Süddeutsche Zeitung

DFB-Elf besiegt Kasachstan:Eigentlich super

Beim lockeren 4:1 gegen Kasachstan liefert die deutsche Nationalelf ein Offensiv-Spektakel ab. Jedoch nur vor der Pause - nach einem Fehler von Manuel Neuer wird das Spiel noch mal eng. Erinnerungen an das Schweden-Schockerlebnis ersticken Löws Männer schließlich gekonnt.

"Eigentlich", hat Oliver Bierhoff kürzlich gesagt, eigentlich sei es ja für eine europäische Mannschaft "ein Ding der Unmöglichkeit", eine Fußball-WM in Südamerika zu gewinnen. Die Hitze, die Zeitverschiebung, die schwierige Logistik. Südamerika-Turniere gewinnen immer die Südamerikaner. "Eigentlich." Bierhoff hat damit natürlich nicht sagen wollen, dass man es nicht trotzdem probieren solle, 2014 in Brasilien, das ausweislich der neuesten verfügbaren Weltkarten in Südamerika liegt.

Aber weil rund um die deutsche Nationalmannschaft, der Bierhoff als Manager dient, eine Aufregungskultur herrscht, dass es einem manchmal das Fürchten lehrt, deshalb las der einstige Mittelstürmer am nächsten Tag sinngemäß in der Zeitung: Wenn "wir" nächsten Sommer eh keine Chance haben, warum müssen "wir" dann am Dienstag dieses Qualifikations-Spiel gegen Kasachstan spielen?

Die Frage war das Ergebnis bösartiger Zuspitzungen in Tateinheit mit mutwilliger Unterschlagung des Wortes "eigentlich", aber sei's drum: Nach gut einer halben Stunde im weder südamerikanisch noch kasachisch temperierten Nürnberger Stadion (amtlich minus 2 Grad, gefühlt deutlich darunter) hatte sich die Frage ohnehin erst mal erledigt.

Da stand es in einer bis dahin außerordentlich kurzweiligen Partie schon 3:0 für die Elf des Deutschen Fußball-Bundes, und keiner der bestens unterhaltenen Zuschauer dürfte sich viele Gedanken über Brasilien und den Sommer 2014 gemacht haben. Die Gegenwart machte einfach zu viel Spaß.

Das blieb dann nur bedingt so, 4:1 (3:0) hat die Mannschaft von Joachim Löw diesen zweiten Teil des Kasachstan-Double-Features am Ende gewonnen (nach dem 3:0-Sieg am Freitag in Astana). "In der zweiten Halbzeit war die Konzentration nicht mehr so da", monierte der Bundestrainer.

Und dennoch: Es war der fünfte Sieg im sechsten Spiel dieser Qualifikations-Runde, die Tabellenführung in der Gruppe C ist ungefährdet, die Nationalelf bleibt ungeschlagen. Nur ein Unentschieden steht weiter schräg in der Bilanz: das erstaunliche 4:4 nach 4:0-Führung gegen Schweden. An dieses Spiel sollte im Laufe des Abends noch erinnert werden.

Während beim 139. der Weltrangliste der Deutsch-Kasache Konstantin Engel (Energie Cottbus) den Deutsch-Kasachen Heinrich Schmidtgal (Greuther Fürth) im Mittelfeld unterstützen durfte, gab es in Löws Elf drei Wechsel, aber keine Überraschung: Ilkay Gündogan gab anstelle des gesperrten Bastian Schweinsteiger den Mittelfeld-Partner von Sami Khedira. Jérôme Boateng ersetzte den verletzten Benedikt Höwedes.

Und Marco Reus kehrte für Julian Draxler ins Team zurück, der sich in Astana eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Und weil der amtlich zugelassene und TÜV-geprüfte Mittelstürmer Mario Gomez mit einer Zerrung ausfiel, spielten die Deutschen erneut mit Mario Götze als verkapptem Stürmer respektive falschem Neuner respektive spanischer Offensivvariante.

Ein taktisches Mittel, das Löw hinterher so rechtfertigte: "Wenn Sie am Samstag in die Stadt fahren, dann fahren Sie ja vielleicht auch nicht mit dem großen Mercedes, sondern mit dem Smart, weil Sie dann besser einen Parkplatz kriegen."

Und tatsächlich: Es war noch keine Minute gespielt, da hatten sich die Deutschen schon drei Mal in den mit kasachischen Beinen zugeparkten Strafraum hineinkombiniert. Götze war dabei allerdings der Ball gegen die Nase gesprungen, Blut floss. Der Dortmunder bekam einen Wattebausch in den Riechkanal geschoben, konnte weitermachen - und stand fortan im Zentrum einer bemerkenswerten Offensiv-Vorstellung unter dem Titel: Wie wir uns durch Räume kombinieren, die es gar nicht gibt.

Ständig wechselten Götze, Reus, Thomas Müller, Mesut Özil und sogar Gündogan die Positionen, wer mitzählte, kam auf fünf falsche Neuner. Nur die letzte Zuspitzung fehlte: Müller und Marcel Schmelzer versuchten es anfangs sogar mit hohen Flanken - das war für den kleinen Götze mit der blutenden Nase das falsche Mittel.

Dann setzte Gündogan eine Direktabnahme gegen den Pfosten (21.), Götze schoss - wieder Pfosten(22.), und schließlich zog Reus von rechts nach innen, zog ab, 1:0 (23). So ging es vorerst weiter: Philipp Lahm drang mit beachtlichem Antritt in den Strafraum ein, Götze hielt den Fuß hin, 2:0 (27.).

Kaum hatten die Kasachen den folgenden Anstoß ausgeführt, war der Ball schon wieder in der Gefahrenzone, wieder traf Götze den Pfosten. Und in der 31. Minute erzielte dann Gündogan sein erstes Länderspieltor - zwei Minuten und fünfzehn Sekunden lang hatten die Deutschen zuvor den Ball laufen lassen.

Eigentlich darf so ein Spiel keine Sekunde mehr spannend werden. Eigentlich darf man als Reusözilgötzesuperdupertruppe gegen Kasachstan kein Gegentor zulassen. Eigentlich. Aber die zweite Halbzeit begann damit, dass sich der Torwart Manuel Neuer den Ball zu weit vorlegte - Schmidtgal knallte ihn zum 3:1 ins Netz (47). Die ersten Zuschauer pfiffen, was Löw wiederum "unsportlich" fand: "Manuel hat einen Fehler gemacht", sagte er, das sei aber kein Grund, ihn "mit Ironie zu begleiten".

Özil und Khedira trafen erneut kurz hintereinander den Pfosten (73.), die Deutschen hatten in der Tat "noch viele Riesenmöglichkeiten", wie Kapitän Philipp Lahm hervorhob. Aber: Der Kasache Korobkin traf den deutschen Außenpfosten, und später musste Lahm noch vor der Linie retten.

Ein 3:3 gegen Kasachstan? Davon war man zwar weit entfernt, zumal Reus noch das 4:1 erzielte (90.). Aber nach der absurden "Eigentlich"-Debatte hat Löws Elf jetzt wenigstens wieder eine halbwegs handfeste Debatte am Hals: jene, warum sie ihre bezaubernde Qualität immer so schwer über die Halbzeitpause rettet. Halbzeitpausen sind nach SZ-Informationen eigentlich auch bei südamerikanischen Weltmeisterschaften vorgesehen.

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Quelle:
SZ vom 27.03.2013/jbe
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