Affäre um WM 2006:Wenn 250 000 Dollar vom Himmel fallen

Horst R. Schmidt und Franz Beckenbauer

Der Präsident des WM-Organisationskomitees Franz Beckenbauer kümmerte sich um Stimmen für die deutsche Bewerbung.

(Foto: Bernd Settnik/dpa)
  • In der Affäre um die WM 2006 meldet sich nun ein Mann aus Malta mit Vorwürfen zu Wort.
  • Franz Beckenbauer soll für den FC Bayern ein Freundschaftsspiel auf der Insel organisiert haben. Im Gegenzug soll Maltas Stimme bei der WM-Vergabe an Deutschland gegangen sein.

Von Thomas Kistner

Nun wird es auch in jenem Kernbereich der Sommermärchen-Affäre wieder heikel, der vorübergehend als befriedet erschien: in der Frage, ob Deutschlands Bewerber vor der Vergabe der WM 2006 Stimmen von Fifa-Wahlleuten gekauft haben. Norman Darmanin Demajo, Chef des Fußballverbandes von Malta (MFA), tat am Sonntag eine Verdachtslage kund, die er zwar nicht das erste Mal präsentiert - aber jetzt hat sie eine andere Sprengkraft.

Demajo versucht seit eineinhalb Jahrzehnten, Aufklärung über die Vorgänge rund um ein Freundschaftsspiel des FC Bayern gegen die Nationalelf seiner Insel zu erhalten, das kurz vor der WM- Vergabe an Deutschland im Sommer 2000 vereinbart worden war. Erst "vier Monate, nachdem der FC Bayern den Vertrag unterzeichnet hat, wurde ich informiert, dass 250 000 Dollar vom Himmel in unsere Verbandskasse gefallen sind", sagte Demajo der englischen Mail on Sunday. Als MFA-Schatzmeister habe er damals den Grund für den Geldsegen eruiert und entdeckt, dass Maltas damaliger Verbandschef Josef Mifsud einen "Vertrag auf eigene Faust und ohne Kenntnis anderer unterzeichnet hat, was er laut Statuten gar nicht durfte".

Mifsud hatte als Fifa-Vorstand bei der WM-Kür am 6. Juli 2000 für Deutschland gestimmt. Die deutschen Bewerber um Kampagnenchef Beckenbauer haben stets bestritten, dass es hierbei Stimmenkäufe gegeben habe. Was es jedoch gab, waren wirtschaftlich bizarre TV-Verträge für Freundschaftsspiele des FC Bayern in Ländern wie Malta, Thailand, Trinidad und Tobago sowie Tunesien. Traumverträge - aber nicht etwa für die begehrten Bayern, sondern für die Gegner.

Alle wurden sie kurz vor der WM-Vergabe besiegelt; in Ländern mit Funktionären im Fifa-Wahlgremium. Die Bayern des damaligen WM-Bewerbungschefs und FC-Bayern-Präsidenten Beckenbauer bemühten sich sogar auf eigene Kosten zu Spielen, für die die Schweizer Agentur CWL unter Geschäftsführer Günter Netzer üppige Beträge an Teams der Güteklasse drei ausschüttete. 2001 fand das Viertelmillion-Match in Malta statt. Besiegelt worden war das wirtschaftlich bizarre Vertragswerk, das Mifsud Monate lang verborgen hielt, mit dem Kirch-Imperium, zu dem die Agentur CWL seinerzeit gehörte. Netzer beschrieb den Testspiel-Deal als "ganz normales Agenturgeschäft", was Fachleute für einen Scherz halten. Demajo sieht nun seine "Intelligenz beleidigt", auch angesichts des Gesamtablaufs: "Geben Sie mir einen logischen Grund, warum Beckenbauer zu einem Treff mit Mifsud nach Malta fliegen sollte, und dann wird ein geheimer Vertrag aufgesetzt, dass die Bayern hier spielen. Geben Sie mir einen guten Grund, warum die Bayern nach Malta kommen wollen, alle Kosten tragen und wir kriegen noch eine Viertelmillion."

Ein geheimes Freundschaftsspiel?

Demajo hatte den TV-Vertrag auch in der Heimat häufiger thematisiert. Zuletzt am 8. Mai 2010, als er mit Anwalt vor die Presse trat und berichtete, er habe Geldtransfers und Dokumente gesehen, für die er seit eineinhalb Jahren auf Mifsuds Erklärung warte; der war da sogar noch Verbandschef. Laut Demajo landeten 250 000 Dollar am 12. Oktober 2000 auf Maltas Verbandskonto, er war damals Schatzmeister. Am selben Tag habe Mifsud eine "originalgetreue Kopie" des zugehörigen Vertrags für ein Freundschaftsspiel gegen Bayern präsentiert. Jedoch datierte diese Vertragskopie vom 1. Juni 2000, auch hätte das Geld schon Mitte Juni fließen müssen. Und: Es habe eine strikte Geheimhaltungsklausel gegeben. Ein geheimes Freundschaftsspiel? Unterschrieben habe den CWL-Vertrag nur Mifsud - gemäß Statuten bedarf es stets zweier Signaturen.

Demajo legte schon 2010 weitere Merkwürdigkeiten dar. So sei der 250 000-Dollar-Betrag nicht getippt, sondern nur handschriftlich auf einer gestrichelten Linie vermerkt worden. Derartiges habe es sonst nie gegeben, sagte Demajo im Hinblick auf andere Verträge Maltas mit CWL. Den geheimen Vorgang um das Bayern-Spiel habe er nicht akzeptiert, zumal er damals erfahren hatte, dass die Zahlung auf ein Treuhandkonto vereinbart worden sei: "Maltas Verband hat aber kein Treuhandkonto." Auch seien die damals aus Kirch-Akten zitierten Beträge auf 300 000 Dollar beziffert worden. Fehlten also 50 000?

Jetzt gibt es nicht nur im Sommermärchen-Land, sondern auch in Malta offene Fragen: Warum besorgte Beckenbauer persönlich ein T estspiel? Wann floss wie viel Geld auf die Insel? Ist das CWL-Geld, Monate verspätet im Herbst 2000, nur aufs Verbandskonto gewandert, weil sich zu der Zeit erste Fragen in La Valletta ergaben? Fragen, die auf Presseberichten über stille Deals der CWL mit Thailand, Tunesien, Trinidad und Tobago und eben Malta fußten?

Verbandschef Mifsud ließ sich weder 2010 noch heute zu einer Klärung herbei. Weshalb er damals, drei Monate nach Demajos Enthüllungen, sogar sein Präsidentenamt verlor; 18 Jahre lang hatte er eine von Affären geprägte Regentschaft geführt. Das Amt bekam Ankläger Demajo.

Schält sich hier der deutsche Weg durch die Sumpflandschaften des Weltfußballs heraus? Akten des 2002 untergegangenen Kirch-Konzerns zeigen, dass die deutschen WM-Werber in den Wochen vor der Wahl in Panik geraten waren und alle Register zogen. In diesen Akten steht auch, dass die Zahlung an Mifsud auf ein Treuhandkonto ("trust account")

gehen sollte. So treuhänderisch wie die Zahlung an einen anderen Fifa-Vorstand: an Jack Warner, größte Skandalnudel der Fifa. Hier aber soll, trotz Vertragsabschlusses, nichts geflossen sein; das Match von Warners Inselkickern mit den Bayern kam nie zustande. "Aus Termingründen", wie Netzer sagte.

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