Nationalmannschaft:Der DFB sucht die nächsten Kloses

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Stefan Kuntz (li.) und Antonio Di Salvo nehmen sich auch in der Fußballpause des deutschen Stürmerproblems an. (Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago)

In der Fußballpause widmet sich der Verband dem Problem, dass es zu wenige gute Stürmer in Deutschland gibt. Im Videostudium haben die Trainer mit der "goldenen Zone" einen ersten Lösungsansatz erkannt.

Von Sebastian Fischer

Die Arbeit des Trainers Antonio Di Salvo ähnelt in diesen Tagen wohl der Freizeitbeschäftigung mancher Fans, die das Fußballschauen vermissen. Di Salvo, einst als Profi unter anderem beim FC Bayern und beim TSV 1860 München aktiv und inzwischen Assistenztrainer der deutschen U-21-Nationalmannschaft, beschreibt seinen Job in der Corona-Krise unter anderem so: "Ich schaue mir gerade viele Tore an." Zuletzt hat er noch einmal alle Treffer der laufenden Bundesliga-Saison begutachtet. Und das ist Teil eines Plans, die Fußballpause dafür zu nutzen, den deutschen Fußball ein kleines Stück weiter nach vorn zu bringen.

Was machen eigentlich Auswahltrainer des Deutschen Fußball-Bundes gerade? Joachim Löw meldet sich immer mal wieder mit Videobotschaften zu Wort, er warb zum Beispiel für die Maskenpflicht - und ansonsten ist davon auszugehen, dass er mit voller Konzentration in sich ruht. Was die anderen DFB-Trainer tun, insgesamt 21 in sieben Nachwuchsteams, darüber hat Meikel Schönweitz, Cheftrainer des DFB-Nachwuchses, zuletzt im Interview mit dem Redaktions-Netzwerk Deutschland Auskunft gegeben. "Wir haben für die Zeit einen Projektplan aufgestellt, dem wir nun intensiver als sonst nachgehen können", sagte er. "Jeder Trainer ist Treiber eines Projekts."

Für den früheren Stürmer Di Salvo, 40, und seinen Chef bei der U21, den früheren Stürmer Stefan Kuntz, 57, bedeutet das konkret: Sie nehmen sich des deutschen Stürmerproblems an.

Seitdem vor sechs Jahren Miroslav Klose, demnächst Co-Trainer von Hansi Flick beim FC Bayern, seine DFB-Karriere beendet hat, ist das Land auf der Suche nach dessen Nachfolger als Sturmspitze in der Nationalmannschaft. Der klassische Mittelstürmer sei nicht mehr gewollt, kritisierte in diesem Zusammenhang oft der frühere klassische Mittelstürmer Horst Hrubesch. "Im internationalen Vergleich tun wir uns schwer, uns vorne durchzusetzen", sagt Di Salvo.

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Als sie sich beim DFB im vergangenen Jahr überlegten, das Problem systematisch anzugehen, begann dies mit der Feststellung, dass in der modernen Nachwuchsausbildung oft das Mannschaftstraining im Vordergrund stehe, weniger die Schulung spezieller Fertigkeiten für verschiedene Positionen. Wenn früher nach dem Training noch Torschüsse geübt wurden, mit diesem Beispiel erklärt es Di Salvo, komme heute mancherorts schon der Fahrdienst, oder es werde eher die Athletik trainiert.

90 Prozent der Tore, sagt er, würden in der Mitte des Strafraums erzielt

Um ein effektives Torjägertraining zu entwickeln, schauten sich Kuntz und Di Salvo die Tore der europäischen Top-Ligen der vergangenen Jahre unter zwei Fragestellungen an: "Wo werden Tore erzielt?" Und "Was für Stürmertypen braucht man dafür?" Die erste Erkenntnis beschreibt Di Salvo als Entdeckung einer "goldenen Zone" im Strafraum. 90 Prozent der Tore, sagt er, würden in der Mitte des Strafraums erzielt, in einem Torraum-breiten Korridor von der Fünfmeter- bis zur Sechzehnmeterlinie. So naheliegend das klingt, so wenig werde das trainiert. Oft würde aus zwanzig Metern aufs Tor gebolzt. Es müssten aber vielmehr Abschlüsse im relevanten Raum geübt werden, unter Zeitdruck.

Bei der Frage, welche Stürmertypen es für den Torerfolg benötigt, unterteilen Kuntz und Di Salvo in drei Kategorien: den klassischen, großen und kantigen Mittelstürmer, den wendigen und schnellen und den Außenstürmer. Die wohl wichtigste Erkenntnis: Welcher Typ man ist, entscheidet nicht darüber, ob man das Tor trifft. Denn: "Techniken und Laufwege ähneln sich sehr." Immer geht es um eine schnelle Reaktion auf eine meist schwer vorhersehbare, oft im letzten Moment noch abgefälschte Vorlage. Immer geht es um rasche Ballkontrolle, Konzentration und einen eher platzierten als riskanten Abschluss. Hart schießen, sagt Di Salvo zum Beispiel, werde überschätzt.

Im Januar erprobten sie ihre Trainingsformen erstmals mit den DFB-Auswahljahrgängen U16 und U17. Im März gab es ein Spezialtraining für die U19 um den 15 Jahre alten Dortmunder Youssoufa Moukoko, der als Deutschlands größtes Sturmtalent gilt. Und nun, wenn niemand trainieren darf?

"Klar, dass man mehr Erkenntnisse gewinnt in dieser Zeit", sagt Di Salvo. Vielleicht hat er noch nie in zwei Monaten so viele Tore gesehen wie zuletzt. Zwei Ergebnisse des Videostudiums: Ein Laufweg auf den ersten Pfosten müsse den Stürmer entgegen eines weit verbreiteten Irrglaubens nicht immer vor den Gegenspieler führen. Und: Top-Spieler schauen kurz vor dem Schuss Richtung Ball, nicht aufs Tor.

"Wir wollen weder belehrend wirken, noch den Eindruck erwecken, den Fußball neu erfinden zu wollen", sagt Di Salvo. Aber wenn demnächst auch Nachwuchsspieler wieder trainieren dürfen, dann fände er es schon schön, wenn seine Erkenntnisse möglichst jedes Sturmtalent in Deutschland erreichen. Stefan Kuntz arbeitet mit seinem anderen Assistenten Daniel Niedzkowski, dem Leiter der Fußballlehrer-Ausbildung, übrigens noch an einem anderen Projekt: Sie überlegen, wie man die Schulung der Trainer verbessern kann.

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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