DFB-Elf in der EinzelkritikMagulls Comeback reicht nicht aus

Lesezeit: 5 Min.

(Foto: Joe Giddens/Imago)

Die Mittelfeldspielerin dreht in der zweiten Halbzeit auf, Marina Hegering provoziert ein elfmeterwürdiges Handspiel der Engländerinnen und Kathrin Hendrich macht ihr bestes Spiel im Finale - und kommt dann eine Millisekunde zu spät.

Von Martin Schneider

Merle Frohms

(Foto: Liam Asman /Imago)

Torlinie, Wembley, da war mal was, aber Merle Frohms ließ zu Beginn eine unangenehme englische Torschussflanke klar vor dem Kreidestrich auf den Boden fallen. Gibt ja sowieso mittlerweile ein technisches Auge für solche Situationen. Dass Ellen White sie kurz danach anrempelte, setzte direkt den Ton für dieses Finale: Die Engländerinnen suchten erst den intensiven Körperkontakt zur deutschen Torhüterin und dann den intensiven Körperkontakt mit jeder anderen Gegenspielerin.

Frohms hatte schon nach gut zwanzig Minuten fast mehr zu tun als im Turnier zuvor, wo sie vor dem Finale nur einen Gegentreffer kassierte. (Torschütze: ihr eigener Rücken nach einem Pfostenschuss.) Es wird sie nicht trösten, dass der zweite Gegentreffer ein ausgewachsenes Traumtor war. Frohms verkürzte den Winkel gegen die heranstürmende Ella Toone - doch die lupfte aus vollem Lauf über sie. Frohms gewann dann noch nebenher den Preis für die lässigste Aktion in einem Endspiel, als sie in der 109. Minute einen scharfen Fernschuss mit dem Innenrisst nach außen wegklärte. Kurz darauf kassierte sie ihr drittes Gegentor bei diesem Turnier. Sie war schuldlos.

Giulia Gwinn

(Foto: Lisi Niesner /Reuters)

Erlebte wie Frohms, dass die Engländerinnen hier keinen Höflichkeitspreis gewinnen wollten, und wurde nach 25 Minuten von Stürmerin White im Mittelfeld so hart weggecheckt, dass Schiedsrichterin Kateryna Monzul Gelb zog. Ist eigentlich eine von Natur aus extrem offensive Rechtsverteidigerin, doch diesmal wurde sie hinten gebraucht. Legte erst nach dem ersten Gegentor taktische Überlegungen ab - gab ja sowieso nichts mehr zu verlieren. Nach dem Schlusspfiff untröstlich.

Marina Hegering

(Foto: Peter Cziborra/Reuters)

Schrammte nach gut 40 Minuten knapp an einem Elfmeter vorbei, als sie erst gegen White und dann gegen Bronze im eigenen Strafraum geraaaaaaaaade noch so hauchzart an den Ball kam. Hätte auch schiefgehen können. War kurz davor auf der anderen Spielfeldseite mitten in einem Tohuwabohu vor der englischen Torhüterin und kam mit ihrem langen Bein hinter den Ball - er sprang an einen englischen Arm. Die Szene hätte man als Schiedsrichterin auch kritisch am Bildschirm checken können. Rasselte nach gut einer Stunde mit Beth Mead zusammen, beide grätschten aus vollem Lauf, beide knallten Schienbein an Schienbein, beide blieben liegen (Foto), beide konnten weitermachen. Musste dann in der Verlängerung völlig fertig vom Platz.

Kathrin Hendrich

(Foto: Michael Regan/Getty Images)

Wenn ein Gegentor fällt, dann sucht man den Fehler in der Abwehr, und beim englischen 1:0 war es die Abstimmung zwischen Hendrich und Hegering, die nicht passte. Hendrich stand hoch, Hegering ein paar Schritte tiefer, darum stand Ella Toone nicht im Abseits und hatte die paar Meter Vorsprung vor Hendrich, um das 1:0 zu erzielen.

Was man dann als Abwehrspielerin machen kann? Den Ausgleich einleiten zum Beispiel. Machte Hendrich kurz darauf: Gewann den Ball, spielte ihn nach vorne, schaute sich ihr Werk an. Die Szene gab dann auch eher ihre Leistung wieder - sie war eine der besten Deutschen in diesem Finale, vielleicht sogar die beste. Umso bitterer, dass sie auch das 2:1 aus nächster Nähe verfolgte: Sie war mit ihrem Befreiungsschlag eine Millisekunde zu spät (Foto).

Felicitas Rauch

(Foto: Alessandra Tarantino/AP)

Hatte eine der schwersten Aufgaben, weil über ihre Seite die wuchtigen Mead (beste Torschützin des Turniers mit Popp) und Lucy Bronze (Weltfußballerin 2020) kamen. Holte sich nach einem harten Einsteigen gegen Mead schon nach 40 Minuten die gelbe Karte ab (Foto) und schleppte diese Hypothek bis zur 113. Minute mit sich rum. Ein Kunststück für sich.

