhten auf Erfindungen und Spekulationen, die in Deutschland ungeprüft übernommen würden, "heutzutage geht es ja nur noch um die schnellen Nachrichten", moniert Mertesacker. Sein eigenes Befinden sei dabei zweitrangig, sagt er, das Problem seien die Freunde und Verwandten, die sich besorgt nach seinem Schicksal erkundigten. Sie alle ließ er am Dienstag wissen: "Ich bin noch zwei Jahre bei Arsenal unter Vertrag, fühle mich superwohl in London und möchte den Stellenwert, den ich mir beim Trainer erarbeitet habe, weiter ausbauen."

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