Deutschlands Einzug ins WM-Finale:Siebter Himmel

Deutschlands Einzug ins WM-Finale: Acht Tore, davon sieben für Deutschland, machten aus der Halbfinalbegegnung gegen Brasilien ein historisches Spiel

Acht Tore, davon sieben für Deutschland, machten aus der Halbfinalbegegnung gegen Brasilien ein historisches Spiel

(Foto: dpa, Getty, afp, Reuters)

Das 7:1 der DFB-Elf im Halbfinale gegen Brasilien ist ein Ereignis, das die Fußballwelt so noch nie gesehen hat. Trotz der historischen Dimension gilt die Konzentration der Mannschaft jetzt dem Finale am Sonntag. Doch geht das überhaupt?

Von Thomas Hummel, Belo Horizonte

Wie reagiert einer, der gerade das Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien gegen Brasilien mit 7:1 gewonnen hat? "Wenn ich humorlos die Fakten betrachte: Wir sind eine Runde weiter, genauso wie gegen Algerien", sagte Thomas Müller.

Algerien! Da hat die deutsche Nationalmannschaft gerade Geschichte geschrieben, wie es so schön gestelzt heißt. Und Thomas Müller holt alle, denen deshalb Flügel wachsen, mit Karacho auf den harten Boden der Interviewzone des Estádio Mineirão herunter.

Am Dienstagabend in Belo Horizonte wurde die Fußballwelt Zeuge eines Ereignisses, das sie so noch nie gesehen hat. Brasilien erlebte die größte Niederlage seiner Geschichte. In einem Moment, in dem das ganze Land, fast die ganze Welt zuschaute (in Deutschland erreichte die TV-Quote irre 32,57 Millionen). Deutschland gewann sieben zu eins. BRASIL 1:7 ALEMANHA. Ein Ergebnis, das auf allerhöchstem Niveau eigentlich undenkbar ist. Das selbst in den Kreisligen nur äußerst selten zustande kommt. Ein Ergebnis, das unglaublich schön daherkommt für die deutsche Mannschaft. Das in der Umkleidekabine nach dem Spiel offenbar eine Alarmglocke hat schrillen lassen.

Bundestrainer Joachim Löw berichtete: "Die Stimmung war gut, aber nicht überschwänglich. Natürlich waren alle glücklich über diesen Sieg, aber bei uns ist keiner abgehoben." Er benutzte einige Male die Wörter "geerdet" und "Demut". Sich nur ja nicht infizieren lassen von diesem lauernden Virus namens Überheblichkeit, namens Hochmut. So schön es auch war, hier in Belo Horizonte. Und so viele Bücher nun damit auch bedruckt werden. Noch ist die Mission nicht erfüllt. Am Sonntag wartet das Finale der WM im Estádio do Maracanã, gegen Argentinien oder die Niederlande. Ganz nach Manuel Neuer: "Wir haben noch nichts erreicht. Wir haben das eine Spiel noch vor der Brust. Und müssen das gewinnen." Er sagte müssen.

Die deutsche Mannschaft hat bislang bei dieser WM alle Gefahren bewältigt. Nach dem 4:0 gegen Portugal drohte der emotionale Abflug, nach den Spielen gegen Ghana, die USA und Algerien prasselte Kritik auf sie ein. Diese Kritik führte zu einer Gruppendynamik, die aus den Fußballern eine wild entschlossene Einheit werden ließ mit dem Mantra: Wir wollen Weltmeister werden! Sogar der sanfte Jérôme Boateng greift in Brasilien zu härterer Wortwahl und schneidiger Stimme. Das Mantra erweiterte er nach dem Halbfinale um das Wörtchen "unbedingt".

Doch geht das überhaupt? Sich nicht ablenken lassen, nicht feiern zu lassen, das Gefühl der Zufriedenheit wegzuschieben? Nach diesem Spiel?

Der Tag in Belo Horizonte hatte damit begonnen, dass die Straßen aufgrund des spontan ausgerufenen Feiertags ungewöhnlich leer waren. Sie füllten sich um die Mittagszeit, und bald schon ging im Zentrum nur noch wenig. Wer kein gelbes Trikot trug, der trug entweder ein grünes, oder er lief nach Hause, um ein gelbes oder grünes zu holen. Die knapp 60.000 im Estádio Mineirão sangen sich schon Stunden vor dem Anpfiff warm. Allerdings bot ihnen die kleine deutsche Enklave hinter dem rechten Tor unangenehme Konkurrenz. Die deutschen Zuschauer wollten akustisch partout nicht klein beigeben. Sie gaben damit die Richtung vor.

