DFB-Chef Theo Zwanziger:Inquisition statt Moderation

In der Affäre Amerell/Kempter hat DFB-Chef Theo Zwanziger dem Ansehen des Verbandes und des deutschen Fußballs massiv geschadet. Er sollte die Konsequenzen daraus ziehen.

Ludger Schulze

DFB-Präsident Theo Zwanziger hat vor einigen Tagen erklärt, er werde umgehend zurücktreten, falls sein Verband den Prozess gegen den Schiedsrichter-Beobachter Manfred Amerell verliere. Der Prozess vor dem Münchner Landgericht kam gar nicht zustande, dafür aber ein Vergleich, der für den Deutschen Fußball-Bund beinahe schlimmer ist als eine Niederlage vor dem Richter.

Man habe den Fall, so hatte Zwanziger unlängst getönt, "transparent, aber mit der nötigen Vertraulichkeit gelöst". Und er, Zwanziger, habe alles im Griff. Das Resultat des Vergleichs: Niemand hat irgendetwas im Griff, schon gar nicht Zwanziger, die Sache geht jetzt erst recht vor Gericht, Amerell wird gegen vier Schiedsrichter klagen, von denen ihn drei gegen Zusicherung der Anonymität gegenüber dem DFB der sexuellen Nötigung bezichtigen hatten. Nun werden ihre Namen im Laufe des Prozesses zwangsläufig in die Öffentlichkeit getragen.

Wer sich dem Präsidenten des größten Sportverbandes der Welt in einer überaus delikaten Angelegenheit mit der Bitte um Stillschweigen anvertraut, muss demnach damit rechnen, dass sein Name in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Der vollmundig propagierte Vorrang des Persönlichkeitsschutzes ist geopfert worden, damit der Präsident und sein Verband ihr Gesicht wahren.

Amerell drückte es im Fernsehen drastischer aus: Zwanziger habe "die Betroffenen ans Messer geliefert". So, wie den jungen Referee Kempter, der unter Hilfestellung des DFB einem Millionenpublikum in großen Interviews schlüpfrige Details einer sexuellen Nötigung preisgab, die allem Anschein nach eine Liebesaffäre war.

Das hätten Zwanziger und sein DFB leicht selbst in Erfahrung bringen können, hätten sie den vorgeblichen Täter Amerell nur sachgerecht befragt. Doch Zwanziger, einst Verwaltungsrichter in Koblenz, hat offenkundig einen der ältesten Rechtsgrundsätze unserer Kultur missachtet: et audiatur altera pars - man höre auch die andere Seite.

Statt als Moderator aufzutreten, gab der Präsident den Inquisitor. Zwanziger, der sich gerne als moralische Instanz im Kampf gegen Rassismus, Chauvinismus, Diskriminierung und auch Homophobie feiern lässt, hat aus Borniertheit und Realitätsverlust eine Art Selbstjustiz verfolgt und, wie es aussieht, dabei gleich mehrere Existenzen so gut wie vernichtet.

Manfred Amerell, der im übrigen völlig zu Recht nichts mehr in der Schiedsrichterei verloren hat, äußerte zwischenzeitlich sogar Suizidgedanken, weil sein Ruf unwiederbringlich zerstört ist. Michael Kempter wird niemals mehr als Schiedsrichter tätig sein (dafür dürfte schon der FC Bayern sorgen, auf dessen Ausscheiden im Europapokal der zur Objektivität verpflichtete Kempter - laut einer E-Mail - anstoßen wollte).

Schlimmer aber ist, dass als Konsequenz der erratischen Vorgehensweise des DFB privateste Dinge in Form intimer Mails in die Öffentlichkeit gerieten, die Kempter menschlich und wohl auch beruflich aufs Schwerste beschädigen. Und seine Kollegen, denen Verschwiegenheit zugesichert war, müssen mit einem baldigen Termin vor Gericht rechnen.

Theo Zwanziger, der in den ersten Jahren seiner Amtsführung ein glänzender Präsident war und zu Recht hohes Lob erhielt, ist irgendwann vom Bazillus der Selbstüberschätzung infiziert worden. Er hat Übersicht und Selbstkontrolle zuletzt in mehreren Fällen verloren: In einem aussichtslosen Rechtsstreit mit einem Journalisten, der ihn einen "unglaublichen Demagogen" nannte, instrumentalisierte er sein Präsidentenamt - und unterlag immer wieder vor Gericht.

Den geachteten DFB-Mediendirektor Harald Stenger entmachtete er zu Jahresanfang nach Gutsherrenart - seitdem arbeitet die Kommunikationsabteilung des Verbandes, wie die Sache Amerell zeigt, mal konfus, mal selektiv. Zwanziger selbst bevorzugt Bild als amtliches Mitteilungsblatt. Auch in der Causa Löw/Bierhoff gerieten ständig Interna in die Schlagzeilen dieser Zeitung. Dass der Präsident seine leitenden Angestellten Joachim Löw und Oliver Bierhoff durch ein 48-Stunden-Ultimatum zur Vertragsverlängerung zu seinen Bedingungen zwingen wollte, wirft ein Licht auf den Führungsstil.

Der Fall Amerell aber bringt das Fass zum Überlaufen. Zwanziger und seine beiden in die Vorgänge eingeweihten Verbands-Helfer, Generalsekretär Wolfgang Niersbach und dessen Stellvertreter Stefan Hans, haben dem Ansehen des Deutschen Fußball-Bundes und, wenn man so will, dem des deutschen Fußballs insgesamt geschadet. Die Stimmen mehren sich, dass sie Konsequenzen daraus ziehen sollten.

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