DFB:Der blutende Held von Rio

Der Kapitän der Nationalmannschaft beendet seine DFB-Karriere. In Erinnerung bleiben ein junger Kerl mit blondierten Haaren und seine Zweikämpfe im WM-Finale.

Von Jan Geißler

Erstes Länderspiel

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(Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Genau genommen begann Bastian Schweinsteigers DFB-Karriere bereits am 31. Juli 2001. Damals absolvierte der 16-Jährige sein erstes U-18-Länderspiel. Keine drei Jahre später folgte das Debüt im A-Nationalteam. Neun Tage vor Beginn der Europameisterschaft in Portugal wurde der 19-jährige Schweinsteiger, damals noch mit blonden Strähnen, im letzten Test gegen Ungarn zur Halbzeitpause für Andreas Hinkel eingewechselt. Eigentlich ausschließlich Gründe, glücklich zu sein. Blöd nur, dass die deutsche Elf die Generalprobe mit 0:2 verlor und sich kurz vor Turnierstart ordentlich blamierte. Was Mut machte: Nachwuchshoffnungen Philipp Lahm, Lukas Podolski und eben Schweinsteiger. Letzterer hatte kurz vor Schluss sogar die große Chance, direkt im ersten Einsatz sein erstes Tor zu erzielen.

Erstes großes Turnier

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(Foto: Andreas Rentz/Getty Images)

Obwohl er erst ein Länderspiel gespielt hatte, musste der Teenager schon wenige Tage später die Koffer packen - im positiven Sinne: Bundestrainer Völler hatte Schweinsteiger für den EM-Kader nominiert. So groß die Freude darüber gewesen sein dürfte, ähnlich groß war wohl die Enttäuschung, als für die DFB-Elf nach drei enttäuschenden Auftritten in der Vorrunde schon wieder Schluss war. Der negative Höhepunkt: eine 1:2 Niederlage zum Abschluss der Gruppenphase gegen ein mit neun Ersatzspielern angetretenes Tschechien. Auch Schweinsteiger, der im abschließenden Gruppenspiel immerhin 86 Minuten zum Einsatz kam und das Führungstor durch Michael Ballack vorbereitete, konnte das Aus nicht verhindern. Für Völler war das Spiel gegen die Tschechen gleichzeitig nach gut vier Jahren das letzte Spiel als Nationaltrainer. Jürgen Klinsmann und Joachim Löw übernahmen.

Tor-Debüt

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(Foto: Christof Koepsel/Getty Images)

Unter Neu-Trainer Klinsmann entwickelte sich Schweinsteiger beim DFB zum Stammspieler. Von den elf Spielen nach der EM absolvierte er zehn und stand davon sechs Mal in der Anfangsformation. Im Freundschaftsspiel gegen Russland, seinem 15. Einsatz im Deutschland-Trikot, schoss der Münchner sein erstes Länderspieltor. "Die Lausbuben machen Spaß", titelte die Süddeutsche Zeitung nach dem 2:2 kurz vor Beginn des Confed Cups im eigenen Land. Auch bei diesem gehörte Schweinsteiger, der damals noch auf den Außenpositionen zum Einsatz kam, zum Stammpersonal. Mit zwei Treffern hatte er entscheidenden Anteil am dritten Platz. Übrigens: Die einzige Niederlage kassierten die Deutschen im Halbfinale gegen Brasilien (2:3), das einzige Spiel, bei dem Schweinsteiger nicht zum Einsatz kam. Er saß eine Gelb-Sperre ab.

Halbfinal-Aus bei der Heim-WM

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(Foto: Andreas Rentz/Getty Images)

Bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land sollte Schweinsteiger, zu diesem Zeitpunkt noch keine 21 Jahre alt, einer der wichtigsten Spieler der Nationalmannschaft werden. Bis einschließlich zum Viertelfinale stand er immer in der Startformation, gab drei Torvorlagen. Bundestrainer Klinsmann verzichtete im Halbfinale gegen Italien dann aber auf Schweinsteiger, brachte stattdessen den Bremer Tim Borowski. Bis zur 73. Minute dauerte es, ehe Schweinsteiger eingewechselt wurde. Zu spät, um irgendetwas zu bewegen. Am Ende gewannen die Italiener dank Toren von Fabio Grosso und Alessandro Del Piero nach Verlängerung.

Auferstehung im Spiel um den dritten Platz

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(Foto: Alexander Heimann/Getty Images)

Umso beeindruckender dann die Leistung im Spiel um Platz drei: Schweinsteiger kehrte in die Startelf zurück und erzielte beim 3:1-Erfolg gegen Portugal zweieinhalb Tore (dem Eigentor des Portugiesen Petit war ein Schuss von Schweinsteiger vorausgegangen). Nach dem Spiel wurde er von der Uefa zum "Man oft the Match" ausgezeichnet. Am darauffolgenden Tag war von einem "genialen Schweinsteiger" (Marca) oder dem "Ass Bastian Schweinsteiger" (Telegraaf) zu lesen.

