Süddeutsche Zeitung

DFB-Affäre:Spitzenjob statt Superärger

DFB-Interimschef Rainer Koch macht eine Eingabe wegen "Verleumdung" gegen die Frauen-Reformgruppe "Fußball kann mehr". Die betroffene Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb muss in dem Streit keine Rücksicht mehr nehmen.

Von Thomas Kistner

"Richtig mutig" fühle sie sich gerade, sagte die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb, 42, am Donnerstag der SZ. Die erste Frau, die Spiele im deutschen Profifußball der Männer leitete, außerdem ein WM-Finale und ein Olympia-Finale bei den Frauen - sie unternimmt nun einen Schritt, den sie sich bis vor Kurzem selbst nicht zugetraut hätte. Steinhaus-Webb wird Direktorin der englischen Women's Super League, der finanzstärksten Frauen-Liga der Welt. Sie tritt dort eine neu geschaffene Stelle an, um das Schiedsrichterwesen zu professionalisieren - Schulungen, strategische Ausrichtung, Trainingssteuerung, Nachwuchssichtung und vieles mehr.

Im März hatte die Women's Super League mit den Sendern BBC und Sky Sport einen Millionendeal abgeschlossen, nun soll sie weiterentwickelt werden, und dass die Vorzeigefrau der deutschen Schiedsrichterei dort einen unbefristeten Direktorenvertrag erhält, samt Sitz bei der FA im ehrwürdigen Wembley-Stadion, sagt nicht nur viel über das Ansehen aus, das Steinhaus-Webb international genießt.

Es wirft auch einen Schatten auf die deutschen Zustände. Denn beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) führte der Karriereweg für Steinhaus-Webb bloß in den Kölner Videokeller - und in die unschönen Verstrickungen jener Ethikverfahren, die derzeit rund um den Interimspräsidenten Rainer Koch ablaufen.

Die neueste Folge in der Seifenoper um den DFB: Rainer Koch hat bei der hauseigenen Ethikkommission eine Eingabe gegen die Frauen-Initiative "Fußball kann mehr" gemacht, in der sich auch Steinhaus-Webb weiter engagieren wird. Nach SZ-Informationen moniert der Interimsboss in seiner Eingabe Darstellungen, wonach er sich unangemessen und ethisch fragwürdig gegenüber Steinhaus-Webb verhalten habe. Es ist eine Art Retourkutsche, nachdem die für Reformen im DFB werbende Gruppe Anfang Juni eine Eingabe gegen Koch gemacht hatte, weil der unangemessenen Druck auf das Mitglied Steinhaus-Webb ausgeübt haben soll.

So kreiselt der Koch-DFB weiter um sich selbst - denn was Koch nun in Abrede stellt, das hatte die Ethikkommission sogar selbst schon schriftlich an die Schiedsrichterin übermittelt: dass sich der Interimsboss ihr gegenüber unangemessen verhalten habe. Konkreter Aufhänger war damals ein Telefonat, in dem Koch die damalige DFB-Angestellte Steinhaus-Webb, ohne vorher deren Zustimmung eingeholt zu haben, telefonisch mit einem Journalisten zusammengeschaltet hatte - und sie, derart überrumpelt, zu Dementis drängen wollte.

Wie ernst zu nehmen ist das DFB-Ethikgremium noch?

Die Geschichte führt mitten rein in die immer absurderen Vorgänge beim deutschen Dachverband und die Chronique scandaleuse um das DFB-Ethikergremium. Die Feststellung zum Fall Koch/Steinhaus war nämlich noch von der alten Ethikkommission getroffen worden - kurz bevor diese von Kochs Präsidium Mitte Juni unter skandalösen Umständen gesprengt wurde. Offiziell weitergeleitet wurde die Einschätzung dann von der Nutznießerin dieser verbandsinternen Intrige: Irina Kummert, die neue Gremiumschefin, hatte Steinhaus-Webb Ende Juni schriftlich mitgeteilt, das Koch-Verfahren könne nach Beschlusslage der alten Kommission eingestellt werden. Und, so steht es da wörtlich: dass die Ethiker Kochs überrumpelnde Dreier-Telefonrunde "als unangemessen und ethisch nicht vertretbar" bewertet hätten. Dieses Verdikt steht seither im Raum.

Steinhaus-Webb als Betroffene und die Frauen-Initiative als Anzeigenstellerin hatten der neuen Kummert-Kommission dann jeweils mitgeteilt, dass sie die Angelegenheit Koch/Steinhaus entgegen ihrer ursprünglichen Eingabe nicht mehr weiterbetreiben wollen - explizit wegen mangelnden Vertrauens in das neu zusammengebastelte DFB-Ethik-Gremium. Darauf hatten sie nie eine Antwort erhalten. Aber nun, Überraschung: die Aufforderung des neuen Ethik-Stabes, sich zu dem Vorwurf zu äußern, sie hätten angeblich Rainer Koch verleumdet.

Der Vorgang lässt den Vertrauensverlust der Frauen-Initiative in die neuen Ethiker nun in besonderem Licht erscheinen. Und wirft die Frage auf: Wie ernst zu nehmen ist das DFB-Ethikgremium noch?

