DFB-Elf - Elfenbeinküste:Überraschend munter

Nachdem sich Spieler und Fans an Robert Enke erinnern, entwickelt sich ein schönes 2:2 gegen die Elfenbeinküste. Mit zwei Toren von Lukas Podolski.

Pfarrer Hans-Joachim Dohm, der Hüter der Gelsenkirchener Stadion-Kapelle, hatte zur fälligen Andacht das zweite Buch der Psalmen ausgewählt: Psalm 69, das Klagelied vom "Hilferuf eines unschuldig Verfolgten". Es lag aufgeschlagen auf dem Altar der Kapelle, daneben auf einem Podest ein Foto mit dem Porträt des lächelnden Robert Enke und eine brennende Kerze. Viele, vielleicht auch alle Mitglieder des DFB-Stabes haben vor dem Spiel der Nationalelf in der Kapelle vorbeigeschaut und sich in das Kondolenzbuch eingetragen, das auf einem weiteren Podest bereitlag. Der eine oder andere setzte sich auch auf eine der kargen Bänke und hielt ein paar Momente Einkehr. Pfarrer Dohm, ein älterer Mann mit Bart und dicken Brillengläsern, leistete ihnen dann still Gesellschaft.

DFB-Elf - Elfenbeinküste: Geste für den gestorbenen Mitspieler: das Trikot von Robert Enke auf der Ersatzbank.

Geste für den gestorbenen Mitspieler: das Trikot von Robert Enke auf der Ersatzbank.

(Foto: Foto: Reuters)

Dohm hätte auch den bekanntesten der Psalmen auswählen können - Nummer 23: "Der Herr ist mein Hirte" -, auch der hätte gepasst. Aber er wollte das Gefühl des unverschuldeten Alleinseins thematisieren, er dachte dabei aber nicht allein an den Toten, sondern auch und vor allem an dessen Frau Teresa. Für sie beginnen jetzt, nach mehr als einer Woche der öffentlichen und lauten Anteilnahme, stille und auf neue Weise nachdenkliche Zeiten. Es ist nun mal die allein zurückbleibende Witwe, für die sich plötzlich alles verändert hat im Leben.

Der deutsche Fußballbetrieb, der ein paar Tage aus seiner üblichen geschäftsmäßigen Hektik geraten war, als er in Schock und Trauer innehielt, hat auch wieder auf seine gewohnten Pfade zurückgefunden. Das erste Länderspiel nach dem Tod des Nationaltorwarts Enke war vielleicht kein ganz normales, aber keinesfalls ein außergewöhnliches Fußballspiel. Weite Teile der Ränge in der Schalke-Arena waren leer geblieben, das war anders als sonst, aber auch kein neues Phänomen mehr.

Die Reserviertheit der Fans hatte nichts mit dem Tod von Robert Enke zu tun, sie beruht auf einem veränderten Kundenbewusstsein. Und tatsächlich hatte die ursprünglich als veritabler WM-Test geplante Partie den Charakter eines Freundschaftsspiels, die Spieler gingen äußerst pfleglich miteinander um. Offenbar hatten beide Seiten das Gefühl, dass allzu viel Verbissenheit im Zweikampf an diesem Abend nicht angebracht wäre.

Die deutsche Mannschaft hatte lange überlegt, was sie tun könnte, um an diesem Fußballabend ihr Gedenken an den toten Mitspieler auszudrücken. Sie entschied sich dann zu einem offenem Brief, der als "Abschiedsgruß der Nationalmannschaft an ihren Torhüter" übertitelt war. "Es ist nicht leicht, heute Abend die Fußballschuhe anzuziehen, raus zu gehen auf den Rasen, 90 Minuten das zu tun, was Du so sehr geliebt hast", lautete der erste Satz in dieser Botschaft an Robert Enke, die vor allem von den Fragen nach dem Warum handelte und von den Zweifeln, die in den Tagen nach dem Erhalt der Nachricht die Nationalspieler bewegt hatten.

"Es ist für uns alle ein schmerzhafter Gedanke, dass für Dich so viel mehr auf dem Spiel stand als für jeden anderen von uns", heißt es in dem Brief, der mit einem Bekenntnis endet: "Wir sind ein Team. Und Du wirst immer ein Teil dieses Teams bleiben." Gezeichnet: "Deine Nationalmannschaft".