Es folgte der hoch emotionale erste Akt mit Aufwärmen unter tosendem Lärm, Auflaufen, Hymnensingen. In den ersten fünf Spielminuten wirkten die deutschen Spieler davon beeindruckt. In den 85 weiteren nicht mehr. Danach berichtete Mats Hummels: "Es ist schwer, rational zu erklären, was auf dem Platz los war. Es hat relativ viel funktioniert und relativ wenig nicht geklappt. Bei Brasilien komplett andersrum." Damit kam Hummels den Ereignissen recht nahe.

Brasilien fix und fertig gemacht

World Cup 2014 - Semi final - Brazil vs Germany

Sami Khedira, Benedikt Höwedes, Toni Kroos und Miro Klose feiern

(Foto: dpa)

Bei der Ecke nach elf Minuten etwa, da funktionierte alles. Vier Deutsche rannten Richtung ersten Pfosten, nur Müller lief nach hinten. Weil das seinen Gegenspieler David Luiz komplett verwirrte und Toni Kroos den Ball wie verabredet weit schlug, stand Müller so frei am Fünfmeterraum wie zuletzt beim TSV Pähl und schoss sicher ein - 1:0.

Es folgte die Phase zwischen der 23. und 29. Minute. Eine Phase, in der ein Toilettengang für den Zuschauer fatal war. In der Brasilien seinen Stolz verlor. In der die Deutschen den Gegner vorführten, überrannten, ausspielten, fix und fertig machten. Vier Mal kombinierten sich die Spieler in den rot-schwarzen Trikots mit schneidenden Pässen in Serie bis in den Strafraum hinein. Bis das Tor von Júlio César so leer vor ihnen stand, dass nicht einmal der brasilianische Bus die Tore verhindert hätte. 2:0 Miroslav Klose mit seinem 16. WM-Treffer (Rekord!), 3:0 und 4:0 durch Toni Kroos, 5:0 durch Sami Khedira.

Fünf zu null, und es war noch keine halbe Stunde gespielt. Die Menschen auf der Tribüne schauten sich mit großen Augen an. Die in den weißen Trikots schrien vor Glück, die in den gelben vor Entsetzen. Hummels habe gedacht, "das ist jetzt nicht zu glauben. Unsere Bank ist komplett auf den Platz gelaufen, als wäre das Spiel schon abgepfiffen." Auch dort unten habe er gespürt, dass "sehr viel Ungläubigkeit im ganzen Stadion geherrscht hat".

Diese sechs Minuten wird die Welt so schnell nicht vergessen. Wucht, Zuversicht, Eleganz und Können verdichteten sich darin wie unter einem Brennglas. Klose, Kroos, Kroos, Khedira - vier mal K erledigte in kürzester Zeit den Gastgeber dieser WM.

Nach der Pause ließen es die Deutschen lockerer angehen, ihr Torwart Manuel Neuer sollte ein wenig beitragen zu diesem historischen Abend. Gegen Paulinho führte er eine solch phänomenale Reaktion vor, dass aus dem letzten Brasilianer die Hoffnung wich. André Schürrle traf auf der anderen Seite noch zwei Mal, es hieß sieben zu null. Erst ganz zum Schluss durfte Oscar den Ehrentreffer erzielen. Selten traf diese Bezeichnung so zu wie diesmal.

Löw sprach davon, dass seine Mannschaft der Leidenschaft und den Emotionen des Gegners mit Ruhe und Abgeklärtheit begegnen wollte. "Natürlich auch mit Mut und mit unserer eigenen Stärke." Worin diese lag, erklärte umfassend Miroslav Klose: "Unser Mittelfeld spielt ein phantastisches Positionsspiel, hinten gewinnen sie jeden Zweikampf, Manu steht wie eine Wand. Es klappt momentan alles."

Das war es dann mit dem Lob in eigener Sache. Das sollen nun andere übernehmen. Rein in den Flieger in Richtung Santo André und nachts noch ins Campo Bahia. Türen und Fenster schließen, Internet aus. Noch ein Spiel. Ein Spiel noch. Oder wie es Thomas Müller formulierte: "Sicher wird sich die Presse jetzt mit Lobeshymnen überschlagen, was in dem Fall auch gerechtfertigt ist. Es wird uns allerdings nix helfen, weil am Sonntag steht es wieder 0:0."

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