DFB:Bewährung ohne Badehose

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WM-Auftakt gegen Mexiko, Endstand 0:1 – Bundestrainer Löw in einer Art Schockstarre.

(Foto: Peter Schatz/imago)

Bundestrainer Jogi Löw analysiert das Scheitern bei der WM, aber er weiß: Ein Abstieg in der Nations League könnte dennoch seinen Abschied bedeuten.

Von Moritz Kielbassa, Christof Kneer und Philipp Selldorf

Deutschland hatte sich an diese Bilder längst gewöhnt: Jogi Löw mit Boxershort und Sonnenbrille, Jogi Löw mit Sonnenbrille und Boxershort. Wie Angelas Merkels Urlaubsbilder mit Wanderstock aus Südtirol, so gehörten Löws Urlaubsbilder aus Sardinien stets zur Sommerlektüre der Deutschen. In Zeitungen mit großen Buchstaben gab es dazu kurze Bildzeilen wie "unser cooler Bundesjogi", manchmal war er auch nicht cool, sondern lässig. Und diesen Sommer nun plötzlich das: ein immer noch lässiger Jogi, der immer noch sein beachtlich enges T-Shirt von der WM trägt - aber im Hintergrund, ganz deutlich: kein Meer. Stattdessen: ein Parkplatz in Frankfurt, daneben Dienstautos. Löw mit Handy und Aktentasche, ohne Sonnenbrille, und im Begleittext ein Zitat des DFB-Pressesprechers: "Mitten in der Arbeit" sei Löw samt Trainerstab und Manager Oliver Bierhoff, es sei "nicht das erste und nicht das letzte Treffen". Aber was genau wird analysiert, was geht vor im Bundestrainerkopf nach dem WM-K.o?

Die Macht der Bilder

Es geht der Nationalmannschaft nicht gut, wenn es solche Bilder braucht. Die Fans sind ja vom Glauben abgefallen bei der WM in Russland, sie konnten die Mannschaft nach dem Vorrunden-Aus nicht mehr sehen, selbst den netten Bundesjogi wollen die Menschen laut Umfragen mehrheitlich nicht mehr. Das Gefühl der Zuschauer war: zu bequem der ganze Laden, luxusverwahrlost. Deshalb muss der DFB seinen Jogi jetzt als harten Arbeiter inszenieren, wenn auch im lässigen Outfit.

Was solche Bilder-Offensiven anbetrifft, sind sie beim DFB ohnehin in der Bringschuld: Präsident Reinhard Grindel hat den Verband vor der WM ja ohne Not in die Defensive gebracht, indem er dem bis 2020 gebundenen Coach einen neuen Vertrag bis 2022 aufdrängte. Ein populistischer Akt, der den Verband bereits teuer zu stehen kam, weil somit das naheliegendste Instrument nach der WM nicht benutzt werden konnte: Den Trainer konnte man schwer entlassen, ohne unglaubwürdig zu werden - und eine hohe Abfindung zu zahlen. So versucht der Verband nun demonstrativ Stärke zu zeigen: Die DFB-Spitze hatte Löw schon auf dem Heimflug aus Moskau erklärt, dass er diesmal zügig seine Zukunft klären muss - und nicht erst ein paar Wochen abtauchen kann in einem sardischen Schneckenhaus oder einer Düne auf Sylt, wie nach der bitter beendeten EM 2012. Und dass es diesmal dringend Arbeits- statt Urlaubsbilder braucht.

Trainer-Dino im Abstiegskampf

Tatsächlich weist ein Blick in Löws Terminkalender auf ungeahnte Dramatik hin: Am 6. September empfängt die DFB-Elf in München Frankreich, und die Fallhöhe der Veranstaltung ergibt sich nicht nur daraus, dass hier der entthronte gegen den frisch gekürten Weltmeister spielen wird. Die Tücke steckt im Format: Die neu gegründete Nations League, in der Branche bislang belächelt oder ignoriert, setzt Löw sofort unter Erfolgs- und Lieferdruck. Der neue Uefa-Wettbewerb wird mit 55 Teilnehmern in vier Ligen ausgespielt, die Deutschen wurden in der höchsten Division in einen Dreierpool mit Frankreich und Holland gelost. Und wer nach Hin- und Rückspielen Letzter ist, steigt ab in die Division B - angesichts der beiden Gegner ein nicht komplett abwegiges Szenario.