Auch die Spieler der Elfenbeinküste hatten eine Geste des Respekts beschlossen. Sie hatten T-Shirts mit Enkes Bild angezogen, "In Memoriam" stand darüber geschrieben. Während der Gedenkminute vor dem Abspielen der Nationalhymnen trugen sie die T-Shirts über ihren orangefarbenen Trikots.

Es war eine Gedenkminute, die dem Charakter der öffentlichen, mit Effekten versehenen Trauer um Enke treu blieb. Keine Schweigeminute, sondern ein inszeniertes, audiovisuelles Erinnern. Aus den Boxen kam die ewige, globale Fußballhymne "You'll never walk alone", auf dem Videowürfel gab es dazu Bilder von Robert Enke: Szenen aus seinem privaten Leben, die ihn mit lauter Tieren zeigten, Hunden, Katzen, einem Pferd und sogar einem Elefanten. Anschließend Momente aus seiner Torwartlaufbahn, die wie der Zusammenschnitt eines "Best of Enke"-Videos wirkten.

Auf den Banden rund ums Spielfeld stand während dieser Vorführung "Im Gedenken an Robert Enke". Als nach dem Ende von Film und Lied der Beifall des Publikums wieder verklungen war, wechselte das Thema auf den Werbebanden und zeigte den Stern des DFB-Hauptsponsors. Und schon rollte auch wieder der Ball.

Lesen Sie auf Seite 2 den Bericht zum Spiel Deutschland gegen die Elfenbeinküste

Der Spielbericht

Umso überraschender war es, dass sich eine muntere Partie entwickelte. Im deutschen Sturm sorgte der Leverkusener Stefan Kießling für Wirbel, und es schien, als stecke er die anderen Offensivkräfte mit seiner Vitalität an. Kießling lief dann auch in den Strafraum der Ivorer, wo er rutschte und fiel, und da ihn Verteidiger Guy Demel leicht berührt hatte, entschied Schiedsrichter Björn Kuipers auf Elfmeter. Lukas Podolski legte sich den Ball auf den Elfmeterpunkt und jagte ihn zum 1:0 ins Netz (11.).

Anschließend spielte die deutsche Elf erstaunlich schwungvoll, im Mittelfeld ließ sie den Ball zirkulieren, sie spielte schnell und direkt, ganz anders als zuletzt in Freundschaftsspielen. Ob das nun trotz oder wegen Enkes Tod so war, spielt keine Rolle, es war ein Zeichen dafür, dass bei aller Trauer das Leben weitergeht, natürlich auch der Sport. Chance reihte sich an Chance, nach 25 Minuten trat Özil eine Ecke in den Sechzehnmeterraum, Westermann beförderte die Kugel per Kopf aufs Tor, und gerade, als die Deutschen die Arme in die Höhe reißen wollten, rettete der kleine Artur Boka auf der Linie (25. Minute).

Die Elfenbeinküste spielte gut mit, immer wieder deutete die Elf ihre Klasse an. Didier Drogba vom FC Chelsea fehlte, und es war zu sehen, dass diese Elf, wenn sie über die Zuspitzung verfügt, die Drogba bedeutet, eine bedeutsame Rolle bei der WM spielen kann. Auf der anderen Seite war wieder einmal zu sehen, über welch hervorragende Schusstechnik Piotr Trochowski verfügt: Aus 18 Metern schoss er den Ball an den Pfosten (44. Minute), die Führung war jetzt verdient.

Nach der Pause ließen beide Teams es ruhiger angehen, bei den Deutschen rückte Manuel Neuer für Tim Wiese ins Tor. Wenig später misslang Neuer ein Abwehrversuch, er schoss Emmanuel Eboué an, von dessen Körper der Ball aus 13 Metern zum 1:1 ins Netz sprang (57. Minute).

Als dann der eingewechselte Seydou Doumbia mit einem Schuss aus 17 Metern das 2:1 erzielte (85.Minute), sah es nach einer Niederlage für die deutsche Mannschaft aus. Doch dann gelang Lukas Podolski in der dritten Minute der Nachspielzeit das 2:2, womit er für den Schlusspunkt eines friedlichen und kurzweiligen Abends sorgte.

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