Es war ja die ursprüngliche Anzeige der Frauen gegen Koch von Anfang Juni, die erst zu Befragungen aller Beteiligten geführt hatte - und die dann offenbar über Nacht in der DFB-Spitze das überfallartige Bedürfnis auslöste, das vierköpfige Ethiker-Gremium umzukrempeln! Dort hatte sich immer deutlicher eine Drei-gegen-eins-Konstellation herausgebildet: Der kommissarische Vorsitzende Bernd Knobloch, die Kriminalexpertin Birgit Galley und Nikolaus Schneider, der langjährige Vorsitzende der Evangelischen Kirchen in Deutschland, vertraten wiederholt andere Positionen als die erkennbar näher an den Interessen der DFB-Spitze lavierende Personalberaterin Kummert.

Die Wunschkandidatin von Koch und Co. leistet sich den ersten Fauxpas

Kaum lagen dann der alten Ethikkommission Anfang Juni die Frauen-Eingabe sowie ein weiterer, inhaltlich brisanterer Antrag des vormaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel gegen Koch vor, wurden plötzlich - und dezidiert einzeln - alle vier Mitglieder angefragt, ob sie für den Ethikvorsitz kandidieren wollen. Der sollte nun schon am 16. Juni neu besetzt werden. Es kandierten Knobloch, Schneider und die zunehmend isolierte Kummert. Kurz vor der Abstimmung im Präsidium wurden den Wahlleuten dann teils falsche, teils irreführende Sachverhalte zu Schneider und zu Knobloch aufgetischt. Und voilà: Wenig später war die Personalberaterin mit 7:5 Stimmen gekürt.

Die Kommission zerbrach daran. Das hatten Knobloch und Galley der DFB-Spitze schon zuvor angekündigt. Gemeinsam mit Schneider traten sie unter Protest zurück. Für Kummert kein Problem: Die Wunschkandidatin von Koch und Co. bastelte flott einen neuen Stab zusammen. Zugleich leistete sich die Personalberaterin den ersten Fauxpas, indem sie Steinhaus-Webb einen angeblichen Verfahrensstand zuleitete, den die alte Kommission so aber nie beschlossen hatte. Zutreffend in Kummerts Schreiben war allerdings die Feststellung, Koch habe sich gegenüber Steinhaus-Webb "unangemessen und ethisch nicht vertretbar" verhalten. Dass dies so festgehalten worden sei, bestätigen auf SZ-Anfrage zwei damalige Kommissionsmitglieder.

Und nun also die nächste Volte: Nun geht Rainer Koch bei Kummerts neuer Ethik-Combo gegen die Frauengruppe vor. Auf SZ-Anfrage dementierte Kummert dieses Verfahren am Freitag nicht, sie teilte nur mit, ihr Gremium nehme "gegenüber der Presse nicht dazu Stellung, ob, von wessen Seite und gegen wen uns Eingaben vorliegen". Durchaus spannend - und von Koch womöglich nicht hinreichend bedacht: Der Vorgang bringt alle Akteure aufs Feld zurück.

Jetzt müsste das DFB-Sportgericht eine Untersuchung eröffnen; aus Kreisen der kaltgestellten Ex-Ethiker heißt es, dies sei auch beantragt worden. Es wäre nach all dem Theater sehr erhellend - aber auch brisant: Dann stünden nicht nur Koch und die "Fußball kann mehr"-Anführerin Katja Kraus, sondern auch die ausmanövrierten Aufpasser Schneider, Galley und Knobloch als Zeugen parat. Denen hatte Koch sein Verhalten gegenüber der Schiedsrichterin ja bereits geschildert, seine Aussage ist dokumentiert.

Steinhaus-Webb kehrt dem aktuellen DFB den Rücken

Und dann ist da noch Bibiana Steinhaus-Webb. Sie hatte sich in der Sache bisher auf grundsätzliche Aussagen beschränkt und war alles in allem vage geblieben. Das muss sie jetzt nicht mehr - die Schiedsrichterin hat den Dienst im DFB ja quittiert. Rücksichten sind obsolet, und Steinhaus-Webb hat nach eigenem Bekunden die Nase voll von den Ränkespielen in der nationalen Fußball-Landschaft.

Für Steinhaus-Webb, die sich als "bodenständige Niedersächsin" beschreibt und seit 2016 mit dem ehemaligen englischen Spitzenschiedsrichter Howard Webb verheiratet ist, ist der Schritt nach England die Konsequenz aus vielen Erkenntnissen und Hemmnissen der vergangenen Monate, nicht nur aus der Koch-Affäre. Dass diese aber nun wieder hochkocht, ist eine Bestätigung mehr für ihre Entscheidung.

Der Frauen-Reformgruppe will sie auch als englische Topmanagerin erhalten bleiben, dem aktuellen DFB kehrt sie den Rücken. Aber: Falls das Sportgericht sie vorlädt, werde sie dort aussagen, erklärt sie. "Ich bin Polizeibeamtin. Ich komme meiner Bürgerpflicht nach."

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