Verpatzter EM-Auftakt

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(Foto: Martin Rose/Getty Images)

Schweinsteiger gelang es nicht so richtig, die Euphorie der WM im eigenen Land in die folgenden zwei Jahre zu transportieren. Immer wieder warfen ihn Verletzungen zurück, bis zur Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz verpasste er einige Spiele. Während der ersten beiden Gruppenspiele gegen Polen und Kroatien saß er lange auf der Bank und wurde erst spät eingewechselt. Der eigentliche Tiefpunkt folgte in der 90. Minute des Kroatien-Spiels, als er seinen Gegenspieler aus Frust wegschubste. Die Folge: eine rote Karte und ein Spiel Sperre. Gemeinsam mit Bundestrainer Joachim Löw, der im Österreich-Spiel vom Schiedsrichter vom Feld geschickt wurde, verfolgte der Münchner das letzte Gruppenspiel gegen den Gastgeber (1:0) von der Tribüne aus.

Lieblingsgegner Portugal

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(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Im Viertelfinale wartete - wie schon zwei Jahre zuvor im WM-Spiel um Platz 3 - Portugal auf die deutsche Elf. Schweinsteiger gehörte nach seiner Sperre wieder zur Startelf und zeigte gegen die Portugiesen mal wieder eine seiner besten Leistungen im Nationalteam: ein Tor, zwei Vorlagen. Halbfinale. Dort ging es gegen die Türken, die überraschenderweise ins Halbfinale eingezogen waren. Erneut machte Schweinsteiger ein starkes Spiel. Beim 3:2-Erfolg erzielte er ein Tor. Unvergessen die Feier-Bilder danach mit schwarz-rot-goldenem Hut.

Spanische Spielverderber

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(Foto: Lars Baron/Bongarts/Getty Images)

Die Krönung einer starken EM blieb allerdings aus. Im Finale verlor die DFB-Elf gegen übermächtige Spanier mit 0:1, die nach 44 erfolglosen Jahren wieder Europameister wurden. Schweinsteiger spielte 90 Minuten durch und gehörte laut SZ-Einzelkritik noch zu den besseren Deutschen: "Sehr fleißig, versuchte immer wieder, da aufzutauchen, wo ihn keiner erwartete. Machte den Spaniern viel Arbeit. Kein Fummeln für die Galerie, keine Dummheiten, wie die Kanzlerin sagen würde. Der ehemalige Kinderstar gefiel mit erwachsenem Zweikampfverhalten und vernünftigem Pass-Spiel. Hat allerdings in diesem Turnier schon bessere Freistöße geschlagen, trotzdem einer der besseren Deutschen."

Erstes WM-Finale verpasst

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(Foto: Jamie McDonald/Getty Images)

Auf die Niederlage im EM-Finale 2008 folgte eine ganz souveräne WM-Qualifikation. In zehn Spielen sammelte die DFB-Elf 26 Punkte und qualifizierte sich für das Turnier in Südafrika. Schweinsteiger - inzwischen stellvertretender Kapitän hinter Philipp Lahm - überzeugte als wichtige Stütze und schoss drei Tore. Beim Turnier lief für die deutsche Mannschaft, abgesehen von einem Ausrutscher gegen Serbien (0:1) in der Gruppenphase, alles nach Plan. Durch deutliche Siege gegen England (4:1) im Achtelfinale und im Viertelfinale gegen Argentinien (4:0) zog die DFB-Elf in die Vorschlussrunde ein. Der Gegner dort: erneut Spanien. Und erneut unterlagen die Deutschen mit 0:1. Schweinsteiger wurde anschließend ins All-Star-Team gewählt und als einer von zehn Spielern für den "Goldenen Ball" als bester Spieler des Turniers nominiert. Er ging allerdings leer aus. Nach einem Sieg gegen Uruguay (im Bild) blieb den Deutschen der dritte Platz.

Gebrochener Mann

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(Foto: Getty Images)

Kapselverletzung, Zehenbruch, Schlüsselbeinbruch, Außenbandriss im Sprunggelenk: Die Zeit bis zur Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine war für Schweinsteiger vor allem geprägt von Verletzungen. Der Routinier absolvierte lediglich fünf der zehn Qualifikationsspiele, von elf Freundschaftsspielen gar nur vier. Und dennoch kehrte er rechtzeitig zum Turnierbeginn in die Mannschaft zurück. Die DFB-Elf spielte sich abermals bis ins Halbfinale vor, scheiterte dort jedoch erneut. Dieses Mal erwiesen sich die Italiener rund um Mario Balotelli, der beide Treffer beim 2:1-Erfolg der Squadra Azzura erzielte, als zu stark. Schweinsteiger, der im Turnierverlauf alle fünf Begegnungen über die volle Distanz auf dem Platz gestanden hatte, aber weitestgehend unsichtbar blieb, erinnerte an einen gebrochenen Mann. Bereits kurz vor dem Turnier hatte er mit dem FC Bayern das "Finale dahoam" gegen den FC Chelsea verloren. Er verschoss den entscheidenden Elfmeter.