"Abstieg", das ist ein großes, schweres Wort, es klingt eher nach HSV als nach Nationalelf. Es klingt so groß und schwer wie "WM-Vorrunden-Aus" - und beim DFB sind sie der Meinung, dass zwei Misserfolge dieser Art in so kurzer Zeit des Schlechten zu viel wären. Ein Abstieg in die Division B würde Löw im November wohl doch den Job kosten, in diesem Fall sei Löw "nicht mehr zu halten", hört man aus unterschiedlichen Verbandsquellen - zu belastet wäre dann der Ex-Weltmeistertrainer, um mit ihm als Lame Löw in die Qualifikation zur EM 2020 zu ziehen. Löw kennt diesen Notfallplan, er weiß, dass er im Herbst nicht weiter patzen darf - was dazu führen dürfte, dass er mit gestrafftem Körper und Geist die nächsten Wochen angeht.

Denn Trotz als Motor hat sich bei Löw bewährt: Als er nach dem vercoachten Halbfinale der EM 2012 heftig in der Kritik stand, fühlte er sich so provoziert, dass er bei der WM 2014 in Brasilien seine klarste, pragmatischste und bisher beste Trainerleistung abgerufen hat - Titel inklusive.

"Tief greifende Maßnahmen"

Löw weiß: Ein "Weiter so" geht nicht. Aber wie und wo muss renoviert werden? Punkt eins: den Staff verschlanken! Beim Scouting stellte sich in Russland heraus: Zu viele Späher verderben den Matchplan. Als Auftaktgegner Mexiko auf Defensive und Konter setzte und nicht, wie von Löws Spionen erwartet, auf frühes Pressen, fanden weder der Trainer noch seine Spieler taktische Antworten. Generell, sagen Insider, sei Löw eher genervt, wenn ihm, wie in Russland, von zu vielen Leuten kakofonisch zu viel eingeflüstert werde: "Das mag der Jogi gar nicht!" Dass sein Schweizer Vertrauter Urs Siegenthaler, der Guru unter den DFB-Scouts, weiter mitmischen darf, ist zum Beispiel eher unwahrscheinlich.

Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt gab am Freitag in einer DFB-Mitteilung seinen Abschied als Arzt der Nationalmannschaft bekannt.

Auch im Trainerstab sind Veränderungen nicht ausgeschlossen. Bierhoff hingegen bleibt für Löw der wichtigste Partner, das hat der Trainer beim ersten Analyse-Treffen mit der DFB-Spitze klar bekundet. Die Wahl des WM-Quartiers Watutinki, das der Strandpromenadenfan Löw in jedem Katalog überblättert hätte, hat das Verhältnis des Duos nicht nachhaltig belastet. Als denkbar gilt, dass der nun auch für Großprojekte wie den neuen DFB-Campus zuständige Verbandsdirektor Bierhoff sich für die Arbeit im A-Team noch einen Sportfachmann an die Seite holt. Löws früherer Assistent Hansi Flick wäre frei und für vieles offen, der DFB favorisiert diese Personalie aber offenbar nicht, weil Flicks Abschied als Sportdirektor des Verbandes nicht allerherzlichst ablief. Aber generell belässt das DFB-Präsidium die Hoheit über Personalentscheidungen der A-Elf bei Löw und Bierhoff. Wen sie wollen, würden sie kriegen - auch Flick, den sich Löw als Rückkehrer für den Trainerstab vorstellen könnte.

