DFB-Elf gegen Argentinien:Provokante Fragen und ein Schreihals

Lesezeit: 3 min

  • Die DFB-Elf zeigt beim 2:2 gegen Argentinien gute und weniger gute Ansätze.
  • Vor allem der Leverkusener Kai Havertz spielt sich in den Vordergrund.
  • Das Publikum im Westfalenstadion weist einen Spinner zurecht.

Von Martin Schneider, Dortmund

Es schien ein schlechter Scherz zu sein, als kurz vor Anpfiff die Nachricht über die Smartphones lief, dass nun auch noch Niklas Stark ausfallen würde. Niklas Stark, Innenverteidiger von Hertha BSC, sollte nach zwei einsatzminutenlosen Reisen zur Nationalelf sein Startelfdebüt bekommen und dann musste er mit Magen-Darm-Problemen im Hotel bleiben. Starks Ausfall sorgte dafür, dass sich die Zahl der Ausfälle auf 13 erhöhte und die stattliche Zahl von drei ganzen Feldspielern auf der Bank Platz nahmen - also knapp mehr als die Zahl der Ersatztorhüter. Auf dem Feld gab für Stark Robin Koch vom SC Freiburg in der Mitte der Dreierabwehrkette sein Debüt dazu Stürmer Luca Waldschmidt, später kamen Suat Serdar und Nadiem Amiri ins Spiel.

Man kann also ohne große hellseherische Fähigkeiten behaupten, dass diese Nationalmannschaft in dieser Besetzung niemals wieder zusammenspielen wird. War also an diesem 2:2 gegen Argentinien alles für die Katz? Nein, ein bisschen was kann man ja aus jedem Abend lernen.

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Da war zum Beispiel eine Szene vor Anpfiff. Es gab eine Schweigeminute, um der Opfer des rechtsextremen Anschlags von Halle zu gedenken. Ein Spinner fing nach wenigen Sekunden der Ruhe an, "Einigkeit und Recht und Freiheit" zu brüllen, ein anderer Fan rief ihm hörbar und herzhaft "Halt die Fresse" hinüber. Serge Gnabry musste vor Freude darüber kurz grinsen, wie man im TV sehen konnte, das Stadion applaudierte spontan dem einschreitenden Fan. Eine Szene, die zeigte, was es bringt, die Stimme zu erheben.

Es waren nur nicht so viele Menschen nach Dortmund gekommen. Es regnete, es war ein Testspiel, Anstoßzeit um 20:45 Uhr. Da kann man schlecht seine Kinder mitnehmen und die Tickets kosteten regulär zwischen 25 und 100 Euro. Der obere Teil der Osttribüne blieb komplett leer, auch sonst sah man viele Sitzschalen. Vielleicht lernt der DFB ja, wenn er nicht wieder vor halbleeren Rängen spielen will, Preise und Zeiten ein bisschen anzupassen.

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Bei der Schweigeminute für die Opfer des Anschlags in Halle beginnt ein Fan, die deutsche Nationalhymne zu brüllen. Ein Mann unterbricht ihn hörbar - und wird dafür vom Stadion gefeiert.

Sportlich hatte das Spiel allerdings durchaus was zu bieten. Die erste Halbzeit gehörte zu den unterhaltsameren der jüngeren Vergangenheit, auch wenn das Team den 2:0-Vorsprung in der zweiten Halbzeit noch verspielte. Joachim Löw scheint seinem neuen Stil treu bleiben zu wollen, gegen bessere Gegner tief zu stehen und schnell zu kontern.

Das klappte gegen Argentinien zunächst hervorragend, vor allem, weil Serge Gnabry auftrat, als sei das hier ein Turnierspiel, auch Lukas Klostermann sammelte ein paar Pluspunkte und das Spiel wird natürlich in Erinnerung bleiben, weil es das erste war, in dem Joshua Kimmich als Kapitän die Wimpel tauschte. Es ist ein ganz besonderes Gefühl, in meinem jungen Alter die Kapitänsbinde tragen zu können", sagte der 24-Jährige. Wahrscheinlich werden in der Zukunft noch ein paar Kapitänsspiele dazu kommen.

Und dann war da noch Kai Havertz. Havertz hat in der Nationalmannschaft seinen Platz noch nicht gefunden, was bei nun sechs Länderspielen auch nicht so überraschend ist. Aber wer ihn am Mittwochabend in Dortmund sah, der fragte sich, ob man nicht dringend einen Platz für ihn finden müsste. Die Gesamtkonstellation ergab es, dass er neben, beziehungsweise vor Joshua Kimmich im Mittelfeld spielte und er zeigte in vielen Situationen, warum im Moment nur darüber spekuliert wird, welcher europäische Großverein für ihn das Konto von Bayer Leverkusen am Ende der Saison zum Platzen bringen darf. "Hat auf jeden Fall Spaß gemacht mit ihm", sagte Kimmich nach dem Spiel zur neuen Mittelfeldkonstellation. Sein erstes Länderspieltor schoss Havertz auch noch.

Bislang saß der Hochbegabte aber in wichtigen Spielen der Nationalmannschaft stets auf der Bank. Joachim Löw hat sich in die Fünferkette verliebt und vorne in ein Sturmtrio - bleibt nach dem kleinen Einmaleins nur Platz für zwei Mittelfeldspieler und diese Plätze nehmen derzeit Toni Kroos und Joshua Kimmich ein. "Ich stelle gar keine Ansprüche, das ist viel zu früh für mich", sagte Havertz nach dem Spiel. "Ich will spielen, so viel wie möglich, aber ich denke, es bringt nichts, irgendwas anzumelden vor allem nicht für die Position, auf der Toni Kroos spielt."

Das war natürlich die richtige Antwort auf die leicht provokanten Fragen der Reporter, aber wenn Kroos nicht weicht, und Kimmich nicht weicht - dann müsste Löw per Systemänderung Platz für Havertz schaffen. Die Fünferkette wieder zu seiner Viererkette zu machen, wäre naheliegend - zumal Löw auch die Anzahl an international hochklassigen Innenverteidigern durch den Abschied von Mats Hummels künstlich beschränkt hat. Derzeit scheint sich Löw aber zumindest gegen starke Gegner auf das 5-2-3 festgelegt zu haben.

Und so könnte Havertz neben ter Stegen (der 90 Minuten fehlerfrei spielte) das nächste Luxusproblem von Joachim Löw werden. Aber wenn der Bundestrainer Luxusprobleme hat, dann bedeutet das ja auch, dass er überhaupt wieder Spieler zur Verfügung hat.

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