Brasilien-Tourist

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(Foto: Michael Steele/Getty Images)

Die großen Verletzungssorgen wurden nicht weniger. Zwischen der EM 2012 und der WM 2014 in Brasilien stand der Münchner - inzwischen eben Ende 20 und nicht mehr Anfang 20 - lediglich sieben Mal im Kader von Joachim Löw. Den Schweinsteiger, der einmal monatelang ohne gesundheitliche Probleme durchspielte, gab es lange nicht. Aber auch ohne den Routinier hatte die deutsche Mannschaft keinerlei Probleme, sich ihren Startplatz für die Weltmeisterschaft in Brasilien zu sichern. Doch auch bei dieser WM schien der Münchner Form und Fitness rechtzeitig wiederzufinden. Anfangs noch von der Bank kommend, ...

Final-Held

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(Foto: Nelson Almeida/AFP)

... spielte er sich mit fortschreitender Turnierdauer in die Anfangsformation. Seinen ganz großen Auftritt sollte er im Finale gegen Argentinien haben. Nach drei verlorenen Halbfinals (2006, 2010 und 2012) sowie der Final-Niederlage 2008 war Schweinsteiger der große Wille anzumerken, endlich einen großen Titel mit der Nationalmannschaft zu gewinnen. Auch fiese Nicklichkeiten und eine blutende Wunde im Gesicht hielten ihn nicht auf.

Die Krönung

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(Foto: Getty Images)

Der Münchner lieferte eine "heroische Leistung" und wurde belohnt. Die DFB-Elf bezwang die Argentinier dank des Tores von Mario Götze in der 113. Minute. "Jetzt wird gefeiert", sagte Schweinsteiger nach der Pokalübergabe, die deutsche Fahne um die Hüften gebunden. Für ihn war es ein langer Weg. Zehn Jahre musste er für die Nationalmannschaft spielen, ehe er endlich den ersten Pokal in den Händen halten durfte. Zehn Jahre, die sich ausgezahlt hatten.

Neuer Kapitän

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(Foto: Bongarts/Getty Images)

Mit dem Gewinn der WM in Brasilien endete auch die Zeit von Kapitän Philipp Lahm im DFB-Dress. Der langjährige Spielführer entschied sich genauso wie Per Mertesacker und Miroslav Klose dazu, seine Karriere in der Nationalmannschaft zu beenden. Die logische Folge: Bastian Schweinsteiger wurde zum neuen Kapitän befördert. Das erste Mal ganz offiziell sollte er die Kapitänsbinde im EM-Qualifikationsspiel gegen Georgien tragen. Deutschland gewann 2:0. Und verbuchte drei Punkte auf dem Weg nach Frankreich, wo die Europameisterschaft 2016 stattfinden sollte.

Sprint des Lebens

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(Foto: AFP)

Auch der Weg zur Europameisterschaft nach Frankreich war wieder einmal geprägt von zahlreichen Verletzungen: Schweinsteiger verließ im Sommer 2015 den FC Bayern und wechselte zu Manchester United. Dort kam er nicht über 18 Saisoneinsätze hinaus. Diverse Knieverletzungen zwangen ihn immer wieder zum Zuschauen. Aber Schweinsteiger wäre nicht Schweinsteiger, hätte er es doch nicht wieder rechtzeitig zum Turnierbeginn geschafft. Bereits im ersten Gruppenspiel gegen die Ukraine bekam er von Bundestrainer Joachim Löw ein paar Minuten Einsatzzeit. Er dankte es mit einem Treffer, dem ein Sprint über den ganzen Platz vorausgegangen war.

Die Unglückshand

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(Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images)

Die DFB-Elf spielte sich bis ins Halbfinale. Die Vorrunde war kein Problem, die Slowakei im Achtelfinale auch nicht und im Viertelfinale bezwangen die Deutschen Italien nach Elfmeterschießen. Im Halbfinale wartete schließlich Gastgeber Frankreich. Die deutsche Mannschaft zeigte ihr bestes Spiel im Turnierverlauf, schied aber dennoch aus. Der tragische Held: Bastian Schweinsteiger, der kurz vor der Pause einen Handelfmeter verursachte. Im letzten seiner 120 Länderspiele, wie jetzt bekannt wurde. Eine Ära geht zu Ende, die mit dem WM-Titel in Brasilien ihren Höhepunkt erlebte.

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