Baustelle Mannschaft

Das Allerwichtigste auf der To-do-list jedoch: Löw muss seinen Spielerkader straffen. Weniger Treueherzen für Rio-Weltmeister, mehr Dynamik im Team, neue Hierarchien! Zwar ist bei Einzelfallbetrachtung keiner der Plusminusdreißiger wie Boateng, Hummels, Khedira, Müller, Özil, Kroos an einem Punkt, an dem das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Aber klar scheint auch zu sein: Alle gemeinsam weiter auf dem Rasen geht irgendwie nicht. Aufgehört hat offiziell niemand, auch beim Erdogan-Foto-belasteten Mesut Özil rechnet der DFB zwar mit Publikumspfiffen im Herbst, aber nicht mit Rücktritt. Der in Russland enttäuschende Routinier Sami Khedira rechnet laut eines Vertrauten allerdings damit, für die kommenden Länderspiele erst mal nicht mehr nominiert zu werden. Eine Option wäre, Joshua Kimmich von der rechten Außenspur in eine zentrale Mittelfeldrolle zu versetzen. Doch der Münchner hat dasselbe Luxusproblem wie einst Philipp Lahm: Beim FC Bayern und in der Nationalelf gibt's keinen Besseren für rechts hinten - das Kernproblem für Löw in Russland war allerdings die poröse Mittelfeldzentrale. Generell wäre mehr Leistungsprinzip und weniger Loyalität klüger gewesen, auch das ist Löw inzwischen bewusst. Und bei allen Verdiensten: Dass gleich drei Spieler nach mehr oder weniger langen Verletzungsepisoden gesetzt waren (Neuer, Boateng, Özil), dazu Reus mit noch reduzierter Fitness, war fürs Klima im Team problematisch. So weiß Löw, dass er jetzt auch jene Spieler stärken muss, die 2017 den Confed-Cup gewannen, etwa Leon Goretzka, Julian Brandt, Niklas Süle oder Emre Can. Löw will vermeiden, dass man seine Startelf künftig schon drei Monate vorher kennt. Und natürlich zählt neben möglichen Newcomern wie Kai Havertz (Leverkusen) oder Philipp Max (Augsburg) auch der vor der WM rätselhafterweise heimgeschickte Leroy Sané zu den Zukunftsjokern.

Die sportliche WM-Analyse

Achtung, kein Scherz: Deutschland weist laut Datenanalyse in der Vorrunde die zweitbeste Laufleistung aller 32 Teams aus. Aber auch Löw hat gemerkt, dass es an Geschwindigkeit mangelte: zu wenig Speedpässe und Sprints in die Tiefe, kein Esprit beim Spiel ins Heck der Gegnerabwehr - und die größte Temposünde der DFB-Elf: das mangelhafte Umschalten auf Abwehr bei Kontern des Gegners.

Löws Schnellanalyse der WM hat nun ergeben, dass die besten Teams "zweigeteilt" agierten. Vereinfacht gesagt: Die offensiven vier, fünf Topspieler von Frankreich oder Belgien waren so gut und zielstrebig, dass fünf andere Spieler sich um die Absicherung nach hinten kümmern konnten. Nach Löws Deutung fehlten seiner Elf ausreichend flinke Außenangreifer der Güteklasse Mbappé oder Hazard sowie Stoßstümer wie Kane oder Lukaku. Deshalb waren oft sieben, acht Spieler, inklusive der Außenverteidiger, hoch aufgerückt ins Offensivspiel einbezogen. Bittere Folge: Bei Ballverlust standen die Innenverteidiger Hummels und Boateng oft allein gegen die Konterwellen, und hinter den Außenverteidigern taten sich für die Gegner wunderschöne Grünflächen auf.

Eine weitere schmerzhafte Erkenntnis: Trotz Millionen begabter Fußballer hatte Deutschland bei der WM keinen autoritären defensiven Sechser wie Kanté oder Casemiro (oder wie den smarten, trotzdem kampfbereiten Schweinsteiger 2014) - und auch keinen Knipser aus der guten, alten Mittelstürmerschule. Von 69 deutschen Torschüssen, in drei Spielen ein sehr guter Wert, fanden nur zwei ins Ziel.

