Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf:"Fakt ist: Wir sind stärker"

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Entdeckung der Selbstsicherheit: Die Nationalspieler sind sich gewiss, dass am Freitag die Negativserie gegen große Gegner bricht.

Ludger Schulze

Dietmar Hamann ist zwar nicht als aktiver Fußballspieler bei dieser Weltmeisterschaft zugegen, doch das Heldentum des Liverpoolers könnte dieses Turnier überdauern - freilich nur dann, wenn die deutsche Mannschaft am Freitag (17 Uhr) in Berlin gegen Argentinien ausscheiden würde, im schlimmsten Fall also.

Dann bliebe der Mittelfeldstratege der letzte deutsche Spieler, der einen Siegtreffer gegen einen der so genannten Großen des Weltfußballs aus dem Fuß geschüttelt hat. Es ist fünfeinhalb Jahre her, eine ganze Fußballer-Generation, dass Hamann am 7. Oktober 2000 anlässlich des letzten Spiels im legendären Wembleystadion einen Freistoß aus 30 Metern im Netz hinter "Horror-Keeper Seaman" ( Observer) versenkte und damit das 1:0 gegen England sicherte.

Seitdem verschandelt eine abartige Bilanz die DFB-Statistik: nullkommanull Siege, sechs zumeist labbrige Unentschieden und zehn Niederlagen gegen die Mannschaften, die sich dank opulenter Tradition als Weltklasse bezeichnen dürfen, Brasilien, Frankreich, England, Niederlande, Spanien, Italien. Halt, eine Elf nicht zu vergessen: Argentinien.

Nach dieser Aneinanderreihung von Fehlschlägen müssten sich die deutschen Kicker allmählich fühlen wie ein Koch beim 17. Versuch, ein Soufflé hinzubringen, nachdem es ihm 16-mal hintereinander zusammengefallen ist.

Tun sie aber nicht, wie der Mittelfeldsechser mit der Nr. 8, Torsten Frings, betont: Ein weiterer bilanzieller Misserfolg in diesem Viertelfinale steht nicht auf der Agenda der Klinsmänner. "Wir haben keine Sekunde einen Gedanken daran verschwendet, dass wir am Freitag rausfliegen könnten. Das interessiert uns überhaupt nicht", sagt der Bremer, in dessen Zuständigkeitsbereich vor allem die Verhackstückung des gegnerischen Aufbauspiels zählt, mit wilder Entschlossenheit.

Hinter den Sätzen stehen etwa acht unausgesprochene Ausrufezeichen; Torsten Frings liefert vielleicht das beste Beispiel für die Entdeckung der Selbstsicherheit unter den Nationalspielern.

Noch vor wenigen Wochen wurde ihm so gut wie alles abgesprochen, was einen passablen Fußballer auf der Position vor der Abwehr ausmacht: strategische Fähigkeiten, Zweikampfstärke, Technik, das Gefühl für den richtigen Moment; Frings, das Mädchen für alles, war auf einmal jedermanns Lutscher.

Nur wer genauer zuschaute, konnte erkennen, dass er inmitten eines monströsen Mittelfeldlochs einen einsamen, nicht zu gewinnenden Kampf gegen eine Phalanx von Gegenspielern auszufechten hatte. Inzwischen, auch dank der tätigen Mithilfe des Kollegen Michael Ballack, muss man schon mit dem Himmelsfernrohr nach einem besseren "Sechser" bei dieser WM Ausschau halten.

Schluss mit der verflixten Serie

Dreimal bei seinen 56 Länderspielen hat sich Torsten Frings bereits vergeblich an den Argentiniern abgearbeitet, nun lässt er keinen Zweifel daran, dass Schluss ist mit der verflixten Serie: "Zweimal waren wir dicht dran, sie (die Argentinier) zu packen. Freitag ist es so weit, dass wir mal einen Großen schlagen. Dafür werden wir alles tun."

Rennen, spielen, kämpfen, all die Sachen, die dafür notwendig sind. Topfit sind sie alle miteinander, auf höchstem konditionellen Niveau. "Wir können 90 Minuten marschieren, wenn nötig auch 120. Fakt ist, wir sind stärker."

Frings kommt gegen die Argentinier die heikelste Aufgabe zu, in seinem Arbeitsumfeld bringt der geniehafte Juan Riquelme für gewöhnlich fußballerische Geistesblitze zur Aufführung. Frings hat dabei nicht weniger zu leisten, als den argentinischen Director zum Mitläufer zu degradieren.

"Riquelme ist ein sehr wichtiger Mann für Argentinien", gibt er zu, "aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich 90 Minuten lang hinter ihm herrennen muss."

Wenn es ihm und Ballack gelingt, Riquelmes filetierende Pässe in die Spitze zu verhindern, wäre das eine enorme Arbeitserleichterung für die Abwehr, speziell für die Zwei-Meter-Spargel aus der deutschen Innenverteidigung.

Gewaltiger Höhenunterschied

Per Mertesacker (1,98m) und Christoph Metzelder (1,93m) müssen dabei einen gehörigen Höhenunterschied überwinden und gegen Javier Saviola (1,68 m), Carlos Tevez (1,68 m) und Lionel Messi (1,69 m) aufpassen, was in der Ebene des Berliner Olympiastadions geschieht.

Am Beispiel von Saviola hat Mertesacker, einer der zweikampfstärksten Spieler des Turniers, anatomische Studien angestellt, die ihn zu folgender Erkenntnis brachten: "Gegen ihn ist es deshalb unangenehm, weil er einen tiefen Körperschwerpunkt hat."

Das verleiht den argentinischen Minis außerordentliche Schnelligkeit und Wendigkeit sowie Vorteile das Drehmoment betreffend. "Wenn der Saviola 1:1 auf dich zukommt, wird es schwierig", erklärt Mertesacker, dessen Benehmen im übrigen den offensichtlichen Schluss nahelegt, dass er die Sache mit dem Selbstbewusstsein unter den Klinsmännern etwas missverstanden hat.

Mokantes Verhalten in diesen WM-Tagen zeigt, dass der 21-Jährige gerade im nahtlosen Übergang von spätpubertärer Schüchternheit in arrogantes Schnöseltum begriffen ist.

Kein Wunder, dass einer zum Abheben neigt, den eine Blitzkarriere binnen kurzem unvermittelt aus der A-Jugend von Hannover 96 auf die Weltbühne des Fußballs torpediert hat.

Wie stark sich die deutschen Spieler fühlen, haben sie gestern auch auf dem Trainingsplatz demonstriert. Sie trugen erstmals Muskelshirts und entblößten so ihre Tattoos an den oberen Extremitäten, Armgeweihe könnte man sagen.

Und sollte einer von ihnen immer noch Bedenken haben, dass die vermaledeite Serie gegen die Großen anhält, so sei er auf ein aktuelleres Zahlenspiel verwiesen. Wie bisher viermal nacheinander bei einer Weltmeisterschaft gewonnen hat eine deutsche Elf schon lange nicht mehr. Genau gesagt: seit 1954, dem Jahr, in dem die deutsche Mannschaft in der Schweiz Fußballgeschichte schrieb.

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Quelle:
SZ vom 28.6.2006
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