Lena Oberdorf

(Foto: Peter Cziborra/Reuters)

Bei diesem Turnier galt bisher eine Regel: Wo der Ball hinkommt, ist Lena Oberdorf schon. Zweikampf rechts? Oberdorf. Zweikampf links? Oberdorf. Pressing vorne? Oberdorf. Rettungstat hinten? Man ahnt die Antwort. War natürlich auch gegen England das erste Stoppschild der deutschen Defensive, und wenn bei ihr noch irgendwas überrascht, dann, dass sie auch noch in der Verlängerung überall war. Auswechseln war keine Option. Wurde nach 100 Minuten von Alessia Russo, man muss es so klar ausdrücken, umgetreten. Hätte man auch Rot zeigen können. Trotz Finalniederlage die Entdeckung dieses Turniers.

Sara Däbritz

(Foto: Adam Davy/dpa)

Hatte in der ersten Halbzeit die beste deutsche Chance, doch ihr Schuss aus freier Position landete nach zehn Minuten am Kopf von Lucy Bronze. Wurde in der 23. Minute unfair mit einem taktischen Foul gestoppt. Ihre Kraft reichte nur für 73 Minuten - dann musste sie für Sydney Lohmann runter.

Lina Magull

(Foto: Joe Giddens/Imago)

Erlebte zwei gegensätzliche Halbzeiten. In den ersten 45 Minuten war Lina Magull kaum entscheidend im Spiel, die Partie bestand fast nur aus Zweikämpfen, und die Technikerin Magull ging unter in diesem Meer der Duelle. In der zweiten Halbzeit war dann aber fast nur noch Magull zu sehen. Tauchte erstmals in der 50. Minute auf - und versuchte den Ball mit der Picke im langen Eck unterzubringen. Der Versuch ging knapp am langen Pfosten vorbei. In der 66. Minute donnerte sie dann einen Spannschuss an den Pfosten. Und in der 79. Minute nahm sie die Innenseite, und die Murmel schlug im Netz ein: Nach einem Querpass von Tabea Waßmuth hatte Magull den linken Fuß reingehalten.

Svenja Huth

(Foto: Nigel French/Imago)

Sprintete auch in der Verlängerung noch die Linie entlang, als könnte man dieses Spiel über Kilometerzählen gewinnen. War nach Popps spontanem Ausfall (siehe unten) Spielführerin und ging vielleicht auch deswegen im wortwörtlichen Sinne voran. In der 97. Minute tauchte sie nach dem x-ten 50-Meter-Sprint im Strafraum auf, wurde erst im letzten Moment gestoppt.

Jule Brand

(Foto: Michael Regan/Getty Images)

Hätte in der 25. Minute ihre große Szene haben können, da konnte sie mal ihren Antritt zeigen, auf der linken Seite davonlaufen - und dann traf sie die falsche Entscheidung, weil sie den Ball steil vors Tor legte statt zurück auf die wartende Magull. Musste zur Pause raus, Tabea Waßmuth ersetzte die mit 19 Jahren Jüngste im deutschen Team.

Lea Schüller

(Foto: Mike Hewitt/Getty Images)

Spontan in ein Finale geworfen werden - das gab es in der deutschen Fußballgeschichte bei den Männern vor acht Jahren. Da erfuhr Christoph Kramer ein paar Minuten vor dem WM-Finale, dass es bei Sami Khedira nicht geht, diesmal rückte Schüller für Popp ins Spiel. Die gute Nachricht: Schüller musste nicht wie Kramer in Rio mit Teil-Amnesie nach einem Kopf-Treffer wieder vom Platz. Die schlechte Nachricht: Die Engländerinnen bearbeiteten die einzige deutsche Stürmerin so, als würden sie einen Kopf-Treffer zumindest in Kauf nehmen. Adaptierte die Spielweise, setzte sich zur Wehr und hatte nach fast einer Stunde ihre Chance, erreichte einen Steilpass der eingewechselten Waßmuth aber knapp nicht, und weil sie gegen Torhüterin Mary Earps nicht zurückzog (Foto), kassierte sie Gelb.

Alexandra Popp

(Foto: Lisi Niesner/Reuters)

Auf der Tribüne hielten deutsche Fans vor dem Spiel in phonetischer Anlehnung an den englischen Hymnentext "God save the Queen" Papptafeln mit der Aufschrift "Popp save the Team" hoch - und dann konnte die Kapitänin und sechsfache Torschützin ganz kurzfristig nicht mitmachen. Muskuläre Probleme.

Tabea Waßmuth

(Foto: Merk Michaela/Imago)

Genau die richtige Einwechslung. Brachte mächtig Schwung ins deutsche Spiel, fand irgendwie die Freiräume, die England ließ, und bereitete das 1:1 vor, nachdem sie zuvor schon viele gefährliche Situationen kreiert hatte. Neben ihr kamen noch Nicole Anyomi, Sydney Lohmann, Linda Dallmann, Sara Doorsoun und Lena Lattwein.

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