Löw weiß, dass er nun mehr auf hochtourige Spieler als auf Breitbandfußballer setzen muss. Jahrelang galt für ihn Spaniens dominantes Pass-Spiel als Heiligtum. Zwar muss Löws verehrter Ballbesitzfußball nicht beerdigt werden, aber Ballkreiseln als Selbstzweck führt ins Nichts - und in keiner Bibel für Tiki-Taka steht, dass man bei Ballnichtbesitz schlecht organisiert verteidigt. Gegenpressing war bei der DFB-Elf in Russland kaum zu erkennen, selbst wohlwollende Insider wundern sich, dass seit 2016 keine Fortentwicklung des Spielstils erkennbar wurde. "Ich sehe auf dem Feld nicht, woran die gearbeitet haben", sagt ein sehr wohlwollender Experte. Und Löw hat wohl auch eingesehen: Ohne Plan B wird kein Neuanfang gelingen.

Schwingungen und Betriebshygiene

Medial viel diskutiert seit dem WM-Aus wurden atmosphärische Störungen innerhalb des Teams. Intern wurde der Bonus der Etablierten skeptisch beäugt, und wenn Hummels warnte oder Kroos mahnte, dachten viele Mitspieler: Bringt erst mal selber Leistung! Eine über alle Zweifel erhabene Autorität fand sich nicht. Die beiden Abwehrchefs, Hummels und Boateng, sollen sich sogar herzlich abgeneigt sein. "Hätten Mats und Jérôme richtig zusammengearbeitet, hätten sie eine wahnsinnige Waffe sein können", sagt einer, der die Teamkabine kennt. Wofür Löw nichts konnte: Alle Bayern-Spieler steckten nach Champions-League-Aus und blutleer verlorenem Pokalfinale in einem mentalen Loch. Wofür Löw durchaus etwas konnte: Alle Bayern-Spieler blieben auch nach vielen Wochen Vorbereitung im selben Loch.

Nie fand die Elf zur Gier von 2014, weder auf dem Platz noch außerhalb. Im Camp in Watutinki wurde lieber im Zimmer gesurft, bis der DFB das Internet abdrehte. Privatfriseure flogen ein, Filmaufnahmen wurden geduldet. Es fehlte das Commitment fürs gemeinsame Ziel, und es fehlten eben die Integrationsfiguren wie 2014 in Brasilien, als Schweinsteiger, Lahm, Klose und Mertesacker sich, durchaus kontrovers diskutierend, um die innerbetriebliche Hygiene verdient machten.

Jogis Selbstbild

Seit 2014 wirkte Löw lässig über den Dingen schwebend, und auch da gilt die alte Fußballweisheit: Jede Mannschaft ist das Spiegelbild ihres Trainers. Wenn Löw Lust hatte auf Guten-Morgen-Szenen am Strand wie vor dem Schweden-Spiel in Sotschi, dann posierte er da halt. Löw, so ist zu hören, sei durchaus bewusst, dass er an seiner Außendarstellung feilen muss. Es ist zwar eine Illusion, von einem 58-Jährigen einen radikal neuen, autoritären Führungsstil zu fordern, wie es Lahm soeben anregte; da wäre Löw schnell unglaubwürdig. "Ich finde das in der Art und Weise nicht richtig", sagte Löw am Freitag selbst zur Lahm-Kritik. Aber mehr Einfluss auf Spieler und Taktik nehmen und im Wettkampf aktiver coachen: Das wird jetzt erwartet. Ebenso, dass sich Löw in Konflikte wie die Fotoaffäre Erdogan/Özil/Gündogan stärker einmischt - und sich nicht auf die Rolle des Sportlehrers zurückzieht.

Dies ist also der Gesamteindruck, der nach der WM-Analyse hängen geblieben ist: Löw hat seinen Spielern die reduzierte Körperspannung vorgelebt. "Die entscheidende Frage ist", sagt ein prominenter Bundesligatrainer, "ob Jogi in Zukunft wieder brennt - und das auch ausstrahlt."

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